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Die Vorgaben für Teslas, die nach Europa, Afrika oder Asien sollen, werden in Genf gemacht. Die US-Amerikaner wiederum kochen in puncto Vorgaben ihr eigenes Süppchen.

Foto: AP / Orlin Wagner

Auf den Straßen Genfs surren auffällig viele Elektroautos: Modelle von Tesla, Toyota und VW erfreuen sich in der Stadt der Diplomaten und Banker besonderer Beliebtheit. Was nur die wenigsten Lenker der Stromflitzer wissen dürften: Die Wirtschaftskommission der Vereinten Nationen für Europa (UNECE), die ihren Sitz in Genf hat, schreibt international gültige Regeln für die batteriebetriebenen Vehikel. "Aus einer regulatorischen Perspektive können wir sagen, dass die meiste Arbeit getan ist", sagt François E. Guichard. Der Ingenieur arbeitet als Sekretariatsmitglied des "Weltforums für die Harmonisierung von Fahrzeug-Regeln", einer Abteilung der UNECE.

"Wir haben die Grundlagen für die Massenproduktion von E-Autos mitgelegt", sagt Guichard, der vor seiner UN-Zeit auch Positionen bei Mercedes-Benz innehatte. Die Regeln aus der Genfer UN-Werkstatt gelten nicht nur für Europa. Auch Staaten aus Afrika und Asien, darunter das Auto-Land Japan, übernehmen die Vorgaben. Jedes UN-Mitgliedsland kann im Forum mitmachen und -entscheiden.

Einer für Alle

Der Clou: Erteilt die Behörde eines Vertragsstaates, etwa das deutsche Kraftfahrtbundesamt, eine Typengenehmigung zum Bau eines E-Fahrzeugs, übernehmen die Partnerländer automatisch diese Zustimmung. "Das birgt enorme Vorteile", sagt Yves van der Straaten, Generalsekretär der Internationalen Automobilherstellervereinigung (OICA) in Paris. "Die Hersteller können Bürokratie und Kosten sparen, das kommt letztlich auch unseren Kunden zugute."

Abseits stehen allerdings die USA und China. Vor allem die Amerikaner pochen auf eigene Regeln. Die Automobilwelt ist gewissermaßen gespalten. So ist Tesla gezwungen, die Fahrzeuge aus seiner US-Produktion für den Export nach Europa gemäß den Vorgaben des Weltforums auszurüsten. Das gilt auch in die andere Richtung: Will VW E-Autos aus Europa in die USA liefern, gilt es, die Regeln auf der anderen Seite des Atlantiks zu beachten.

Die Regelung 100, die vom Weltforum abgesegnet wurde, gilt für E-Fahrzeuge als die wichtigste. Ihr sperriger Untertitel lautet: "Einheitliche Bedingungen für die Genehmigung der Fahrzeuge hinsichtlich der besonderen Anforderungen an den Elektroantrieb". In der Regelung ist bis ins kleinste Detail vorgeschrieben, wie Hersteller von E-Autos etwa einen "Schutz gegen Stromschläge" errichten sollen. Eine Kostprobe aus der Regelung 100: "Schutzvorrichtungen (Festisolierung, Isolierbarriere, Gehäuse usw.) dürfen nicht ohne Werkzeug geöffnet, ausgebaut oder entfernt werden können." Von der Kennzeichnung eines Hochspannungsgeräts über den Isolationswiderstand bis zu Elektrolytaustritten haben die Autoren an alles gedacht. Um immer auf dem neuesten Stand der Technik zu sein, wird die Regel 100 laufend modernisiert.

Sound für Fußgänger

Auch haben die Tüftler aus Genf eine andere Gefahr, die von E-Autos ausgeht, erkannt – und gebannt. Die elektrischen Vehikel erzeugen nur geringen Lärm. Im Schritttempo sind sie fast nicht zu hören, und somit entfallen die warnenden Geräusche. Das Weltforum beschloss, dass diese leisen Autos über ein sogenanntes Akustisches Fahrzeug Alarm System verfügen müssen. Dieses System erzeugt bei einem Tempo von 0 bis 20 km/h künstliche Laute, die Fußgänger und andere Verkehrsteilnehmer über das Erscheinen des Fahrzeugs informieren. Als Nächstes wollen die Experten Regeln für die Langlebigkeit der Batterien aufstellen.

Bei der Ausarbeitung neuer Vorschriften für E-Fahrzeuge verlassen sich die Fachleute auch auf die Industrie. "Die Hersteller liefern sehr viel Input", sagt Forums-Sekretär Guichard. Emissäre der OICA oder des Europäischen Verbands der Automobilzulieferer (Clepa), zu deren Mitgliedern Bosch und Continental gehören, mischen in Genf direkt mit. Allerdings, so unterstreicht der OICA-Generalsekretär van der Straaten: "Wir haben keinerlei Entscheidungsmacht." Dafür aber Einfluss.

Neue Regeln

Diesen Einfluss wollen die Lobbygruppen auch bei der anstehenden Revolution im Straßenverkehr nutzen: beim autonomen Fahren. "Das wird eine komplett andere Situation", prognostiziert van der Straaten. "Die Vorgaben für die herkömmlichen Verbrennungs- und Dieselmotoren sowie Elektroautos helfen da kaum weiter." Der Fachmann erwartet etwa neue Regeln für den Straßenverkehr. Immerhin: Eine Arbeitsgruppe in der Wirtschaftskommission der Vereinten Nationen für Europa brütet schon darüber, wie der Verkehr der Zukunft aussehen soll. UN-Experte Guichard erläutert: "Unser großes Ziel ist es, das autonome Fahren weltweit zu harmonisieren." Zum Schluss gibt Guichard noch preis, wie das Mobilitätsproblem während der nächsten 20 Jahre gelöst werden kann. "Wir werden wahrscheinlich einen Mix haben: Elektroautos und Vehikel mit Wasserstoffantrieb, die von natürlichen Personen gelenkt werden, sowie autonome Fahrzeuge werden ihren Platz haben." (Jan Dirk Herbermann aus Genf, 11.5.2021)