Videokünstler Su Zhong spielt mit Bildwelten von Terrakotta-Kriegern bis zu Straßenüberwachung.

Su Zhong

Die Kurzfilmtage in Oberhausen haben in der Regel einen günstigen Termin: Anfang Mai, kurz vor Cannes. Manche Besucher fahren auch tatsächlich direkt aus dem Ruhrgebiet an die Croisette. Im Vorjahr war dieser Termin dann alles andere als günstig: Im ersten Lockdown blieben nur wenige Wochen, um das gesamte Programm auf ein Online-Angebot umzustellen. Dieses Jahr fiel das traditionsreiche Festival neuerlich in eine Zeit der geschlossenen Kinos.

Die 67. Ausgabe geht heute, Montag, zu Ende. Und an das gewohnt vielfältige Programm ging man natürlich auch mit der Frage heran: Welche Spuren hat wohl die Pandemie in den neuesten Produktionen hinterlassen? Grob gesprochen: An manchen Stellen sind die Folgen sehr deutlich – insgesamt allerdings ging es zumindest in den für Oberhausen 2021 ausgewählten Filmen überwiegend ohne Masken weiter.

Direkt gegen Johnson

Einer der deutlichsten Gegenwartsbezüge fand sich in Covid Messages vom legendären britischen Experimentalfilmer John Smith. Er geht direkt auf den britischen Premier Boris Johnson los, indem er Aufnahmen von dessen Pressekonferenzen und Reden so manipuliert, dass die konfuse Corona-Politik im Vereinigten Königreich bis zur Jahreswende als Versuch erkennbar wird, das Virus durch Beschwörungen und Zauberei unter Kontrolle zu bringen.

Gute Intervention

Für Smith müssen die aktuellen Wahlen in seinem Land eine große Enttäuschung gewesen sein, denn er hält Johnson offenkundig für einen Scharlatan – und nebenbei auch für korrupt, denn ein Großteil der Förderungen ging, folgt man den Covid Messages, an Firmen, die Johnson und seiner Partei nahestehen, und nicht an die eigentlich Betroffenen. Der Film von Smith ist Interventionskino der besten Art und wird in der visuellen Geschichte des letzten Jahres einen prominenten Platz einnehmen.

In dem brasilianischen Beitrag Look Forward to Our Independence hingegen ist Covid die große Lücke zwischen 2019 und 2021, die Bruna Carvalho Almeida und Brunna Laboissière überbrücken. 2019 fuhren sie, auf der Suche nach politischer Orientierung, nach Algerien. Sie gerieten dort in die Volksbewegung Harak, die mit Großdemonstrationen das korrupte System in ihrem Land beseitigen will.

Ein Rückschlag

Eine junge algerische Feministin wurde für sie zu einer Schlüsselfigur, die sie aus Sicherheitsgründen allerdings nicht zeigen können. Corona erwies sich für die Harak-Bewegung als Rückschlag, wie auch für den Schulterschluss zwischen jungen Engagierten aus zwei Ländern des globalen Südens.

Mit dem Film Look Forward to Our Independence beginnt der Kampf nun von neuem, und zwar nach dem Willen der beiden Filmemacherinnen auch in Brasilien, wo die Politik ebenfalls vielfach gegen das Volk agiert. Bei einem Festival, bei dem man bereits an einem Abend schnell einmal auf zehn, zwölf Filme kommt, ist es natürlich ein vergebliches Unterfangen, nach größeren Linien und Zusammenhängen zu suchen.

Politische Neugier

Die Stärke des Festivals liegt gerade darin, dass man völlig unerwartet auf spannende Dinge stoßen kann, denn die Programmierung gehorcht eben keinem Algorithmus, sondern allein dem Prinzip intellektueller, ästhetischer und politischer Neugierde.

Unerwartet – in einem sehr speziellen Sinn – war zum Beispiel Misty Picture von Matthias Müller und Christoph Girardet. Wenige Monate vor dem 20. Jahrestag von 9/11 widmen sich die beiden Stars des Montagefilms den Türmen des World Trade Centers, die 2001 mit Flugzeugen aus der Skyline von New York gelöscht wurden.

Müller und Girardet haben zahllose Filme zusammengetragen, in denen die Twin Towers prominent auftauchten. Und obwohl man denken könnte, dass dabei an Klischees kein Weg mehr vorbeiführt, haben sie daraus eine grandiose Erzählung gestaltet. Eine Erzählung über ein Ereignis, das längst Geschichte ist, und das sie in ein eigentümliches Wechselverhältnis von Vorahnung und Trauerarbeit setzen. Klüger sind mit diesem Schlüsseldatum der jüngeren Zeitgeschichte noch nicht viele umgegangen.

Videokunst aus China

Der tatsächlich wohl größte Flash dieser 67. Kurzfilmtage kam schließlich von dem chinesischen Videokünstler Su Zhong. Sein Film heißt 8’28’’ und dauert so lange, wie es der Titel sagt: nicht mehr als acht Minuten und 28 Sekunden. Diese knappe Zeit ist allerdings bis zum Rand gefüllt mit einer Point-of-View-Kamerafahrt, die in einer Rückwärtsbewegung ein gigantisches Gemetzel in einem fantastischen Globalistan andeutet.

Der Videokünstler Su Zhong spielt mit Bildwelten von Terrakotta-Kriegern bis zu Straßenüberwachung und macht daraus große Animationskunst.

Der chinesische Videokünstler Su Zhong bringt in seinem Film 8’28’’ in Kurzform sehr dynamische und ausufernde Bilderwelten zum Leuchten. (Bert Rebhandl, 10.5.2021)