Nachdem die Stimmen in der britischen Hauptstadt London ausgezählt waren, stand fest: Sadiq Khan wurde als Bürgermeister im Amt bestätigt. Es war nur einer von wenigen Erfolgen für seine Labour-Partei.

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Die Ergebnisse haben die Demoskopen bestätigt: Allerorten sind bei den britischen Regional- und Kommunalwahlen am vergangenen "Super-Donnerstag" die jeweils regierenden Parteien und Personen gestärkt worden. Weil davon in England vor allem die konservative Regierungspartei von Boris Johnson profitierte, verstärkt sich der innerparteiliche Druck auf Labour-Oppositionsführer Keir Starmer. Ihm wird von Rechts und Links Führungsschwäche vorgeworfen.

Problematisch für den Premierminister bleibt der Umgang mit Schottland: Dort verbuchte die Nationalpartei SNP den vierten Wahlsieg in Folge. Ministerpräsidentin Nicola Sturgeon kündigte umgehend ein zweites Unabhängigkeitsreferendum bis spätestens Herbst 2023 an; dies hat Johnson stets ausgeschlossen.

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In einem Telefonat gratulierte der Premierminister Sturgeon zur Wiederwahl und lud sie zu einem Gespräch über die Covid-Folgen für das Gesundheitssystem und die Wirtschaft ein. Er wolle über "gemeinsame Herausforderungen" sprechen und darüber, wie "wir sie in den kommenden Monaten und Jahren bewältigen können", schrieb der Londoner Regierungschef in gleichlautenden Briefen an die Schottin, den ebenfalls klar im Amt bestätigten walisischen Labour-Premier Mark Drakeford sowie die gleichberechtigten Regierungschefinnen Nordirlands, Arlene Foster und Michelle O’Neill.

Referendum nach Corona

"Selbstverständlich" werde sie der Einladung Folge leisten, teilte Sturgeon mit. Die Konzentration auf den Kampf gegen Sars-CoV-2 und auf die wirtschaftliche Erholung hatte die 50-Jährige im Wahlkampf als klare Prioritäten bezeichnet.

In der BBC wies sie aber auch auf ihr Mandat für eine neuerliche Volksabstimmung über die Auflösung der Union mit England hin. Diese soll in der ersten Hälfte der fünfjährigen Legislaturperiode über die Bühne gehen, bedarf jedoch der Zustimmung des Unterhauses. Sollte Johnson wie angekündigt das Vorhaben verhindern, "wäre endgültig bewiesen, dass das Vereinigte Königreich keine freiwillige Union unterschiedlicher Nationen ist", argumentierte Sturgeon.

Die SNP verpasste am Donnerstag zwar die absolute Mehrheit der Sitze im Edinburgher Parlament um ein Mandat, kann sich aber auf die Unterstützung der Grünen verlassen. Alle Unabhängigkeits-Parteien gemeinsam erzielten 50,1 Prozent der Stimmen und verfügen über eine satte Mandatsmehrheit (72:57).

Verzögerungstaktik

Offenbar setzen Johnson und sein aus Schottland stammender Kabinettsbürominister Michael Gove auf Verzögerungstaktik. Jedenfalls vermieden beide in Interviews die Wiederholung einer Aussage des Premierministers vom vergangenen Jahr: Damals hatte Johnson die 2040er-Jahre als frühestmöglichen Termin für eine neuerliche Abstimmung ins Spiel gebracht.

Deutlich kurzfristiger wird derzeit in der Labour-Party gedacht. Der seit gut einem Jahr amtierende Oppositionsführer Starmer hatte am Freitag "die volle Verantwortung" für empfindliche Wahlschlappen bei den englischen Kommunalwahlen sowie der Nachwahl zum Unterhaus im nordenglischen Hartlepool übernommen. Tags darauf enthob er Angela Rayner ihres Amtes als Kampagnenmanagerin, machte indirekt also die vom Parteivolk gewählte Vizevorsitzende für die schlechten Ergebnisse verantwortlich.

Verteidigung Rayners

Das rief einen Sturm der Entrüstung hervor. Rayner gilt als eloquent und beliebt. Sie gehört zur Handvoll von Labour-Abgeordneten, die sich aus einfachen Verhältnissen hochgeboxt haben – eine Symbolfigur für jene Schichten, die der alten Arbeiterpartei zunehmend abhandenkommen. "Keir ist erledigt", teilte ein bisher stets loyaler Partei-Insider dem STANDARD mit. Der in Manchester mit zwei Dritteln der Stimmen wiedergewählte Labour-Bürgermeister Andrew Burnham machte seinen Protest öffentlich: "Ich unterstütze das nicht", schrieb der Ex-Minister auf Twitter.

Wie Burnham wurden auch die Labour-Bürgermeister von London und Liverpool, Sadiq Khan und Steve Rotheram, im Amt bestätigt, in Bristol konnte die Partei sogar das Rathaus erobern.

Hingegen verlor Labour nach starken Stimmverlusten an Johnsons Torys erstmals seit 102 Jahren die Kontrolle über die Bezirksregierung von Durham. Die Konservativen gewannen mehrere Rathäuser hinzu. Die entsprechenden Unterhaus-Wahlkreise müsste die Oppositionspartei gewinnen, um 2024 eine Chance auf den Sieg zu wahren. Freilich bräuchte die einst dominante Partei dann auch eine Erholung in Schottland, wo Labour Verluste erlitt. (Sebastian Borger aus London, 9.5.2021)