FASD bezeichnet Schädigungen des Kindes durch den Alkoholkonsum der Mutter in der Schwangerschaft. Es gibt unterschiedliche Ausprägungen.

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Es sind häufig verzweifelte Pflegefamilien, die nach langem Leidensweg bei Experten wie dem Berliner Kinderarzt Hans-Ludwig Spohr oder der Wiener Psychologin Stephanie Pfeifer landen: Ihre Kinder leiden unter extremen Wutanfällen und tun sich beim Lernen schwer. Sie können sich häufig nicht orientieren, nicht entscheiden, nicht aus ihren Fehlern lernen und sind motorisch unruhig.

Die Diagnose ist für die Familien nach einer Odyssee von Arzt zu Arzt dann fast erlösend, berichten die Experten: Die Kinder – es sind häufig Pflegekinder, aber dazu später – leiden an der sogenannten Fetalen Alkohol-Spektrum-Störung (FASD). Ihr Gehirn wurde im Mutterleib durch den Alkoholkonsum der biologischen Mutter geschädigt. Dazu kommen bei manchen auch körperliche Auffälligkeiten: Betroffene Kinder sind oft besonders zart, manchmal gibt es auch charakteristische Auffälligkeiten im Gesicht.

FASD kennt man seit den 1970er-Jahren. Bis dahin wurde Alkohol in der Schwangerschaft mitunter verharmlost und sogar genutzt, um die Wehen bei Frauen herbeizuführen. FASD ist eine Spektrumsstörung, die unterschiedlich stark ausgeprägt sein kann.

"Der kann nicht anders"

Die Diagnose gibt vielen Pflegefamilien und den Betroffenen die Gewissheit, dass sie nicht schuld an den Schwierigkeiten sind und nichts falsch gemacht haben. Spätestens in der Schule würden viele der Kinder nämlich Schwierigkeiten bekommen, erzählt Pfeifer. Eltern würden ihren Kindern vor der Diagnose oft unterstellen: "Der will nicht", erzählt die klinische Psychologin, die den Verein FASD-Hilfe Austria betreibt und vor kurzem erst eine internationale Fachtagung zu dem Thema veranstaltet hat: "Wichtig ist aber zu verstehen: Der kann nicht anders. "

Heilbar ist FASD nicht. Eine frühzeitige Diagnose, am besten vor dem Schulalter, sei aber auch deshalb wichtig, damit die Kinder adäquat gefördert werden können, die richtige Schule ausgewählt wird und sie von ihrem Umfeld nicht mehr überfordert werden. Das ist ein Best-Case-Scenario.

In den meisten Fällen wird die Diagnose FASD aber erst im Erwachsenenalter gestellt, wenn überhaupt. Dem gehen Probleme in der Schule, im Job und im Privatleben voraus. Stattdessen werden erst Diagnosen wie ADHS oder eine Bindungsstörung gestellt. Immer wieder würden sich Erwachsene nach Medienberichten über FASD bei ihm melden, erzählt Spohr, mit der Vermutung, dass sie selbst daran leiden.

Hohe Dunkelziffer

Der deutsche Kinderarzt beschäftigt sich seit 40 Jahren mit dem Thema und betreibt in Berlin ein FASD-Diagnosezentrum. 10.000 Kinder mit FASD, sagt Spohr, werden in Deutschland im Jahr geboren. Schätzungen gehen in Österreich von mehr als 1.000 betroffenen Neugeborenen pro Jahr aus. Die Dunkelziffer dürfte hoch sein.

Häufig sind Pflegekinder betroffen, weil diese vermehrt aus schwierigen Verhältnissen kommen. Getrunken wird in der Schwangerschaft aber auch mit anderem sozioökonomischem Hintergrund, betonen Experten. Häufig trifft das Klischee von der alkoholkranken Mutter zudem nicht einmal zu. "Es gibt keine Menge an Alkohol, die in der Schwangerschaft unbedenklich ist", sagt Spohr. Wo genau der Schaden anfange, wisse man heute noch nicht. Daher plädiert er für absolut gar keinen Alkohol.

Stärken betonen

Viele Betroffene brauchen ihr Leben lang Hilfe. Ohne Förderung und Unterstützung würden viele am Alltag scheitern. Darum geht es laut Stephanie Pfeifer auch darum, Menschen mit FASD schon im Kinderalter zu vermitteln, dass sie für ihre Schwierigkeiten nichts können. "Wichtig ist, auch die vielen, tollen Stärken, die diese Menschen haben ins Selbstbild zu integrieren", betont sie. Das stärke sie für ihre Zukunft.

Denn es gibt auch Erfolgsbeispiele: Pfeifer erzählt von Betroffenen, die einem Job nachgehen, eine Wohnung haben – und nur ein wenig Unterstützung im Wohnalltag brauchen. Auch der deutsche Kinderarzt Spohr wurde einmal von einem 57-jährigen Mann aufgesucht und um eine Diagnose gebeten: "Er wollte wissen, warum er sein Leben so schwer auf die Reihe kriegt und in Angstdepressionen verfällt", sagt Spohr. Der Mann war Klavierlehrer und verheiratet. Er hatte sein Leben also trotz schwieriger Voraussetzungen gut gemeistert. (Franziska Zoidl, 30.5.2021)