Ernst Dokupil hat an den 8. Mai 1996 nur vage Erinnerungen. Ja, er war Trainer von Rapid, es geschah in Brüssel, und Paris Saint-Germain war Gegner im Finale des Europacups der Cupsieger. Wie zum Beispiel die Kabinen im König-Baudouin-Stadion ausgeschaut haben? Keine Ahnung. "Ich weiß nur, dass wir 0:1 verloren haben. Eine große Enttäuschung. Wir waren relativ chancenlos, hatten nur eine Möglichkeit, einen Kopfball von Heraf. Der Optimismus war nicht vorhanden, wir waren im gesamten Spiel auf eine komische Art gedämpft, gehemmt." Die Rapid-Fans, ungefähr 15.000, hatten nach Abpfiff trotzdem applaudiert, eine tolle Geste. "Aber ich spürte nur eine Leere", sagt der 74-jährige Ex-Trainer. "Ein Filmriss, ein trauriges Ende einer wunderbaren Reise."

Der Pariser Vincent Guerin ist dem Ball näher als Rapids Stephan Marasek. Im Hintergrund beobachtet Peter Schöttel die Finalszene.
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Der Lebenstraum

Michael Hatz bildete damals mit Peter Schöttel die Innenverteidigung. Der heute 50-Jährige hat ein Buch über die damaligen Ereignisse geschrieben. Mit Leidenschaft zum Lebenstraum lautet der Titel. Dem absoluten Happy End, dem Europacupsieg, konnte kein Kapitel gewidmet werden. Bruno N’Gotty hat es mit einem Freistoßtor in der 28. Minute verhindert. Ein Flachschuss aus großer Distanz, Schöttel hatte leicht abgefälscht. Tormann Michael Konsel weiß immer noch nicht, ob er den Ball nicht doch hätte halten können. Hatz beharrt darauf, "dass es gar kein Foul war". Wurscht. "Wir hatten an diesem Tag keine Durchschlagskraft, keine Lockerheit." Einige Spieler haben nach Abpfiff geheult, Hatz selbst war "wie betäubt. Ich saß einfach nur da."

Dokupil kam 1994 zu Rapid. Der Verein war davor nahe am Bankrott, eine Fusion mit der Austria stand zur Diskussion. Der Wiener Wahnwitz wurde abgesagt. Die Mannschaft: kaputt, ohne Selbstvertrauen, geprügelte Hunde. Dokupil hat den Kader verändert, einen kleinen Stein losgetreten, daraus sollte eine Lawine werden. Hatz erinnert sich: "Er hat Schmäh reingebracht, uns Freude gegeben. Unterschiedliche Typen wurden zur Einheit, er ließ die Dinge laufen." Dokupil war nicht der große Fußballtaktiker, seine Trainerphilosophie hat sich vermutlich überlebt. "Jeder muss das Beste, was er zur Verfügung hat, spielen. Auf seiner Position. Du darfst nicht alle gleichbehandeln."

Den Kern bildeten die "vier Daltons", das waren Didi Kühbauer, Zoran Barisic, Stephan Marasek und Sergej Mandreko. Aufgrund seiner geringen Körpergröße konnte Kühbauer natürlich nicht Averell sein. Der Bulgare Trifon Ivanov, Gott hab ihn selig, war ein spezieller Typ, ein unberechenbarer Verteidiger. Ex-Austrianer Peter Stöger brachte Kultur ins Spiel, die Mittelstürmer Christian "Büffel" Stumpf und Carsten Jancker sorgten für Gefahr.

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Ernst Dokupil verspürte am 8. Mai 1996 nur Leere.
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1995 wurde Rapid Cupsieger, Peter Guggi schoss das 1:0 gegen Leoben. Es konnten die Koffer gepackt werden. Zielbahnhof: Brüssel. Zwischenstationen: Ploiesti, Lissabon, Moskau und Rotterdam. Es gab auf der Reise spektakuläre Momente, Brocken mussten weggeräumt werden. Im Achtelfinale gegen Sporting Lissabon drohte das Aus, denn in Portugal wurde rechtschaffen 0:2 verloren. Im Rückspiel im Happel-Stadion stand es bis zur 92. Minute 1:0, nach Adam Riese konnte sich das nicht ausgehen. Aber Stumpf sorgte für die Verlängerung, es wurde ein triumphales 4:0. Das wiederum ging sich locker aus.

Im Halbfinale gegen Feyenoord Rotterdam trug Jancker einen Turban, eine Platzwunde färbte den weißen Verband blutrot. Es war seine persönliche Heldengeschichte, die wird der Deutsche nie wieder los. Nach einem 1:1 in den Niederlanden füllten 48.000 Fans das Happel-Stadion, bereits zur Halbzeit war der Käse gegessen, das 3:0 wurde bis zum Schluss gehalten. Es könnten die besten 45 Minuten der Vereinsgeschichte gewesen sein, aber darüber sollen Gelehrte streiten. Dokupil: "Da ist das Dachl vom Stadion weggeflogen."

Der 8. Mai führte dann zur kollektiven Depression, Brüssel war keine Reise wert. Aber Rapid hat sich rasch therapiert, das spricht für die Qualität, die Mentalität. 1. Juni, Entscheidungsspiel um die Meisterschaft gegen Sturm Graz mit Trainer Ivica Osim: Happel-Stadion, wieder 48.000 Zuschauer, Rapid siegte 2:0, holte den Titel. Das Dachl flog ein zweites Mal weg. Hatz: "Die Leere war überwunden, es wurde doch noch eine Art Lebenstraum."

Das Finale im Video.
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Neue Fußballwelt

In diese Zeit fiel das Bosman-Urteil, die Fußballwelt war eine neue, Österreichs Vereinskick verlor an Bedeutung. Gute Spieler verließen das Land. Hatz beispielsweise wechselte nach Italien zu Reggiana. Dokupil hielt sich noch ein Zeiterl in Hütteldorf, Misserfolge und Streitereien nahmen aber zu.

25 Jahre und einen Tag nach Brüssel, am Sonntag, empfängt Rapid den Wolfsberger AC. Schnöder Ligaalltag, ein Geisterspiel. Der Europacup der Cupsieger ist längst abgeschafft, Rapid hatte ihn bereits 1985 nicht gewonnen, im Finale setzte es für Hans Krankl und Kollegen ein 1:3 gegen Everton.

Dokupil, er gehört dem Legendenklub an ("Interessiert niemanden"), ist Pensionist, die Pandemie hat sein Leben kaum verändert. "Golf spielen und mit dem Hund Gassi gehen ist erlaubt. Ins Wirtshaus geh i eh net."

Hatz, er arbeitet in der Sportabteilung von Niederösterreich, gehört Rapids Ethikrat an. Kühbauer ist Cheftrainer, Barisic Geschäftsführer Sport. "Die machen das sehr gut", sagt Hatz. "Vielleicht vergeht die Zeit gar nicht so schnell." (Christian Hackl, 8.5.2021)