Psychoonkologinnen und Psychoonkologen begleiten Betroffene durch ihre Krankheit.

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Im Mitreden "Diagnose Krebs: Wie darüber sprechen?" wurde die Frage aufgeworfen, wie man mit einer Krebsdiagnose umgehen kann. Zahlreiche User:innen haben berührende Postings und Einblicke in Umgang und Lehren aus diesen Situationen im Forum verfasst. Auf einige reagieren nun die beiden Psychoonkologinnen Sonja Hrad und Martina Wünsche-Fleck in diesem Format.

Diagnose: Wie darüber reden?

Sonja Hrad/Martina Wünsche-Fleck: So unterschiedlich Menschen auf die Diagnose reagieren, so unterschiedlich können auch die Arten sein darüber zu sprechen. Es gibt kein Patentrezept wie am besten die Nachricht einer Krebserkrankung an Angehörige, Freunde oder Arbeitskolleg:innen vermittelt werden soll. Wichtig ist, dass sich Betroffene bereit fühlen die eigene Diagnose mitzuteilen. Von unseren Patient:innen wissen wir, dass es entlastend sein kann, jemanden ins Vertrauen zu ziehen. Offenheit schafft den Raum, Sorgen anzusprechen und diese miteinander zu teilen.

Positivität & Ressourcen

Sonja Hrad/Martina Wünsche-Fleck: Die Erkrankung ist oftmals sehr einschränkend, stellt das gewohnte Leben auf den Kopf und plötzlich ist nichts mehr wie es war. Psychoonkologische Begleitung zielt nicht primär darauf ab, der Situation unbedingt irgendetwas Positives abzugewinnen. Dennoch ist es manchen Patient:innen ein Bedürfnis, aus der auferlegten Situation aktiv etwas für sie Sinnvolles zu gestalten.

Der Austausch mit anderen und soziale Kontakte insgesamt haben deutlichen Einfluss auf das psychische Wohlbefinden. Jedoch möchte nicht jede:r zu jedem Zeitpunkt alle Gedanken und Gefühle mit Familie oder Freunden teilen. Dann macht es Sinn auf psychoonkologische Unterstützungsangebote zurückzugreifen. Das psychoonkologische Gespräch bietet Patient:innen und Angehörigen Raum für die Auseinandersetzung mit der Erkrankung, veränderten Lebensumständen und begleitenden Gefühlen. Das offene Ansprechen belastender Gedanken ermöglicht psychische Entlastung und Unterstützung um sich in der veränderten Lebenssituation neu zurechtzufinden.

Studien belegen auch, dass Spazierengehen in der Natur maßgeblich dazu beiträgt, grüblerische Gedanken zu reduzieren, Stressempfinden sowie negative Gefühle zu verringern, und allgemein das emotionale Wohlbefinden zu steigern.

Tabuthema

Sonja Hrad/Martina Wünsche-Fleck: Das Thema Krebs anzusprechen braucht oft einiges an Überwindung. Ursache dafür ist oft gar nicht die unzutreffende Idee über Krebs dürfe man nicht sprechen im Sinne eines Tabus, sondern eher die Unsicherheit wie über das Thema gesprochen werden soll.

Helfen kann hier einerseits ein aktiver Zugang der Patient:innen, indem sie dem Umfeld von sich aus mitteilen, ob und in welcher Form sie darüber sprechen möchten. Umgekehrt können auch Angehörige bei Betroffenen nachfragen, ob und wie er oder sie über das Thema sprechen will. Oft ist es für Angehörige auch hilfreich, gegenüber Betroffenen die eigene Unsicherheit im Umgang mit dem Thema anzusprechen.

Uns Psychoonkolog:innen ist es ein Anliegen, möglichst vielen Patient:innen das Gespräch anzubieten, akzeptieren aber selbstverständlich auch eine momentane oder generelle Ablehnung des Angebots. Diese Haltung können auch Angehörige übernehmen: Formulieren Sie ein Gesprächsangebot, aber seien Sie darauf vorbereitet, eine mögliche Ablehnung hinzunehmen – gut möglich, dass das Angebot dann zu einem späteren Zeitpunkt gerne angenommen wird.

Angehörigenangebot

Sonja Hrad/Martina Wünsche-Fleck: Die Krankheits- und Lebenssituationen unserer Patient:innen und ihre Reaktionen darauf sind sehr unterschiedlich. Es gibt keinen "richtigen" Weg, um mit einer Krebserkrankung umzugehen. Eine Krebserkrankung hat auch Auswirkungen auf das soziale Umfeld, auf den Partner:innen, die Kinder oder Arbeitskolleg:innen.

Im Klinikalltag sehen wir oft, dass zu Beginn der Erkrankung Betroffene und Angehörige vor unterschiedlichen Problemen stehen. Patient:innen sind damit beschäftigt, im "Hier und Jetzt", beispielsweise mit dem Start einer Therapie zurechtzukommen, während es für Angehörige oft schwierig ist, nur zuzuschauen und nichts gegen die Krankheit tun zu können. Eine Möglichkeit der Negativspirale aus Gefühlen der Hilflosigkeit und Unkontrollierbarkeit zu entkommen, ist es aktiv zu werden: Zu Arztterminen zu begleiten, Essen vorzukochen, gemeinsame Unternehmungen vorzuschlagen, oder "Normales" aus dem eigenen Alltag zu erzählen.

Wir hören sowohl von Patient:innen als auch Angehörigen immer wieder, dass es etwas anderes ist, mit einer neutralen außenstehenden Person zu sprechen. Wenn Dinge "ohne wenn und aber" angesprochen werden können, wirkt das sowohl bei Patient:innen als auch bei Angehörigen befreiend und entlastend. Der psychoonkologische Erfahrungsschatz kann auch helfen, bestimmte Verhaltensweisen von Patient:innen besser zu verstehen und einzuordnen sowie eine Akzeptanz dafür zu schaffen, dass jede:r seinen individuellen Weg gehen muss.

Rechtzeitig reagieren statt Scham und Angst

Sonja Hrad/Martina Wünsche-Fleck: Leider kommt es immer wieder vor, dass klare körperliche Anzeichen, dass etwas nicht stimmen kann, zur Seite geschoben werden – sei es aus Angst, Scham, oder einem anderen Grund. Es ist wichtig, sich beim Auftreten von solchen Symptomen rasch ärztlichen Rat einzuholen – auch in der momentanen Covidsituation. Falls die Angst vor dem Arztbesuch zu groß ist, um sie alleine zu bewältigen, kann auch hier bereits psychologische oder psychotherapeutische Hilfe in Anspruch genommen werden.

Scham ist jedenfalls eine von vielen Emotionen, die bei Krebserkrankungen auftreten können und für deren Ursprung man selbst als Betroffene:r vielleicht auch gar keine Erklärung finden kann. In psychoonkologischen Gesprächen kann es darum gehen, Gefühle zu benennen, eventuell der Frage nachzugehen, weshalb oder in welchen Situationen spezielle Emotionen auftauchen und Wege zu finden, wie die Heftigkeit belastender Gefühle abgeschwächt werden kann. So kann auch mehr Raum für angenehme Emotionen und Erlebnisse geschaffen werden. (Sonja Hrad, Martina Wünsche-Fleck, 12.5.2021)