Die von wichtigen Beobachtern, so auch vom Wirtschaftsnobelpreisträger Paul Krugman begrüßte Wende des US-amerikanischen Präsidenten Joe Biden nach links bei seinen wirt-schafts-, steuer- und sozialpolitischen Zielsetzungen wurde in deutschen Kommentaren sogar als "Sozialdemokratisierung" bezeichnet. Dass aber in den wichtigsten europäischen Ländern trotz Pandemie und der Angst vor einer Wirtschaftskrise von einer Wiedergeburt der Sozialdemokratie keine Rede sein könne, bestätigen die jüngsten Meldungen aus Großbritannien und Deutschland.

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Der britische Labour-Chef Keir Starmer.
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So hat die oppositionelle Labour-Partei bei einer symbolträchtigen Nachwahl ins Unterhaus und bei den britischen Kommunalwahlen eine schwere Niederlage erlitten. Vor allem die Eroberung der Labour-Hochburg Hartlepool nach 56 Jahren durch eine konservative Kandidatin war ein persönlicher Erfolg für Premierminister Boris Johnson, der dreimal im Wahlkampf in die Industrie- und Hafenstadt gereist war. Die Kandidatin der Tories errang fast doppelt so viele Stimmen wie der Labour-Kandidat. Die Stadt an der Nordostküste Englands hatte mit fast 70 Prozent 2016 für den Brexit gestimmt.

Die Vorwürfe gegen Johnson wegen der undurchsichtigen Finanzierung der kostspieligen Renovierung seiner Dienstwohnung interessierten die Wähler weniger als das erfolgreiche schnelle Impfprogramm, verkauft von Johnson als Folge des Brexits, und die Zuschüsse für die lange vernachlässigten Industrieregionen im Norden.

Hiobsbotschaften

Die Konservativen gewannen bei den regionalen Wahlen 36 Prozent der Stimmen, Labour 29 Prozent und die Liberalen 17 Prozent. Labour-Chef Keir Starmer, der die Führung der Partei nach der vom linksextremen Jeremy Corbyn verantworteten schlimmsten Wahlniederlage seit 1935 übernommen hatte, räumte ein, dass Labour das Vertrauen der Arbeiterschaft verloren habe. Die Gewinne in Manchester und London sind laut Politologen die Beweise dafür, dass Labour praktisch die Partei der Linksliberalen, der Akademiker und der jungen Leute geworden ist. Ohne die Wiedergewinnung der "roten Mauer" im Norden Englands hat sie aber kaum Chancen, je wieder an die Macht zu gelangen.

Ähnliche Hiobsbotschaften hören zwanzig Wochen vor der Bundestagswahl im Grunde auch die deutschen Sozialdemokraten. In den Umfragen liegen sie mit 14 Prozent weit abgeschlagen hinter den Grünen (26 Prozent) und der CDU/CSU (23 Prozent) und nur knapp vor der rechtsradikalen AfD und den Liberalen der FDP.

Der Höhenflug der Grünen-Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock ist noch ausgeprägter, und selbst der schwächelnde Kandidat der Union, Armin Laschet, scheint für den Mann der SPD, Olaf Scholz, uneinholbar zu sein.

Für den Niedergang der SPD waren neben den langfristigen sozioökonomischen Trends auch die gnadenlosen Fraktionskämpfe mitverantwortlich. Scholz, Vizekanzler und Finanzminister der Koalitionsregierung, fängt trotz einer Zustimmung von 96 Prozent der Parteitagsdelegierten am Sonntag eine völlig aussichtslose "Aufholjagd" an. Schade um einen fähigen und erfahrenen Politiker, der als Kanzler möglicherweise geeigneter sein könnte als seine Rivalen. (Paul Lendvai, 10.5.2021)