Auskunftspersonen stehen in parlamentarischen U-Ausschüssen unter Wahrheitspflicht. Möglichkeiten sich der Aussage zu entschlagen gibt es jedoch bereits.

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Die ÖVP hält die Diskussion über eine Abschaffung der Wahrheitspflicht in parlamentarischen Untersuchungsausschüssen weiter am Köcheln. Tourismusministerin Elisabeth Köstinger (ÖVP) verteidigte den umstrittenen Vorschlag jüngst in der ORF-"Pressestunde". Man müsse die Wahrheitspflicht hinterfragen, damit der U-Ausschuss "nicht zu einem politischen Schauspiel verkommt, einer politischen Löwingerbühne", meinte die Politikerin. Angestoßen hatte die Diskussion Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP), derzeit zudem Vorsitzender des Ibiza-U-Ausschusses. Auskunftspersonen hätten dort "ungeheure Sorgen", etwas Falsches zu sagen, so seine Begründung. Die Strafverteidigerin Alexia Stuefer sieht im Gespräch mit dem STANDARD dafür keine Notwendigkeit, sondern hält den Vorstoß vielmehr für einen Frontalangriff auf die Demokratie.

ÖVP-Ministerin Elisabeth Köstinger will "Ideen", wie jene von Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka, der die dort herrschende Wahrheitspflicht hinterfragte, "nicht von vornherein verteufeln".
ORF

STANDARD: Welche strafrechtlichen Konsequenzen hat es, wenn eine Auskunftsperson im Untersuchungsausschuss unter Wahrheitspflicht falsch aussagt?

Stuefer: Ist ein Anfangsverdacht gegeben, müssten die Strafverfolgungsbehörden ein Ermittlungsverfahren wegen der Verdachts der falschen Beweissage einleiten.

STANDARD: Welche Möglichkeiten haben Auskunftspersonen, sich der Aussage zu entschlagen?

Stuefer: Läuft die Auskunftsperson Gefahr, sich durch die wahrheitsgemäße Aussage selbst zu belasten, hat sie die Möglichkeit der Aussageverweigerung. Ebenso, wenn sie durch ihre Aussage Angehörige der strafrechtlichen Verfolgung aussetzen würde. Berufsgruppen mit gesetzlicher Verschwiegenheitsverpflichtung wie etwa Anwältinnen oder Ärzte können sich ebenfalls entschlagen, wenn sie Informationen, die ihnen aufgrund ihres Berufs bekannt wurden, preisgeben müssten. Wegen solcher innerer Dilemma bleibt eine Falschaussage in Ausnahmefällen sogar im Nachhinein straflos. Das Gesetz spricht in solchen Fällen von einem Aussagenotstand.

Alexia Stuefer sieht keine sachliche Notwendigkeit für eine Änderung der Auskunftspflicht in Untersuchungsausschüssen.
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STANDARD: Braucht es dann überhaupt eine Abschaffung der Wahrheitspflicht, wie Wolfgang Sobotka sie sich vorstellen kann?

Stuefer: Nein. Eine Änderung ist nicht erforderlich. Auskunftspersonen sind durch die bestehenden Gesetze bereits vollständig geschützt. Es wird sogar mit einkalkuliert, dass eine Aussage vor so einem Gremium mit einer gewissen Nervosität verbunden ist. Das Gesetz erachtet sie aber zu Recht als zumutbar. Die Mitwirkung an einem demokratisch legitimierten Gremium wie einem Untersuchungsausschuss ist eine Verpflichtung gegenüber dem Parlament. Dort an der Demokratie mitzuwirken sollte selbstverständlich sein. Erst recht für Personen, die für den Staat arbeiten. Abgesehen davon sind viele Auskunftspersonen an öffentliche Auftritte gewöhnt.

STANDARD: Warum gibt es diesen Vorschlag dann?

Stuefer: Das Ansinnen, an der Wahrheitspflicht zu rütteln, ist meines Erachtens rein parteipolitisch motiviert und ein frontaler Angriff auf die Demokratie. Denn eine sachliche Notwendigkeit für eine derartige Änderung wurde nicht genannt.

STANDARD: Können Sie den jüngsten Vorwurf von Tourismusministerin Köstinger nachvollziehen, der Untersuchungsausschuss sei ein politisches Schauspiel?

Stuefer: Ich verstehe nicht, weshalb ein U-Ausschuss ein Schauspiel sein soll. Geändert hat sich in den vergangenen Jahren einzig, dass es die Digitalisierung einer breiteren Öffentlichkeit erlaubt, die Vorgänge im Untersuchungsausschuss näher zu verfolgen. Die Arbeit der Abgeordneten kann unmittelbarer mitverfolgt werden, ebenso die Aussagen der Auskunftspersonen. Und das ist aus demokratiepolitischer Sicht sehr begrüßenswert. Politik sollte ja sichtbar sein. Offenbar missfällt dies aber bestimmten Personen – hier insbesondere ersichtlich jenen, die zu den zu Kontrollierenden zählen. Dabei müsste die Politik über unmittelbare Reaktionen oder auch Kritik aus der Bevölkerung froh sein. Selbstverständlich darf von Auskunftspersonen, etwa aus der Verwaltung, aus staatsnahen und staatsfernen Unternehmen erwartet werden, dass sie die Wahrheit sagen, ebenso, dass sie sich einen Auftritt in einer demokratischen Institution zutrauen. Wer zur Demokratie und ihren Institutionen steht, fühlt sich auch der Wahrheit verpflichtet. (Davina Brunnbauer, 10.5.2021)