Schottlands Regierungschefin Nicola Sturgeon will ein neues Unabhängigkeitsreferendum.

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Bei der Parlamentswahl in Schottland hat die regierende Pro-Unabhängigkeitspartei SNP einen deutlichen Sieg erzielt, die absolute Mehrheit aber knapp verfehlt. Die Schottische Nationalpartei (SNP) kommt im Parlament künftig auf 64 der 129 Sitze, wie die Wahlkommission in Edinburgh am Samstagabend mitteilte. Da aber die Grünen, die ebenfalls für die Loslösung vom Vereinigten Königreich eintreten, 8 Mandate erhalten, haben die Unabhängigkeitsbefürworter eine Mehrheit.

Die Wahlkommission gab das Ergebnis bekannt, nachdem die Resultate aus allen Wahlkreisen eingelangt waren. Die Wahl galt als Stimmungstest für eine Unabhängigkeit. Regierungschefin Nicola Sturgeon (SNP) will Schottland zurück in die EU führen. Die britische Regierung lehnt ein neues Referendum strikt ab. Für die SNP ist es der vierte Wahlsieg in Schottland in Folge.

Forderung nach neuem Referendum

Im Streit um eine neue Volksabstimmung spielte Sturgeon den Ball ins Feld des britischen Premierministers Boris Johnson. Ihm drohe ein "Kampf mit den demokratischen Wünschen des schottischen Volkes", wenn er versuche, eine Abstimmung zu verhindern. Der Zeitpunkt eines Referendums sei Sache des schottischen Parlaments und "keine Entscheidung von Boris Johnson oder irgendeinem Politiker in Westminster".

Der britische Premierminister lehnte ein neues Referendum jedoch abermals ab. Eine neue Volksbefragung sei "unverantwortlich und rücksichtlos", sagte Johnson der Zeitung "Daily Telegraph". "Jetzt ist nicht die Zeit, verfassungsrechtliche Auseinandersetzungen zu führen und darüber zu sprechen, unser Land auseinanderzureißen, wenn es den Menschen doch vielmehr darum geht, unsere Wirtschaft zu heilen und gemeinsam voranzukommen." Die britische Regierung betont, die Unabhängigkeitsfrage sei 2014 geklärt worden. Johnson bot Sturgeon eine Zusammenarbeit an. "Ich bin überzeugt, dass den Interessen der Menschen im Vereinigten Königreich und insbesondere der Menschen in Schottland am besten gedient ist, wenn wir zusammenarbeiten", erklärte er.

Die SNP beharrt hingegen darauf, dass sich die Ausgangslage durch den Brexit verändert habe. Die Schotten hatten beim Brexit-Referendum 2016 einen EU-Austritt mehrheitlich abgelehnt, wurden aber überstimmt. Deshalb peilt Sturgeon nun ein Referendum bis Ende 2023 an und hofft, nach einem Austritt aus dem Vereinigten Königreich wieder der EU beitreten zu können.

Unabhängigkeit als Wahlmotiv

Beim ersten Referendum im Jahr 2014 hatten sich noch 55 Prozent der Schotten gegen eine Loslösung von London ausgesprochen. Bei der Brexit-Abstimmung im Jahr 2016 votierten die Schotten aber mehrheitlich gegen den EU-Austritt. Danach gewann die Unabhängigkeitsbewegung erneut an Fahrt.

Auch bei der nunmehrigen Wahl war daher die Unabhängigkeit das dominierende Wahlkampfthema. Es gab taktische Abstimmungen in mehreren Wahlkreisen: Dort hätten Anhänger einer Union mit Großbritannien oft nicht für ihre eigentliche Partei gestimmt, sondern für den Vertreter der Unabhängigkeitsgegner mit der größten Siegeschance. Die Wahlbeteiligung war mit 63,7 Prozent so hoch wie nie zuvor. Vielerorts gab es lange Schlangen vor Wahllokalen.

Die schottischen Konservativen wurden mit 31 Mandaten zweitstärkste Partei, die schottische Labour-Partei gewann 22 Sitze, die Liberaldemokraten kamen auf vier. Im Vergleich zur vergangenen Regionalwahl 2016 gab es nur kleine Veränderungen. Sturgeons einst einflussreicher Amtsvorgänger Alex Salmond konnte mit seiner neu gegründeten Partei Alba keinen einzigen Sitz erringen.

Konservative landesweit stark, Labour-Sieg in Wales

Die Wahlen vom Donnerstag galten als wichtiger Stimmungstest. Es waren die ersten Kommunal- und Regionalwahlen nach dem Brexit und dem Beginn der Corona-Pandemie. Wegen der Hygiene-Maßnahmen dauerte die Stimmenauszählung zwei Tage.

In den restlichen Regionen Großbritanniens schnitten Johnsons Konservative stark ab. Die Tories schlugen die oppositionelle Labour-Partei in mehreren Hochburgen, darunter der traditionell von der Labour-Partei dominierte Wahlkreis Hartlepool im Nordosten Englands. Johnson, dessen Partei offenbar von der erfolgreichen Corona-Impfkampagne profitieren konnte, bezeichnete das Wahlergebnis als "sehr ermutigend".

Labour blieb allerdings stärkste Kraft im Regionalparlament von Wales und gewann mehrere wichtige Bürgermeisterwahlen, unter anderem in Liverpool, wo die 47-jährige Joanne Anderson die erste schwarze Bürgermeisterin wird. Auch in London wurde Bürgermeister Sadiq Khan von der Labour-Partei für eine zweite Amtszeit wiedergewählt.

Dennoch setzt das Ergebnis Labour-Parteichef Keir Starmer unter Druck, der bei seiner Wahl zum Vorsitzenden vor einem Jahr versprochen hatte, die Partei wieder aufzubauen. Nach der Wahl musste seine Stellvertreterin Angela Rayner ihren Posten räumen, einige Abgeordnete übten jedoch auch offen Kritik an Starmer. Starmer selbst erklärte, er sei "bitter enttäuscht" von dem Wahlergebnis. (APA, red, 9.5.2021)