"Ich fühle mich nicht als Schwarze, aber bei manchen Sachen dann schon." Doris – hier als Baby – mit ihrer Mutter, 1955.

Foto: Ausstellungskatalog "SchwarzÖsterreich"

"Mit den Haaren habe ich einen Tick", sagt Doris. "Früher habe ich nicht gewusst, dass man mit den Haaren auch etwas tun kann." Sie ist 1955 geboren und in Niederösterreich aufgewachsen. Heute wisse sie, wie man damit umgeht, sagt sie. Ihre Haare sind für Doris ein großes Thema – denn sie ist eines von rund 400 österreichischen Kindern, deren Väter schwarze US-amerikanische Besatzungssoldaten waren. Wie man mit dem dicken, lockigen Haar umgeht, konnte ihr niemand beibringen. Als schwarzes Kind war man damit in den 1950ern in Österreich ziemlich alleine.

Die Geburten dieser Kinder waren so etwas für die Nagelprobe für die junge, noch ungeformte österreichische Nation. Plötzlich kamen in diesem Land schwarze Kinder auf die Welt, nur wenige Monate nach dem Ende einer Diktatur, deren rassistischer Wahn von der angeblichen genetischen "Reinheit" einen millionenfachen Mord zur Folge hatte – und Jahrzehnte bevor Österreich seine wahre Rolle im Nationalsozialismus aufzuarbeiten begann.

Die Historikerin Ingrid Bauer von der Uni Salzburg und der Historiker Philipp Rohrbach vom Wiener Wiesenthal-Institut für Holocaust-Studien (VWI) forschen seit Jahren zu den Schicksalen der österreichischen Kinder schwarzer US-amerikanischer Besatzungssoldaten. Sie haben die aktuelle Ausgabe der Zeitschrift Zeitgeschichte (1/2021) zu dem Thema herausgegeben. Für ihre Arbeiten haben sie auch Doris interviewt, aus dem Transkript wird hier zitiert.

Der Reiz der schwarzen Soldaten

"Man muss bedenken, dass die meisten Menschen in Österreich zu dieser Zeit noch nie einen Menschen mit nichtweißer Hautfarbe gesehen haben", sagt Bauer zum STANDARD. Jene jungen schwarzen Männer, die in den amerikanischen Besatzungszonen in Wien, Salzburg und Oberösterreich auftauchten, haben also die entsprechende Aufmerksamkeit erhalten.

Und manche Frauen hätten sich zu dem für sie "exotischen" Äußeren der Männer eben auch hingezogen gefühlt. "Die afroamerikanischen Soldaten sind als sehr liebenswert, fürsorglich und kinderlieb im Vergleich zu den weißen amerikanischen Soldaten wahrgenommen worden", erklärt die Geschichtswissenschafterin.

Umgekehrt war der Einsatz in Europa für viele schwarze Soldaten von weniger Unterdrückung geprägt als der Alltag in den damals noch segregierten USA. Es entstanden also etliche Beziehungen und aus ihnen auch mehrere Hundert Kinder mit einer weißen Mutter und einem schwarzen Vater.

Verhinderte Beziehungen

"Mindestens die Hälfte der Beziehungen war – von den Hoffnungen her – längerfristig angelegt", sagt Bauer, "es waren keineswegs nur flüchtige Beziehungen oder Flirts, es gab die ganze Bandbreite." Doch es kam dann sehr oft etwas dazwischen. Hat die US-Armee Wind von den Liebschaften bekommen, seien Soldaten manchmal sehr unvermittelt versetzt worden. Einige Soldaten suchten um die Genehmigung einer Heirat an, die bei schwarzen Männern und weißen Frauen aber "fast immer abgelehnt wurde", sagt Bauer.

Auf absehbare Zeit waren also die allermeisten Väter schnell wieder von der Bildfläche verschwunden – spätestens mit dem Ende der Besatzung 1955. Auch Doris’ Vater war bald wieder zurück in den USA. "Alle paar Jahre hab’ ich eine Geburtstagskarte gekriegt, vielleicht waren auch einmal ein paar Dollar drinnen. Als Kinder, da haben wir immer gesagt: ,Wann kommt uns der besuchen?‘", erzählt sie.

Die Mütter waren Repressalien und Diskriminierung ausgesetzt: "Sie waren ständig im Abwehrkampf, wenn sie mit den Kindern in den 50er- und 60er-Jahren in der Stadt spazieren waren", sagt Bauer.

Viele Frauen wurden von ihren Familien verstoßen. Die unehelichen Kinder waren damals eine große Schande, umso mehr, wenn sie von den Besatzern stammten – und noch viel mehr, wenn sie schwarz waren. "Als sie die Kinder hatte, haben sie manche Männer als Schlampe beschimpft, hat sie gesagt", erzählt Doris.

Rassistische Adoptionsprogramme

Dazu kam das Gefühl, allein auf der Welt zu sein: Denn Österreichs schwarze Kinder waren über die amerikanischen Besatzungszonen verteilt – und jedes von ihnen habe geglaubt, das einzige Kind mit dunkler Haut zu sein, erzählt Rohrbach. Erst durch eine von Rohrbach und anderen organisierte Ausstellung zum Thema im Jahr 2016 haben einige von ihnen einander kennengelernt.

Das Ausmaß der rassistischen Diskriminierung, der diese Kinder ausgesetzt waren, wird auch durch die Adoptionsprogramme nach 1945 deutlich. Jugendämter waren nach dem Krieg sehr engagiert dabei, Kinder zu Familien im Ausland zu bringen – das hatte zunächst einmal gar nichts mit deren Hautfarbe zu tun: Durch die Folgen des Krieges waren viele Kindern elternlos, der Staat hatte die Obhut über sie.

Und auch über die allermeisten Kinder von Soldaten der Siegermächte: Denn sie kamen fast immer unehelich zur Welt, die Mütter waren Alleinerzieherinnen. Nach damaliger Rechtslage übernahm in diesem Fall das Jugendamt die Vormundschaft, weil kein Mann als "Familienoberhaupt" zur Verfügung stand.

"Es hat eine Reihe von Adoptionsprogrammen mit den USA gegeben", sagt Rohrbach, der sich intensiv mit diesem Teil der Geschichte auseinandergesetzt hat. Die Jugendämter waren vom Ansinnen getrieben, das Staatsbudget durch solche Auslandsadoptionen zu entlasten. Denn von den Vätern der Kinder waren keine Alimente einzutreiben. Versuche, dafür auf diplomatischem Weg an Geld aus den Vereinigten Staaten zu kommen, waren gescheitert.

Wirtschaftlicher Aufschwung

Um die budgetschonenden Adoptionen voranzutreiben, wurden auch die Mütter teils massiv unter Druck gesetzt, der Kindesabnahme zuzustimmen. Die Ämter drängten, dass es doch besser für das Kind sei, bei einer schwarzen Familie aufzuwachsen, dass die Idee, es hier aufzuziehen, "verrückt" sei.

Als aber in den 50er-Jahren langsam der wirtschaftliche Aufschwung einsetzte, wandelte sich die Einstellung der Jugendämter: Plötzlich bemühten sie sich, Kinder in Österreich zu behalten, um zum Bevölkerungswachstum beizutragen. Intern wurden Auslandsadoptionen untersagt.

Mit einer Ausnahme: Salzburg versuchte weiterhin, Kinder ins Ausland zu schicken. Im Jahr 1961 berichtete das dortige Jugendamt, dass für ein Kind endlich eine Familie in den USA gefunden werden konnte. Es hätte ja "keine Hoffnung auf eine Zukunft in Österreich" – und der Staat sei durch die Adoption von einer großen Last befreit worden.

Rohrbach sagt, man sei sehr bemüht gewesen, "sichtbare Überbleibsel der Besatzungszeit loszuwerden. Da sieht man explizit, dass das ein rassistisches Framing gehabt hat." Nur Wien wehrte sich gegen die Diskriminierung der schwarzen Kinder und lehnte ihre Kategorisierung ab: Mündel seien Mündel, erklärte die Stadt, die Hautfarbe spiele keine Rolle.

"Eine, die ein bisschen anders ist"

Was hat sich für Schwarze in Österreich seitdem geändert? Betroffene Kinder werden nicht mehr systematisch außer Landes gebracht. Es gibt schwarze Vorbilder: Politikerinnen, Sportlerinnen, Künstler. Aber auch sie sind Rassismus ausgesetzt.

Doris sagt heute: "Ich fühle mich nicht als Schwarze, aber bei manchen Sachen dann schon. Für meine Freundinnen bin ich schon immer die Exotische. Eine, die immer ein bisschen anders ist." (Sebastian Fellner, 28.5.2021)