Kommt das Gespräch auf Luxusuhren, ist Rolex nicht weit. Die Genfer Manufaktur hat es geschafft, gleichsam zum Überbegriff für eine Produktgattung zu werden. Ähnlich wie die Vespa für alle Roller steht oder das iPad, wenn es um Tablets geht. Mit dem einen Unterschied, dass das Renommee der Marke Rolex jenes von Apple weit überstrahlt. Folgt man dem Ranking des New Yorker Reputation Institute, dann landet der Uhrenhersteller auf Rang zwei, während der IT-Konzern sich mit Platz 46 begnügen muss.

Rund vier Milliarden Euro hat Rolex 2020 umgesetzt. Der weltweite Marktanteil lag im vergangenen Jahr, Corona hin oder her, erstmals über dem der mächtigen Swatch-Group.
Foto: Rolex

Das ist schon deswegen erstaunlich, weil es sich bei Luxusuhren um ein Nischenthema handelt. Aber in dieser Nische ist die Marke mit der fünfzackigen Krone (zu der auch Tudor gehört) unzweifelhaft die Königin: Rund vier Milliarden Euro hat Rolex 2020 umgesetzt. Der weltweite Marktanteil lag im vergangenen Jahr, Corona hin oder her, erstmals über dem der mächtigen Swatch-Group, mit Marken wie Omega, Longines, Tissot und Swatch. "Rolex, das ist der Vatikan der Uhrenindustrie", schwärmt die Konkurrenz stellvertretend in Person des Branchenurgesteins und LVHM-Mannes Jean-Claude Biver.

Produkt im Mittelpunkt

Ob dieses Vergleichs muss Hermann Gmeiner-Wagner schmunzeln. Flankiert von Tochter Antonia und Sohn Felix, steht er in der frisch renovierten Rolex-Boutique, die ein Viertel des 400 Quadratmeter großen Geschäftslokals von Juwelier Wagner an bester Wiener Adresse einnimmt. 2011 war sie die erste ihrer Art in Österreich.

Rolex-Boutique von Juwelier Wagner in Wien: Die Krone überstrahlt alles.
Juwelier Wagner

Die Einrichtung: edles Holz, feines Leder, unaufdringlich, beinahe minimalistisch. Präsentiert in Vitrinen: die neuesten Oyster, Explorer, Datejust, GMT Master – die Evergreens von Rolex. Über all dem strahlt die goldene Krone auf grünem Wellenhintergrund. "Wer ist dann der Papst?", fragt Hermann Gmeiner-Wagner rhetorisch.

Vielleicht Jean-Frédéric Dufour, der seit 2015 CEO des Unternehmens ist? Der erst sechste Chef der 1905 vom Deutschen Hans Wilsdorf gegründeten Uhrenmarke? Dafür wendet sich Dufour viel zu selten mit salbungsvollen Worten an die Gefolgschaft. Um nicht zu sagen: Er hüllt sich in Schweigen. Das ist wiederum typisch Rolex: Das Unternehmen gilt als verschlossen. Und: Nicht eine Person soll im Mittelpunkt stehen, sondern das Produkt.

Sehr gute Entscheidung

Die Kommunikation mit Rolex sei partnerschaftlich und auf Augenhöhe, beteuert Antonia Gmeiner-Wagner, wie ihr Bruder Mitglied der Geschäftsleitung des Familienunternehmens. Immerhin kenne und schätze man sich seit Jahrzehnten. 1954 begann die Zusammenarbeit. Zu einer Zeit also, wo im kriegsversehrten und von den Alliierten besetzten Österreich noch am Wiederaufbau gearbeitet wurde, wo Luxus, wie wir ihn heute definieren, noch keine Rolle spielte.

Hans Wilsdorf, Gründer der Marke
Foto: Rolex

"Es war ein mutiger Schritt, sich in Österreich zu engagieren", stellt Hermann Gmeiner-Wagner fest. "Es zeugt davon, dass die Marke sehr langfristig denkt." Zum eigenen Gedeih und dem von Juwelier Wagner. "Letztendlich war die Zusammenarbeit zweifellos eine sehr, sehr gute Entscheidung", unterstreicht er: "Rolex ist unsere wichtigste Marke."

Deren Anziehungskraft führt er darauf zurück, dass man von Anfang an qualitativ hervorragende Zeitmesser angeboten habe. Ihr Erscheinungsbild hat sich über die Jahre kaum verändert, was zum hohen Wiedererkennungswert beiträgt. Technisch immer auf dem neuesten Stand, sind die Uhren allerdings nicht vollgepackt mit technischem Schnickschnack. Man beschränkt sich meist auf das Wesentliche.

Autark von A bis Z

Rolex ist heute ein vollintegrierter, in hohem Grad autarker Industriebetrieb: Von A wie Armband bis Z wie Zifferblatt wird alles inhouse in den Werken in Biel und Genf hergestellt, selbst die Goldlegierungen, das Schmieröl und auch die Unruh samt Spirale, das Herz einer mechanischen Uhr. 10.000 Mitarbeiter beschäftigt man weltweit, 800.000 Uhren werden pro Jahr gefertigt. Schätzungsweise.

Ein Lichtbrunnen am Rolex-Standort in Biel
Foto: Rolex/Rémy Lidereau

Von Rolex selbst sind keine Zahlen zu erfahren. Denn der kinderlos gebliebene Patriarch Wilsdorf übertrug die Aktien seiner Firma in eine nach ihm benannte Stiftung. Sie besitzt Rolex bis heute. Daher muss man niemandem Rechenschaft ablegen, es gibt kein Management, das nach kurzfristigem Erfolg schielt.

Eine Stiftung als Parallelstaat

Das Unternehmen kann daher tun und lassen, was immer es will. Der Gewinn fließt in die Firma zurück, investiert wird fast exklusiv im Kanton Genf. So steht’s in den Statuten. "Über die Jahre ist die Stiftung zu einem Parallelstaat geworden, der mit seinen Investitionen – oder deren Verweigerung – mitbestimmt, wie sich Genf weiterentwickelt", schreibt die Zeit.

Eine Oyster begleitete Edmund Hillary und Tenzing Norgay 1953 bei der Erstbesteigung des Mount Everest.
Foto: Alfred Gregory/Royal Geographical Society

Dass die Marke heute so bekannt ist, verdankt sie ebenfalls ihrem Gründer. Hans Wilsdorf war ein vom Qualitätsgedanken Besessener und ein Marketinggenie. Er nahm vieles vorweg bzw. perfektionierte, was heute in der Uhrenwerbung State of the Art ist – Testimonials, Anzeigen, Sponsoring, Storytelling.

Mit einer Oyster wurde 1927 der Ärmelkanal durchschwommen, die Uhr hielt dicht. Eine Oyster begleitete Edmund Hillary und Tenzing Norgay 1953 bei der Erstbesteigung des Mount Everest, auch sie kam unbeschadet zurück.

Signalwirkung

Ereignisse, die bewiesen, dass die Zeitmesser in erster Linie robust und zuverlässig waren und die ihren Mythos weiter nährten. Heute kommt man bei wichtigen Sport- und Kulturveranstaltungen (siehe Neujahrskonzert) kaum an der Marke vorbei. Schon mit der Namensfindung ist die Legende verbunden, dem Firmengründer habe ein "guter Geist" dabei geholfen.

US-Präsident Joe Biden und seine Rolex – eine Datejust mit blauem Zifferblatt.
Foto: AFP/MANDEL NGAN

Wann genau Rolex-Uhren zu einem begehrten Luxusgut wurden, kann nicht konkret festgemacht werden. Dass die Marke von Stars und Politikern jeder Couleur in jedem Jahrzehnt getragen wurden und werden, war und ist dem Erfolg aber sicherlich zuträglich. Dass sich Rolex-Träger auch unter Neureichen, Angebern oder zwielichtigen Gestalten finden … man kann sich eben oft nicht aussuchen, wer einen liebt.

Statussymbol und Investment

Man könne argumentieren, dass bekannte Marken tatsächlich magische Kräfte freisetzen, wie die Wissenschafterin Katya Assaf meint: "Marken steigern das Selbstwertgefühl und haben auch eine Signalwirkung: Mit einer teuren Rolex-Uhr am Arm wird man anders behandelt als ohne sie." "Spätestens seit 2017 als eine Daytona, der Chronograf der Marke, den einst Paul Newman trug, für mehr als 17 Millionen US-Dollar versteigert wurde, stieg auch die Begehrlichkeit bei Investoren", sagt Felix Gmeiner-Wagner.

Die erste Rolex Daytona aus dem Jahr 1963.
Foto: Rolex/Jean-Daniel Meyer

Dieser Rekord wirkte weit über die Uhrenwelt hinaus. Auch wenn es davor schon hieß: Eine Rolex sei wie eine eigene, wertbeständige Währung. Selbst die regelmäßigen Preiserhöhungen tun der Beliebtheit keinen Abbruch. Im Gegenteil, je rarer und kostspieliger, desto begehrenswerter erscheinen die Produkte. Man spricht vom "Veblen-Effekt". Benannt nach dem Ökonomen Thorstein Veblen, der sich schon im 19. Jahrhundert Gedanken über die Begehrlichkeit von Luxusgütern machte.

Bestes Beispiel dafür ist auch der Graumarkt. In der Regel bekommt man Luxusuhren dort unter dem Handelspreis. Nicht so bei Rolex. "Hier kehren sich die Verhältnisse teilweise um", beschreibt Hermann Gmeiner-Wagner seine Beobachtungen: Der Preis geht auch dort Hand in Hand mit dem Neupreis und überflügle ihn sogar bei bestimmten Modellen.

Gegenstück

Selbst von ungewohnter Seite zollt man dem Genfer Uhrenriesen Respekt. Wie etwa der Wiener Uhrmacher Michael Gunczy, politisch aktiv bei der linken Kleinpartei "Der Wandel". Er gab im Falter 2018 zu Protokoll: "Natürlich hatte nie jeder einfache Arbeiter eine Rolex am Handgelenk. Aber in den 1980er-Jahren konnte sich ein Durchschnittsverdiener eine Rolex noch mit dem Eineinhalbfachen seines Monatsgehalts leisten." Dabei macht er den Schweizern keinen Vorwurf. Das Problem sei vielmehr, dass die Löhne in den vergangenen 30 Jahren viel zu wenig gestiegen seien. Und Che Guevara habe seine Rolex bestimmt nicht als Luxusprodukt gesehen.

In Schweizer Medien ist wiederum zu lesen, Rolex sei das Gegenstück zu so manchem als neoliberal verschrienen Konzern. "Rolex ist der Milliardenmulti, von dem die demokratische Linke eigentlich immer geträumt hat", heißt es in der Handelszeitung. Man setze nicht auf Billigarbeit oder Auslagerung. Gewerkschafter loben die guten Arbeitsbedingungen, die höheren Durchschnittslöhne. Kurz: Es sieht so aus, als ob Rolex auch hier alles richtig mache. (Markus Böhm, RONDO, 14.5.2021)

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