Tran To Nga wirkt robust, aber das ist nur der äußere Schein. Die Finger einer Hand genügen nicht, um ihre schweren Leiden aufzuzählen: Brustkrebs, Diabetes Typ 2, hoher Blutdruck, Alpha-Thalassämie, die Hautkrankheit Chlorakne, Herzprobleme.

Heute kennt die 79-jährige Franko-Vietnamesin die Ursache: Herbizide, eingesetzt im Vietnamkrieg in den Jahren von 1961 bis 1971. 80 Millionen Liter versprühte die amerikanische Armee damals, um ganze Wälder zu entlauben und Vietcong-Soldaten aufzuspüren. 46 Millionen Liter enthielten Agent Orange, produziert vom US-Chemiehersteller Monsanto (der heute zum deutschen Chemiekonzern Bayer gehört).

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Das Umweltgift Agent Orange forderte in Vietnam hunderttausende Todesopfer und hat heute noch grausame Folgen.
AP/Thibault Camus

Doch das wussten die Vietnamesen damals noch nicht. Tran To Nga erinnert sich, wie sie Ende 1966 in Cu Chi – nördlich von Saigon – in eine von einem Flugzeug abgeworfene Wolke mit einem klebrigen Pulver geraten sei. Es habe eine orange Färbung gehabt und einen beißenden Geruch verströmt. Die 24-jährige Frau wusch sich, aber nur kurz, denn es eilte damals auf dem gefährlichen Ho-Chi-Minh-Pfad.

Grausamer Tod

Die ersten Körpersymptome fielen nicht sofort auf. 1969 brachte die im Krieg als Lehrerin und Journalistin tätige Frau ihre erste Tochter zur Welt. Sie starb 17 Monate später an Atembeschwerden, nachdem sich ihre Haut in Fetzen vom Körper gelöst hatte. "Ich konnte sie nicht einmal in meine Arme nehmen", schreibt Frau Tran in ihrem Buch Mein vergiftetes Land, das 2015 im französischen Verlag Stock erschienen ist und die Autorin in Vietnam zu einer bekannten Persönlichkeit machte.

Während des Krieges, aber auch noch in den Jahren danach, wussten die Vietnamesinnen nicht, dass sich die Leiden auf ihre Kinder übertrugen. Agent Orange, das auch das Gift Dioxin enthält und direkt das Erbgut angreift, hat in Vietnam Hunderttausende von Todesopfern gefordert und Millionen von Kranken verursacht.

Viele Familien versteckten aber zuerst ihre schwerbehinderten Kinder aus Angst, Opfer eines Fluchs geworden zu sein, erzählt Tran To Nga. Als ihre Tochter gestorben sei, habe man hinter ihrem Rücken geraunt, das sei wohl eine Bestrafung für Verfehlungen in einem früheren Leben.

Noch heute, in der vierten Generation, kommen in Vietnam jährlich rund 6.000 Säuglinge mit Missbildungen und schweren Krankheiten auf die Welt. Arme fehlen, Kinder erblinden, andere entwickeln Geschwüre. Erwachsene können sich nicht mehr aufrecht halten, zittern ständig.

Zwei weitere Töchter der 79-jährigen Franko-Vietnamesin sind noch am Leben, beide sehr angegriffen. Eine Enkelin hat Herzprobleme. Das bewog Frau Tran schon in den Neunzigerjahren dazu, vor einem US-Gericht Schadenersatz zu verlangen – nicht für sich selbst, sondern für ihre und alle betroffenen Kinder, wie sie sagte.

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Tran To Nga reichte an ihrem heutigen Wohnort Evry, in der Region Île-de-France, Klage ein.
AP/Thibault Camus

In New York blitzte sie ab. Die Amerikaner hatten zwar 1984 nahezu 180 Millionen Dollar an Entschädigungen bezahlt – aber nur an amerikanische Vietnamkriegsveteranen, die mit Agent Orange in Kontakt gekommen waren. Vietnamesen sind dafür nie noch entschädigt worden.

Klage gegen Chemieriesen

Im Jahr 2004 erhielt Frau Tran, deren Eltern schon gegen die französischen Kolonialherren gekämpft hatten, auch wenn sie nie Mitglied der lokalen KP waren, vom damaligen französischen Präsidenten Jacques Chirac den Orden der Ehrenlegion zugesprochen. Dadurch ermutigt, reichte sie an ihrem heutigen Wohnort Evry, in der Region Île-de-France, Gerichtsklage ein. Diese richtete sich gegen gut ein Dutzend Chemiekonzerne wie Monsanto oder Dow Chemical, die das Herbizid Agent Orange geliefert hatten.

Bei Prozessbeginn im Jänner stellten diese Unternehmen die Zuständigkeit des Gerichts in Abrede. Doch die Gesetzgebung Frankreichs lässt solche Klagen zu.

Heute behauptet Monsanto, Frankreich könne nicht über das Verhalten eines anderen Staates in Belangen der "nationalen Verteidigung" urteilen. Bayer führt an, den Einsatz von Agent Orange hätten nicht die Unternehmen beschlossen und durchgeführt, sondern die amerikanischen Behörden.

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Bei Prozessbeginn im Jänner stellten die betroffenen Unternehmen die Zuständigkeit des Gerichts in Abrede. Unterstützer der Franko-Vietnamesin forderten Gerechtigkeit.
Foto: AP/Thibault Camus

Der deutsche Konzern erbt mit Agent Orange eine weitere Monsanto-Affäre nach dem Glyphosat- und dem PCB-Skandal (Polychlorierte Biphenyle wurden häufig zur Kühlung eingesetzt, mit toxischen Folgen für die Umwelt).

Die beschuldigten Konzerne verschleppen den Prozess mit allen Mitteln. Nach einer Verurteilung heute Montag würden sie zweifellos Berufung einlegen, um Zeit zu gewinnen. Ein Arzt hatte Tran To Nga nämlich noch fünf Jahre Lebenserwartung in Aussicht gestellt. Das war vor vier Jahren gewesen.

Ökozid

Die Franko-Vietnamesin lässt sich dadurch nicht entmutigen. Wenn das Verfahren noch etwas läuft, will sie die Klage auch durch den Tatbestand des "Ökozids" – eines Verbrechens an der Natur – erweitern.

Diesen hat die französische Nationalversammlung Anfang Mai in ihr neues Klimagesetz aufgenommen. Der Einsatz eines Entlaubungsmittels in Kriegszeiten böte sich als erste praktische Illustration eines Ökozids geradezu an. Mehr als ein halbes Jahrhundert nach den Sprühflügen wüchsen in Vietnam ortsweise wie in Science-Fiction-Filmen "seltsame Riesenpflanzen", wie Tran To Nga erzählt. In Vietnam nenne man sie "die amerikanischen Gewächse". (Stefan Brändle, 10.5.2021)