Will sich nicht für die Imagepflege instrumentalisieren lassen: Jürgen Habermas verzichtet auf den Sheikh Zayed Book Award.

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Wenn Geist und Macht aufeinandertreffen, dann gewinnt gewöhnlich die Macht: Mit diesem Satz hat der Philosoph Jürgen Habermas vor eineinhalb Wochen den Sheikh Zayed Book Award der Buchmesse von Abu Dhabi nicht angenommen, nachdem er ihn davor bereits akzeptiert hatte. Die mit 225.000 Euro dotierte Auszeichnung für die "kulturelle Persönlichkeit des Jahres" gilt als wichtigster Buchpreis in der arabischen Welt.

Habermas führte weiter aus: "Die sehr enge Verbindung der Institution, die diese Preise in Abu Dhabi vergibt, mit dem dort bestehenden politischen System habe ich mir nicht hinreichend klargemacht." Dass der Denker der liberalen Demokratie sich von einem Scheichtum am Persischen Golf hätte auszeichnen lassen, das hielt er nun für eine "falsche Entscheidung". Für den Islamwissenschafter und Übersetzer Stefan Weidner hingegen wäre es ein "kulturelles Sahnehäubchen" im interkulturellen Dialog gewesen.

Feigenblattpolitik ...

Zwischen diesen beiden Positionen bewegt sich nun die Debatte über den richtigen Umgang mit der Kulturdiplomatie der Vereinigten Arabischen Emirate. Im Umgang mit Saudi-Arabien, das 2020 mit einem Red Sea Film Festival in Jeddah neu an den Start ging, oder mit Katar, das mit einer Fußball-Weltmeisterschaft Außenpolitik macht, aber auch mit einem Doha Film Institute, stellen sich analoge Fragen. Hätte Jürgen Habermas tatsächlich, wie ursprünglich geplant, die Abu Dhabi International Book Fair besucht und dort den Preis verliehen bekommen, wäre dies zweifellos ein Ereignis von einigem Prestige gewesen.

Ironischerweise kam die erste Zurückweisung der diesjährigen Preise aber von arabischer Seite. Im November 2020 zog eine Reihe von Autoren aus der Region ihre Bereitschaft zur Teilnahme an der Buchmesse zurück, weil sie den Friedensschluss der Emirate mit Israel kritisierten. Zu den Unterzeichnenden der Protestnote gehören Elias Khoury aus dem Libanon oder der Marokkaner Bensalem Himmich, der 2011 auf der Longlist für den International Prize of Arabic Fiction stand. Dieser wird von der Kulturbehörde von Abu Dhabi in Zusammenarbeit mit der Organisation des Man-Booker-Preises vergeben.

... oder "Tauwetter"?

Für Stefan Weidner ist der Friedensschluss zwischen den Emiraten und Israel ein Aspekt eines größeren politischen "Tauwetters" in der Region, das Habermas hätte unterstützen können. Stattdessen hätte sich, so Weidner, auch in dieser Angelegenheit eine Cancel-Culture durchgesetzt. Es war ein Artikel auf der Website des Spiegel, der Habermas zu einem Umdenken bewog.

Dem Dilemma von Habermas entsprechen auf der anderen Seite zahlreiche Abwägungen der Kulturpolitik von Abu Dhabi. Denn die Buchmesse richtet sich keineswegs nur symbolpolitisch an eine globale Öffentlichkeit, es handelt sich tatsächlich, wie auch bei der Vorbildveranstaltung in Frankfurt, um eine Veranstaltung für das breite Publikum vor Ort. Abu Dhabi will mit den Preisen in der internationalen Liga mitspielen, mit seiner Literaturpolitik aber auch das (jedenfalls vergleichsweise liberale) Islam-Verständnis im arabischen Raum selbst propagieren, für das sich das Emirat starkmacht.

Dass die feministische ägyptische Autorin Iman Mersal 2021 den Literaturpreis bei der Abu Dhabi International Book Fair bekommen soll, ist ebenso ein wichtiger Aspekt wie die Grenzen, die der Freiheit von Frauen in Abu Dhabi weiterhin gesetzt sind. Geist und Macht da fein säuberlich zu trennen ist wohl ein Ding der Unmöglichkeit. (Bert Rebhandl, 11.5.2021)