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Jeden Abend kocht derzeit in Jerusalem die Gewalt hoch.

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Die israelische Polizei setzte am Wochenende Gummigeschoße und Blendgranaten gegen palästinensische Demonstrierende in Jerusalem ein.

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Der Wasserwerfer ist derzeit ein täglicher Gast in Sheikh Jarrah. Auch am Samstagabend fährt er in dem Ostjerusalemer Stadtteil vor. Polizeieinheiten in Kampfmontur verrichten ihr Werk, man hört das Krachen der Tränengasgranaten, man hört Rettungssirenen, Schreie.

Jeden Abend kocht in Jerusalem die Gewalt hoch. Die Polizei setzt Gummigeschoße ein, allein in der Nacht von Freitag auf Samstag wurden laut Rettungsangaben mehr als 200 protestierende Palästinenser verletzt, hundert in der Folgenacht. Rund vierzig Einsatzkräfte trugen Verletzungen davon. Demonstranten warfen mit Steinen, zündeten ein Auto an.

Protest gegen Zwangsräumung

Ein Auslöser dieser Proteste ist die bevorstehende Zwangsräumung von 13 Familien aus Sheikh Jarrah. Jüdische Siedler beanspruchen ihre Häuser. Das Gesetz macht es den Siedlern leicht. Können sie nachweisen, dass die Häuser vor 1948 einmal in jüdischem Besitz waren, geben Gerichte ihnen oft recht. Siedlerorganisationen suchen gezielt nach Immobilien, bei denen dieser Nachweis gelingt.

Das israelische Außenministerium betont, es handle sich in Sheikh Jarrah um einen "privaten Besitzstreit", der nun von palästinensischen Führern instrumentalisiert werde. Der zweite Teil dieses Satzes ist richtig. Die in Gaza regierende Hamas tut alles, um den Zorn angesichts der Räumungen für sich zu nutzen. Sie sagt den Protestierenden Unterstützung an allen Fronten zu – und das ganz wortwörtlich.

An der Gaza-Grenze fliegen wieder Raketen und Brandballons Richtung Israel. Auch im Westjordanland steigt die Gewalt. Ein Attentäter schoss vor einer Woche auf drei jüdische Studenten, einer davon starb. Am Freitag konnte laut Armeeangaben ein größeres Attentat im Zentrum Israels vereitelt werden.

Diplomatische Krise

Es ist alles andere als ein Privatstreit, der die Menschen in Sheikh Jarrah nicht schlafen lässt und der bei den Israelis Ängste vor einer neuen Intifada weckt. Abgesehen davon, dass in Jerusalem, der umkämpften Stadt, ein Besitzstreit selten unpolitisch ist, braut sich nun auch eine diplomatische Krise zusammen.

"Alarmiert" zeigen sich die Abgesandten des Nahostquartetts, dem die USA, Russland, die EU und die Vereinten Nationen angehören, angesichts der Vertreibung "palästinensischer Familien aus Häusern, in denen sie seit Generationen leben". In der arabischen Welt sind es auch die seit kurzem mit Israel versöhnten Vereinigten Arabischen Emirate und das Königreich Bahrain, die klare Worte der Verurteilung fanden. Und der jordanische Außenminister warf Israel "ein gefährliches Spiel mit dem Feuer" vor.

Das Weiße Haus verurteilte Gewalt auf israelischer und palästinensischer Seite. Unter den Demokraten mehren sich jedoch Stimmen, die ihre Kritik auf die Räumungen – also auf Israel – fokussieren.

Harsche Worte fand das UN-Hochkommissariat für Menschenrechte, es sprach von "Kriegsverbrechen". Das kann Israel nicht egal sein. Die Ankläger des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag gehen in den Ermittlungen, die derzeit gegen Israel und Hamas laufen, genau diesem Vorwurf des Kriegsverbrechens nach.

Gerichtsentscheidung verschoben

Der aktuelle Konflikt sollte am Montag auch vorm israelischen Höchstgericht ausgetragen werden, das über eine Petition der 13 von der Räumung bedrohten Familien entscheiden muss. Die Regierungsspitze setzte sich erfolgreich für eine Verschiebung ein – zu angespannt sei die Lage.

Trotz Warnungen vorerst nicht abgesagt wird hingegen jener Aufmarsch Hunderter jüdischer Jugendlicher am Montag, die fahnenschwenkend durch die Altstadt laufen werden, um der Eroberung Ostjerusalems durch Israel zu gedenken.

Dass die Gewalt eskaliert, liegt auch an jenen Bildern, die seit Freitag in den sozialen Medien kursieren. Da sieht man Handyvideos von Gläubigen in der Al-Aksa-Moschee, die von einer Blendgranate überrascht werden. Staatliche Waffengewalt in einer Moschee, noch dazu im heiligen Monat Ramadan – das ist Wasser auf die Mühlen jener, die sowieso Israelhass schüren, und ein Affront für Muslime generell.

Eskalierend wirkten auch Fotos jener Pilger, die am Samstag auf der Autobahn Richtung Jerusalem marschieren mussten, weil die Polizei ihre Busse gestoppt hatte. Es waren nicht Palästinenser aus dem Westjordanland, sondern israelische Staatsbürger aus Haifa oder Nazareth, die es eilig hatten, rechtzeitig zum Fastenbrechen bei Sonnenuntergang in Jerusalem zu sein. Die Busblockade wurde später aufgehoben – kurz vor Sonnenuntergang. (Maria Sterkl aus Jerusalem, 9.5.2021)