Die Krise ist noch nicht ausgestanden. Das gilt für die sozialen Folgen nicht weniger als für den viralen Auslöser. Schonfristen – etwa für Mietzahlungen – laufen ebenso aus wie die Nothilfen, mit denen die Regierung einiges an Leid verhindert hat. So mancher wird die Wucht der Misere erst mit Zeitverzögerung zu spüren bekommen – umso mehr, wenn die Politik die Lage noch mutwillig verschärft.

Eine erste Drohung ist bereits ertönt. Der Wirtschaftsbund, ein wichtiger Player in der ÖVP, fordert ein Arbeitslosengeld, das mit der Bezugsdauer stark sinkt. Wer (zu) lange ohne Beschäftigung bleibt, soll weniger als 40 Prozent des letzten Nettolohns erhalten.

Die Arbeitslosigkeit dürfte erst 2025 auf das Vor-Corona-Niveau sinken.
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Fairerweise ist anzumerken, dass dabei nicht jeder Jobsucher verlieren würde. Nach Vorbild vieler anderer Länder in Europa soll das Arbeitslosengeld zu Beginn höher liegen als bei den 55 Prozent, die Österreich derzeit gewährt. Wer seine Arbeit verliert, würde damit erst einmal nicht mehr so tief fallen wie bisher. Nach ein paar Monaten steigert der einsetzende finanzielle Druck dann die Motivation, sich ernsthaft um ein Comeback im Berufsleben zu bemühen.

Hat der Gedanke nicht etwas für sich? Durchaus – in einer aus der Zeit gefallenen Wunderwelt, in der Jobs in Hülle und Fülle angeboten werden. Doch wir leben im Jahr eins nach einem tiefen pandemiebedingten Wirtschaftseinbruch, wo auf eine offene Stelle statistisch mehr als fünf Bewerber kommen. Für die meisten gleicht die Arbeitssuche dem Kinderspiel Reise nach Jerusalem vulgo Sesseltanz unter verschärften Bedingungen. Nur dass es dabei um keinen Jux, sondern um Existenzen geht.

So schnell wird sich das nicht ändern. Die Arbeitslosigkeit dürfte erst 2025 auf das Vor-Corona-Niveau sinken – und schon dieses war höher als vor der vorletzten, vom Finanzcrash 2008 ausgelösten Krise. Statt die Jobsuche würde dieser Wirtschaftsbundplan deshalb vielfach den sozialen Absturz ankurbeln. Bereits jetzt sind fast drei Viertel der Langzeitarbeitslosen von Armut und Ausgrenzung bedroht.

Empfindliche Einbußen

Was Beziehern des Arbeitslosengeldes angedroht wird, erlebt eine andere deklassierte Gruppe bereits. Mitten in ohnehin harten Zeiten setzen die Bundesländer nach gesamtstaatlicher Vorgabe die neue Sozialhilfe um. Für genügend Betroffene läuft dies im Vergleich zur früheren Mindestsicherung auf empfindliche Einbußen hinaus. Auch hier gilt: Schon früher war das Anreizargument fragwürdig, zumal es von jeher die Pflicht zur Arbeitssuche gibt. Die Krise aber macht die Einschnitte endgültig zur sinnentleerten Schikane.

Schuld sind die türkis-blauen Erfinder des Sozialhilfegesetzes, doch die Grünen tragen eine gewisse Mitverantwortung: Um die Einigung mit der ÖVP nicht zu gefährden, haben sie die Frage im Regierungspakt bequemerweise ignoriert. Vor diesem Hintergrund war die Ankündigung des neuen Sozialministers Wolfgang Mückstein, die Härten im System über in der Krise gewährte Einmalzahlungen hinaus zu dämpfen, durchaus mutig. Meint er es ernst, steht der Regierung eine Zerreißprobe bevor.

Letztlich ist der Kampf gegen Armut nicht mit höheren Leistungen zu gewinnen. Es braucht Investitionen in die Selbstermächtigung der Menschen – von Jobförderung bis zur Bildung. Doch diese Programme bieten keine Ad-hoc-Hilfe. Dafür braucht es ein soziales Netz, das Durchlöcherungsversuchen standhält. (Gerald John, 10.5.2021)