Die Behauptung, ein Unternehmen sei innovativ, geht in einem unüberschaubaren Meer gleichlautender Statements unter. So wichtige Leitbilder wie Nachhaltigkeit und Unternehmensverantwortung drohen oft in einem Strudel von Wohlfühlbekenntnissen an Kontur zu verlieren. Buchstäblich jedes Unternehmen behauptet heute von sich, nachhaltig zu wirtschaften, verantwortungsvoll zu agieren und auf seine Stakeholder zu hören. Bla, bla, bla. Auch die US-Army hat einen Nachhaltigkeitsbericht veröffentlicht … Bullshit-Alarm!

Die besinnungslose Verwendung gut klingender Buzzwords erfüllt natürlich eine Funktion, nein: mehrere Funktionen. Im Arbeitsleben dient die dauernde Anrufung von Menschlichkeit, Teamfähigkeit und Kollegialität ganz wesentlich der Idealisierung und Mystifizierung von Arbeit, wie Jens Bergmann jüngst in seinem Buch über Business Bullshit gezeigt hat (Duden-Verlag).

Um das Thema gründlich zu verstehen, sollte man Harry G. Frankfurts 2006 auf Deutsch erschienenen Klassiker Bullshit lesen (Suhrkamp-Verlag). Eine zentrale Message des (erstmals bereits 1986 publizierten) Textes: Bullshit ist eben nicht Lügen – sondern die Indifferenz gegenüber der Wahrheit. Wer Bullshit betreibt, lügt nicht notwendigerweise – der Bezug zur Wahrheit ist schlicht wurscht. Für Frankfurt macht die "Gleichgültigkeit gegenüber der Frage, wie die Dinge wirklich sind", das "Wesen des Bullshits" aus.

Hochtrabende Formulierungen, Irreführungen, Verfälschungen – all das sind Dinge, die man schon bei Frankfurt findet und die man in Diskursen über Management, Innovation und Nachhaltigkeit wiedererkennen kann. In diesem Kontext ist Frankfurts Auffassung interessant, das Hochtrabende sei nicht Bestandteil des Wesens von Bullshit, sondern sein Motiv. Bullshit "macht" man also (auch), weil man hochtrabend daherkommen will. Damit sind wir mitten im Problem: Bullshit tarnt nicht nur ungute Verhältnisse in der Arbeitswelt und ist hochgradig unproduktiv – es nervt auch gehörig, wenn Leute ohne viel Ahnung sich in Plastikwörtern, Phrasen und Plattitüden ergehen, um schlauer auszusehen, als sie sind.

Bullshit tarnt nicht nur ungute Verhältnisse in der Arbeitswelt und ist hochgradig unproduktiv – es nervt auch gehörig, sagt Ökonom und Nachhaltigkeitsforscher Fred Luks.
Foto: Getty Images/iStockphoto

Ahnungslosigkeit

Mein Lieblingsbeispiel ist ein Fall, über den die Frankfurter Allgemeine Zeitung genüsslich berichtete: Offensichtlich in dem Bestreben, theoretische Dignität zu simulieren, wurden in deutschen Wirtschaftsmedien Bezüge zwischen Agilität und dem Agil-Schema des US-amerikanischen Soziologen Talcott Parsons behauptet. Parsons’ Theorie (die in Fachkreisen übrigens als veraltet gilt) hat freilich nicht das Geringste mit Agilität zu tun: Es geht ihm im Gegenteil um Stabilität – und sein Schema könnte auch Liga, Gila oder Gail heißen. Auch dieses Beispiel zeigt: Es geht beim Bullshit weniger um Lügen als vielmehr um ahnungsloses Abfeuern hochtrabend klingender Statements in völliger Aussparung eines Realitäts- oder Theoriebezugs. Auch hier: Es ist wurscht.

Wohl deshalb war es möglich, dass sich im Managementsprech eine überaus flache Rezeption vermeintlich wissenschaftlicher Erkenntnis verbreiten konnte. Aktuell kann man das nirgends besser nachlesen als in Adrians Daubs Essay Was das Valley denken nennt, der 2020 bei Suhrkamp erschienen ist. Bullshit kommt bei Daub als Begriff gar nicht vor – dennoch seziert er das Phänomen auf höchst erkenntnisfördernde Weise. Daub ergründet die Wurzeln des Denkens, mit dem die Technologiebranche wirtschaftlich erfolgreich und kulturell wirkmächtig geworden ist.

Das flache Denken

Er zeigt in seiner tiefgründigen Analyse die Flachheit dieses Denkens. Dabei befasst Daub sich immer wieder mit "Konzepten und Ideen, die vorgeblich neuartig, in Wahrheit jedoch sehr alte Motive in neuer Verkleidung sind". Daub stellt auch den pseudorevolutionären Gestus bloß, der hier regelmäßig am Werk ist: Regelkonformität wird als Wagnis verkauft, Konventionalität als Exzentrik, Mainstream als Innovation. Joseph Schumpeter würde sich im Grabe umdrehen.

Die Simulation von Innovativität ist ein Problem für Wirtschaft und Gesellschaft, die dringend auf wirklich neue Ideen angewiesen sind. Die Probleme der Gegenwart werden sich ohne technische und soziale Neuerungen nicht lösen lassen. Dazu braucht es Fantasie, Ideenreichtum und echte Abweichungen vom Mainstream – aber auch Fachkenntnis, Erfahrung und einen Blick für das Wesentliche. Der wird durch Bullshit regelmäßig verstellt.

Das Problem ist, dass man sich an Bullshit zunehmend gewöhnt und den Wortschwall unkritisch über sich ergehen lässt: in Ratgebern, bei Präsentationen, auf Pressekonferenzen. Das ist gefährlich. Denn wenn Bullshit im Wesentlichen eine Tarnung ist, sollte man fragen, was sich da eigentlich tarnt. Und nicht vergessen, dass Begriffe wie Transformation und Innovation nicht nur Schlagwörter sind, sondern tatsächlich inhaltlich anspruchsvolle Konzepte sein können.

Unangenehm und peinlich

Was sich hier breitmacht, ist geradezu der Kern von Bullshit: Man nimmt unverstandene Begriffe und Theorien, lässt ihren Kontext links liegen, quatscht drauflos und füllt damit Powerpoint-Folien. Wo Kompetenz und Ideen fehlen, soll Bullshit flaches Denken nobilitieren. Die Verbreitung dieses Verfahrens ist unproduktiv – und unangenehm. Es hat immer etwas Peinliches, wenn Möchtegern-Alphatiere ihre Verhaltensauffälligkeit als innovatives Rebellentum verkaufen wollen. Oder wenn schlecht organisierte Chaoten insistieren, ihre notorische Unzuverlässigkeit sei Ausdruck von Agilität und schöpferischer Energie.

Dass Bullshit-Produzierende uns auf die Nerven gehen und mit Kompetenzsimulation auch noch Karriere machen, ist für Unternehmen und Mitarbeitende ein Problem. Aber auch als Gesellschaft könnte dieses Phänomen uns teuer zu stehen kommen: Wo Herausforderungen wie Corona, Klimaerwärmung und Digitalisierung zu bearbeiten sind, hilft Bullshit nicht weiter. Denn Bullshit bremst – und ist damit nicht innovativ, sondern am Ende stockkonservativ. Es ist höchste Zeit für eine Renaissance von Perspektivenvielfalt und Fachkompetenz. Denn wenn durch Bullshit getarnte Ahnungslosigkeit zur Normalität wird, ist das gefährlich – nicht nur in der Corona-Krise. (Fred Luks, 11.5.2021)