Einsamkeit vor Instagram: "Before we know it, too much time has passed and we’ve missed the chance to have had other people hurt us." Von Muntean/Rosenblum (2000).
Foto: Muntean/Rosenblum

Obwohl viele große Ausstellungen verschoben wurden und die Museen zwischenzeitlich geschlossen waren, trifft man den Direktor der Wiener Albertina ungewohnt gut gelaunt an. Seit vergangener Woche haben die Ausstellungshäuser auch in der Ostregion wieder geöffnet. Um das Publikum in die beiden Häuser der Albertina zu locken, werden die Ticketpreise bis Ende Mai um die Hälfte reduziert. Auch für die neue Schau in der Albertina Modern – die dritte in dem neuen Haus vis-à-vis der Karlskirche.

Unter dem Titel Wonderland hat sie Klaus Albrecht Schröder als Fortsetzung zu The Essl Collection konzipiert. Dabei handelt es sich um eine Schausammlung mit Kunst nach 1945. Jene Strategie will er auch nach der Pandemie weiterfahren: Zwischen die großen Ausstellungen sollen sich immer wieder Schwerpunkt-Präsentationen aus dem Albertina-Bestand reihen. Aus welchen Umfängen geschöpft werden kann, macht Wonderland deutlich: Etwa ein Drittel der 110 ausgestellten Arbeiten – ausgewählt aus 65.000 Werken – stammt aus der Essl-Sammlung, der Rest setzt sich aus Werken der Batliner-Sammlung sowie Familiensammlung Haselsteiner, Neuerwerbungen und Schenkungen zusammen.

Happy End bis zum Abgrund

Thematisch wird hier die Idee des Wunderlands wie ein Purpurmantel über die spielerisch miteinander kombinierten Werke (vorwiegend Malerei) geworfen. Inspiriert ist dieser Ausgangspunkt von den pastelligen Collagen der Künstlerin Fiona Rae. Von diesen aus schlägt Schröder einen gedanklichen Bogen zu dem Kinderbuch Alice in Wonderland von Lewis Carroll. Wobei nicht nur die fröhliche Disney-Seite, sondern auch die Abgründe einer Fantasiewelt mit all ihren emotionalen Facetten wie Einsamkeit, Abscheu oder Besessenheit gezeigt werden.

So wirken knallige Plastilin-Bilder der Künstlergruppe Gelatin oder Skulpturen von Franz West und Erwin Wurm im ersten Moment witzig, kippen aber im nächsten zu monströsen Schreckensbildern. So liegen bei Mark Quinn zwar zwei Skelette zum Koitus aufeinander, verharren aber in ewig-knöchriger Vanitas. Genau diesen Kippmoment nimmt sich die Schau als Ganzes vor: Neben der heiteren Pop-Art von Warhol, Liechtenstein oder Alex Katz begegnet man einsamen Figuren – seien es Jugendliche am Stadtrand bei Muntean/Rosenblum oder vom Leben gezeichnete Schicksale bei Georg Baselitz und Maria Lassnig. Ob die beiden so gegenübergestellt zusammenpassen, ist in dieser Welt egal. "We are all mad here", heißt es schon von Carrolls Grinsekatze.

Der Titel "Wonderland" ist inspiriert von der gleichnamigen Collage der Künstlerin Fiona Rae.
Foto: (c) Bildrecht 2021 / Buchmann Galerie Koeln

Nicht zwingend utopisch

So bekommt Albert Oehlen mit seinen wild durchsetzten Mustern einen ganzen Raum zugeteilt, und die deutschen Großmeister Markus Lüpertz, Anselm Kiefer, A. R. Penck und Jörg Immendorff teilen sich einen Saal. Von Letzterem stammt auch Schröders Lieblingswerk: Die Arbeit ohne Titel aus 2006 zeigt eine düster-surreale Szene mit Duchamp, Hitler, Nam June Paik und dem Akt auf der Treppe. Man merkt: Die Fantasie muss nicht zwingend utopisch sein.

Fast erdrückt von dieser düsteren Vergangenheitsbewältigung irrt man zum Winzling geschrumpft hinein in eine Wolke aus Farben und freien Formen: Cecily Brown, Wolfgang Hollegha, Katharina Grosse und Franz Grabmayr feiern das abstrahierte Spektakel. Mal ist es zart und nebelig, dann fest oder pastos. Angesicht dessen wächst man als Betrachterin wieder, saugt alles in sich auf.

Sinn macht hier nichts mehr: Vorbei an surrealen Welten von Markus Schinwald und trostlosen Fassaden von Franz Zadrazil taumelt man zu grotesk ehrlichen Schwarz-Weiß-Fotografien Gottfried Helnweins. Wie in einem wiederkehrenden Traum findet man sich vor Fiona Raes Glitzerwelt wieder. (Katharina Rustler, 11.5.2021)