Neo-Minister Mückstein (Grüne) will über ein degressives Arbeitslosengeld nicht verhandeln.

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Die Zahl der armutsgefährdeten Menschen halbieren: Dieses Ziel haben ÖVP und Grüne bei der Regierungsbildung Anfang 2020 ausgegeben. Die Pandemie kam dem Projekt dazwischen – und hat die Herausforderung beträchtlich erhöht. Derzeit sind etwa 100.000 Menschen mehr arbeitslos als vor Ausbruch der Krise, mit entsprechenden Folgewirkungen.

Folglich steht der Kampf gegen die Jobmisere auf der türkis-grünen Agenda weit oben. Im Sommer will die Regierung das Programm "Sprungbrett" starten, um 50.000 der derzeit 150.000 Langzeitarbeitslosen zurück ins Berufsleben zu bringen – etwa via Lohnsubvention. Die Details fehlten noch, merkt die sozialdemokratisch dominierte Gewerkschaft an, die den Plan aber prinzipiell unterstützt.

Katzian gegen degressives Arbeitslosengeld

Damit hat es sich schon mit den türkis-roten Gemeinsamkeiten. Als "Verachtung von arbeitslosen Menschen" qualifizierte ÖGB-Präsident Wolfgang Katzian im Ö1-"Morgenjournal" eine andere Idee, die aus ÖVP-Kreisen kommt. Der Wirtschaftsbund wälzt Pläne, wonach das Arbeitslosengeld mit der Bezugsdauer sinken soll, sodass es am Ende statt bisher 55 Prozent des Nettolohns nur noch weniger als 40 Prozent betragen würde – dies soll ein Anreiz sein, sich einen Job zu suchen. Derzeit gebe es doch viel mehr Arbeitslose als offene Stellen, hält Katzian entgegen: "Jetzt so zu tun, als wären die alles Tachinierer, halte ich wirklich für eine Katastrophe."

Die grüne Regierungspartei sieht das genauso. "Nicht verhandelbar", stellt Sozialminister Wolfgang Mückstein auf STANDARD-Anfrage klar: Ein sinkendes Arbeitslosengeld würde die Armut verschärfen statt verringern.

Türkis-blaues Sozialhilfesystem

Allerdings will Mückstein vice versa auch etwas von der ÖVP. Der Neo-Minister sieht in dem noch von der türkis-blauen Regierung eingeführten Sozialhilfesystem "Lücken und Härten". Was im türkis-grünen Koalitionspakt ausgespart blieb, will er nun durchsetzen.

Ein Kommando retour zur alten Mindestsicherung, die Mindeststandards statt Obergrenzen bei den Leistungen vorsah, sei nicht durchsetzbar, schätzt Grünen-Sozialsprecher Markus Koza ein: Das war für die ÖVP immer ein No-Go. Realistisches Ziel sei die Beseitigung einzelner Verschärfungen wie die kleinliche Anrechnung von Zusatzeinkommen oder Leistungskürzungen für WG-Bewohner. Alle Bundesländer fordern vom Bund überdies, eine Passage zu reparieren, die Menschen mit humanitärem Bleiberecht eine Absicherung vorenthält.

Koza gibt ein weiteres Ziel aus: Der Zugang zur Sozialhilfe müsse so vereinfacht werden, dass Einpersonenunternehmer, die keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld haben, rasche, unbürokratische Hilfe erhalten. (Gerald John, 10.5.2021)