Eine Führungskraft berichtet von einem Mitarbeiter, der schon vor Jahren einen Alkoholentzug gemacht hat und seitdem stabil im Unternehmen beschäftigt ist. "Den Verdacht, dass er wieder trinkt, hatte ich schon einige Zeit, da er in Besprechungen abwesend und unkonzentriert wirkte und bei Nachfragen ausweichend reagierte. Als ich ihn nach längerem persönlich gesehen habe, war ich richtig erschrocken. Als ich ihm das rückgemeldet habe, war er sehr betroffen, zeigte sich aber aufgrund unserer gemeinsamen Erfahrung mit dem Thema einsichtig und ist nun wieder in therapeutischer Behandlung." Im Rahmen der Kurzarbeit und dem Homeoffice ist der Mitarbeiter rückfällig geworden. Der Alkoholkonsum hatte sich schnell gesteigert. Es stellte sich heraus, dass durch die fehlenden sozialen Kontakte seine üblichen Strategien, mit Belastungen umzugehen, nicht funktioniert hatten und es so zu dem Rückfall kam.

Eine heikle Sache

Alkohol am Arbeitsplatz ist ein schwieriges Thema. Wie erkennt man eine Suchtproblematik? Ist das nicht Privatsache, die den Betrieb nichts angeht, solange es zu keiner akuten Beeinträchtigung am Arbeitsplatz oder sogar zu einem Vorfall kommt? Und wie spricht man es an, ohne den Betroffenen vorzuverurteilen, bloßzustellen oder gegen sich aufzubringen. Auch langgediente kompetente Vorgesetzte können hier an ihre Grenzen stoßen.

Konkret geht es darum, Kennzeichen einer Suchterkrankung zu erkennen. Das frühe Ansprechen eines Verdachts und das Einleiten der notwendigen Schritte hat viele positive Auswirkungen. Aufseiten des Betriebs werden erhebliche Kosten gespart, die durch Krankenstände und Leistungseinbußen entstehen können. Die Belastung des ganzen Teams wird reduziert oder verhindert. Zudem wird ein positives Zeichen für die Mitarbeiter gesetzt, indem das Thema Alkoholkonsum enttabuisiert wird. Aufseiten der Betroffenen bedeutet das Angesprochen werden durch die Führungskraft die Notwendigkeit, eine längst überfällige Hilfe in Anspruch zu nehmen. In Beratung begeben sich viele Personen erst dann, wenn ein gewisser Druck vom Arbeitgeber erzeugt wird und gleichzeitig die Sicherheit gegeben ist, dass man den Arbeitsplatz nicht verliert, wenn man kooperativ an der eigenen Gesundung mitwirkt. Die betriebliche Suchtprävention und das richtige Verhalten der Führungskraft leisten so einen Beitrag, um das Fortschreiten einer Suchterkrankung zu verhindern, den das private Umfeld oft nicht zu leisten vermag.

"In Beratung begeben sich viele erst dann, wenn vom Arbeitgeber ein gewisser Druck erzeugt wird", sagt Psychologin Lisa Wessely.
Foto: Imago Images

Mehr Belastung

Alkoholkonsum ist in unserer Gesellschaft allgegenwärtig. In den letzten Monaten hört man oft, wie groß die Freude darauf ist, endlich wieder auszugehen, zu feiern und auch sich zu berauschen. Problematisch wird es dann, wenn Alkohol zum Beispiel regelmäßig zum Entspannen eingesetzt wird und letztlich keine anderen Möglichkeiten zur Verfügung stehen, um abzuschalten. Gerade bei Personen, die Alkohol zur Stimmungsregulation einsetzen, konnte man im vergangenen Jahr durch die Pandemie ein Ansteigen des Konsums beobachten. Neben den Sorgen, die die Gesundheit oder die persönlichen Freiheiten betreffen, gibt es viele Belastungen, die mit der Arbeitssituation zu tun haben.

In Krisensituationen werden Substanzen auch konsumiert, um mit Belastungen vermeintlich besser umgehen zu können. Je mehr sich der Konsum in den Alltag einschleicht, umso eher ist die Gefahr der Gewöhnung gegeben, die die Vorstufe zur Sucht sein kann. Dieser Gewohnheitskonsum wird meist aufrechterhalten, auch wenn sich die akute Belastungssituation gebessert hat.

Betriebe und Führungskräfte sind also aktuell mehr denn je gefordert, ihre Fürsorgepflicht wahrzunehmen, auch in Bezug auf problematischen Alkoholkonsum. Doch wie ist das möglich, wenn Kurzarbeit und Homeoffice Arbeitsrealitäten geworden sind? Wie soll eine Führungskraft einen problematischen Alkoholkonsum erkennen, wenn sie die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter kaum persönlich sieht, die akute Verfassung, Konzentrationsprobleme, Leistungsabfall nicht tagesaktuell einschätzen und auch die Alkoholfahne über die Videokonferenz nicht wahrnehmen kann?

Enttabuisieren

Vorgesetzte sollten auch in Pandemiezeiten auf ihre Mitarbeiter zugehen, regelmäßige Einzelkontakte pflegen und persönliche Gespräche ermöglichen. Sich aktiv nach dem Befinden zu erkundigen zeugt von Interesse und hilft auch dabei, sich ein klareres Bild zu verschaffen. Konkrete Sorgen zu formulieren wird von den Betroffenen im Nachhinein oft als hilfreich erlebt. Auch die Arbeit im Homeoffice durch klare Arbeitsaufträge und Erwartungen zu strukturieren reduziert die Belastungen. Wesentlich ist die Sensibilisierung auf das Thema Sucht und die Enttabuisierung der Alkoholabhängigkeit.

Bei Burnout, Mobbing oder Depressionen ist in der betrieblichen Gesundheitsförderung viel in Hinblick auf die Entstigmatisierung von Erkrankten gelungen. Auch Alkoholabhängigkeit ist eine Erkrankung, die viele betrifft und die gut behandelt werden kann. Dies anzuerkennen kann deutlich zur Reduktion von Scham- und Schuldgefühlen beitragen. So wird es für sie einfacher, über ihre Situation zu sprechen und frühzeitig Hilfe in Anspruch zu nehmen. Jedes Unternehmen, jede Führungskraft kann hier einen entscheidenden Beitrag leisten.

Worauf kann man selbst achten? Wenn bei Ihnen mehrere Punkte zutreffen, holen Sie sich Unterstützung.

  1. Wurden Sie schon von anderen auf Ihren Konsum angesprochen?
  2. Haben Sie selbst schon einmal versucht, Ihren Konsum zu reduzieren oder eine Zeitlang abstinent zu sein, und dies nur schwer oder nicht geschafft?
  3. Ertappen Sie sich öfter dabei, dass Sie schon während der Arbeit an ein alkoholisches Getränk denken?
  4. Trinken Sie fast täglich oder täglich Alkohol?
  5. Benötigen Sie Alkohol, um zu entspannen, locker zu werden oder einzuschlafen?
  6. Haben Sie Schwierigkeiten, den Alkoholkonsum zu stoppen, obwohl Sie am nächsten Tag fit sein müssen?
  7. Konnten Sie schon einmal berufliche Termin aufgrund Ihres Konsums nicht wahrnehmen?
  8. Beginnen Sie früher, vielleicht schon während der Arbeitszeit, Alkohol zu konsumieren?