Der vergangene 1. Mai ist irgendwie ein Sinnbild für den Status quo der Sozialdemokratie. Durch die Corona-Pandemie konnte - wie bereits im Vorjahr - ihre traditionsreichste Veranstaltung und beste Chance der Machtdemonstration, der berühmte Maiaufmarsch, nicht stattfinden. Der Aufmarsch war im Verständnis einer Anamnese und Exploration der Partei bereits die Jahre zuvor mehr als nur das Symptom, woran die Bewegung kränkelt oder, exakter formuliert, erkrankt ist. Zuerst wurde Werner Faymann, immerhin von 2008 bis 2016 Bundeskanzler, ausgebuht, um dann von Christian Kern abgelöst zu werden, der sogleich nach großer Anfangseuphorie seine erste Wahl verlor. Kurze Zeit später kehrte der einstige ÖBB-Chef der Politik den Rücken. Auf Kern folgte Pamela Rendi-Wagner, die sich bis heute, allen Unkenrufen zum Trotz, an der Spitze der SPÖ hält.

Treue Basis und Parteischickeria

Erinnert man sich zurück an die letzten Maiaufmärsche, sah man auf der Tribüne Sozialdemokraten vermehrt älteren Jahrganges, die von nah und fern kamen und denen man, fernab der ebenso vorhandenen Vertreter der Parteischickeria, ihren Glauben an die Werte der Sozialdemokratie abnahm: Axiome wie Freiheit, Gleichheit, Gerechtigkeit, Solidarität. Die Genossen der sogenannten Basis, wie ebenso noch manche Vertreter aus den vorderen Reihen der SPÖ, leben diese Grundsätze soweit es ihnen die Realität erlaubt, während andere die Gemeinschaft als Netzwerk zu nutzen wissen. Dies wäre an sich nichts Verwerfliches, wenn dies für viele von Vorteil wäre. Die beschriebenen alten Parteimitglieder werden aber immer weniger und die Generation SPÖ 4.0 sucht nach ihrer Identität und Leitthemen, die sie von anderen Mitbewerbern unterscheiden. “Gerechte Krisenfinanzierung, Klimawandel, Kampf um jeden Arbeitsplatz – so klar wie jetzt war es noch nie, warum es die Sozialdemokratie braucht“, so die SPÖ-Abgeordnete Julia Herr. Doch braucht es dazu die SPÖ oder schreiben sich diese Überschriften nicht nahezu alle anderen Parteien - bis auf die FPÖ, die vielleicht das Schlagwort Klimawandel streichen würde - auf ihre Fahnen?

Die SPÖ auf der Suche nach ihrer Identität.
Foto: APA/HELMUT FOHRINGER

SPÖ: Wem die Stunde schlägt

Für die SPÖ tickt die Uhr, denn schafft diese es nicht bald eigene breitenwirksame Themen in Assoziation mit ihrem Parteiprofil zu bringen, dann droht sie in der Bedeutungslosigkeit zu versinken. Es ist nicht mehr so, dass mit dem Bekenntnis zu der sozialdemokratischen Wertegemeinschaft oftmals Vorteile wie zum Beispiel ein Job verbunden sind. Manche Annehmlichkeiten gelten, wenn überhaupt, nur mehr für wenige unter den vielen. Das signifikante Kernproblem der Roten ist, dass es ihnen an emotionaler Bindung zu den Wählern fehlt. Während sich die FPÖ trotz innerer Machtdysbalancen auf dem Weg befindet, sich im Kontext der Corona-Thematik erneut aufzuladen, fehlt der SPÖ der Draht zu den von ihnen vielfach so gern erwähnten Menschen. Das neuronale Netzwerk zu den Bürgern funktioniert aber nicht mit Floskeln, sondern mit Emotionen. Hier ist ihnen der Politroutinier Herbert Kickl, Populismus und Extremismus hin oder her, Lichtjahre voraus. Dabei wäre das Ganze so einfach: Raus aus der Löwelstraße hin zu den Bürgern, die nicht automatisch die Werte der Sozialdemokratischen Partei Österreichs teilen.

Hier holt man sich sicher viel an Frust und Ablehnung ab, aber über kurz oder lang gewinnt man mithilfe dieses therapeutischen Marathons für die Partei viele Sympathisanten zurück und neue dazu. Peter Kaiser, der einst alles andere als eine große Hoffnung der SPÖ gegen die FPK-Übermacht in Kärnten war, schaffte es durch Konsequenz und Ausdauer in seiner Politkarriere zum unangefochtenen Landeshauptmann im Süden Österreichs. Aber wie formulierte es schon der geniale Sir Peter Ustinov in Zusammenhang mit Analysen von Experten: “Die letzte Stimme, die man hört, bevor die Welt explodiert, wird die Stimme eines Experten sein, der sagt: ‘Das ist technisch unmöglich‘“. Jedoch wusste dieser ebenfalls, dass man nie satt ist vom Leben und vom Lernen. Hoffentlich geht es der stolzen SPÖ ebenso. (Daniel Witzeling, 17.5.2021)

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