Ist eine Obergrenze für Barzahlungen der Anfang vom Ende des Bargelds?

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Die Pläne sind zwar nicht ganz neu, aber die EU-Kommission drückt bei der Begrenzung von Barzahlungen aufs Tempo. Finanzmarktkommissarin Mairead McGuinness will laut einem Interview mit der "Süddeutschen Zeitung" Barzahlungen von mehr als 10.000 Euro verbieten.

Die Kommissarin wolle damit nicht in den alltäglichen Zahlungsverkehr eingreifen, sondern Schwarzzahlungen und Geldwäsche erschweren. 10.000 Euro in den Taschen herumzutragen sei ganz schön schwer, sagte sie: "Die meisten Menschen machen das nicht." Kritiker wittern eine existenzielle Bedrohung für das Bargeld.


FÜR

Kein Bargeld, keine Geldwäsche und keine Steuerhinterziehung. So ungefähr lautet jedenfalls die stark vereinfachte Argumentation hinter den Plänen Brüssels. Weil es ungleich harmloser ist, wenn ein Student mit Nachhilfe oder Hundesitten schwarz ein paar Euro dazuverdient, als wenn organisierte Verbrecherbanden illegal erwirtschaftetes Geld reinwaschen, legt sich die EU-Kommission auf eine Obergrenze für Barzahlungen von 10.000 Euro fest. Finanzmarktkommissarin Mairead McGuinness hat recht: So viel Geld trägt kaum jemand mit sich herum. Das alltägliche Leben der Europäer wird durch eine solche Obergrenze kaum bis gar nicht touchiert.

Problem für Geldwäscher

Die Maßnahme richtet sich vor allem gegen Kriminelle. Zwar ist das genaue Ausmaß illegaler Finanztätigkeiten wie Geldwäsche oder Terrorismusfinanzierung nicht leicht abzuschätzen, in Brüssel geht man aber von jährlich rund einem Prozent der Wirtschaftsleistung aus. Das sind in etwa 160 Milliarden Euro. Eine Obergrenze für Barzahlungen würde es Geldwäschern jedenfalls schwerer machen, illegal erwirtschaftetes Geld in den Finanzkreislauf einzuspeisen.

Eine beliebte Methode von Geldwäschern ist das "Smurfing". Schwarzgeld wird in kleinere Bargeldbeträge Stück für Stück in den Kreislauf gebracht. Ein Beispiel: Ein mit schmutzigem Bargeld gekauftes Kunstwerk wird bei der Bank als Sicherheit hinterlegt, um an sauberes Geld zu kommen. Je niedriger die Obergrenze für Barzahlungen, desto weniger Geld lässt sich mit einem einzelnen Kunstwerk waschen – Geldwäsche wird freilich dadurch nicht unmöglich, aber sie wird deutlich mühsamer.

In vielen EU-Ländern gibt es bereits Obergrenzen für Barzahlungen, die deutlich unterhalb des Kommissionsvorschlags liegen. Belgien etwa zog die Grenze bei 3000 Euro. Damit zielen die Länder auf höhere Steuerehrlichkeit ab. Je niedriger die Obergrenze für Barzahlung, desto stärker ist sie auch bei Gütern des täglichen Bedarfs zu spüren. Die Folge: Gebrauchtwagen, Handwerker oder Schmuck können nicht mehr so leicht schwarz bezahlt werden, die Steuerehrlichkeit steigt – erzwungenermaßen.

In Österreich hat man mit der Registrierkassenpflicht bereits ein Instrument, um die die korrekte Verrechnung der Mehrwertsteuer zu forcieren, gibt Wifo-Ökonom Thomas Url zu bedenken. Was für Obergrenzen bei Cashtransaktionen spricht, sie sind im Vergleich zu Registrierkassen weniger kostspielig und unbürokratisch.

In der EU zirkulieren Milliarden an Euro-Noten und -Münzen. Viele verschwinden für Jahre unter Matratzen, gehen verloren oder kaputt. Damit genug Bargeld im Umlauf ist, muss laufend neues gedruckt werden. Allein kommendes Jahr plant die Europäische Zentralbank, rund 6,1 Milliarden Geldscheine im Wert von fast 306 Milliarden Euro zu drucken. Das ist teuer und verbraucht unnötig Energie und Rohstoffe.

WIDER

Fjodor Dostojewski bezeichnete Geld als gedruckte Freiheit. Natürlich war der russische Literat des vorletzten Jahrhunderts nicht damit konfrontiert, dass Zahlungen auch digital samt Datenspur und Kontrollmöglichkeiten existieren würden. Hätte man im zaristischen Russland per Karte oder Handy gezahlt, hätte Dostojewskis wohl präzisieren müssen: Bargeld ist gedruckte Freiheit.

Geht es um die Existenzberechtigung von Bargeld, steht die Freiheit der Bürger der Verbrechensbekämpfung gegenüber. Das will gut begründet sein.

Wenn die EU nun die Verwendung von Bargeld einschränken will, ist das ein weiterer Schritt zu dessen Abschaffung. Auch wenn es nicht darauf hinausliefe, Bargeld komplett zu tilgen, spricht einiges gegen die Begrenzung.

Die Politik schickt der Bevölkerung ein Signal, dass Zahlungen über 10.000 Euro unter Generalverdacht der Geldwäsche stehen. Die bunten Scheine erhalten ein schmuddeliges Image, je größer, desto schmuddeliger. Viele Menschen bevorzugen Bargeld, weil sie prinzipiell nicht wollen, dass ihnen die Bank und in weiterer Folge der Staat über die Schulter schauen kann, und nicht, weil sie Illegales vorhaben. Zur Bekämpfung von Geldwäsche gibt es bereits ein großes Instrumentarium, das regelmäßig mit viel krimineller Energie umgangen wird – mit oder ohne Bargeldlimit.

Bargeld ist bei der Bevölkerung populär. Knapp 60 Prozent von der Nationalbank befragte Menschen wollen, dass Bargeld seine derzeitige Bedeutung behält. Ergänzt man jene, die nicht explizit dagegen sind, dass Bargeld an Bedeutung verliert, die aber nicht gänzlich ohne Bares leben wollen, sind es ganze 93 Prozent der Österreicher, die sich hinter das physische Geld stellen.

Bargeld bietet auch all jenen eine einfache, autonome Handhabe größerer Summen, die kein Konto haben oder mit Online-Banking nicht umgehen können, wie manche ältere Personen.

Cash schützt auch all jene Sparer vor Negativzinsen, die im Rahmen der ultralockeren Geldpolitik immer mehr Europäer betreffen.

Als Zentralbankgeld sind Geldscheine und Münzen außerdem sicher im Vergleich zu einer reinen Forderung gegenüber einer Bank, sei es in Mattersburg oder sonst wo. (Leopold Stefan, Aloysius Widmann, 11.5.2021)