Am 24.4.2021 entschied das deutsche Bundesverfassungsgericht, dass das deutsche Klimaschutzgesetz verfassungswidrig sei. Die Tatsache, dass keine Klimaschutzziele ab 2031 verankert seien, verletzte voraussehbar die Grund- und Freiheitsrechte der Beschwerdeführenden in der Zukunft. Überraschend schnell kam darauf auch schon die Antwort der Bundesregierung: Deutschland wird seine Klimaschutzziele verschärfen und soll bereits bis 2045 klimaneutral werden. Nicht nur die rasche Reaktion der deutschen Bundesregierung, sondern auch die Entscheidung selbst ist in vielerlei Hinsicht bemerkenswert. Im Folgenden wird kurz auf ein paar Aspekte eingegangen, die auch für Nichtjuristinnen und -juristen spannend und wissenswert sind.

Das Recht zukünftiger Generationen

Das deutsche Bundesverfassungsgericht hielt fest, dass die niedrigen Klimaziele die Grundrechte der Beschwerdeführenden zwar noch nicht heute, aber konkret und vorhersehbar in Zukunft verletzen. Die Rechtsverletzung von morgen sei somit im Heute bereits angelegt. Das ist insofern bemerkenswert, als dass es bedeutet, grundrechtliche Freiheiten nicht nur im Hier und Jetzt, sondern auch für die Zukunft mitzubedenken. Mit erstaunlicher Klarheit hielt der Gerichtshof fest, dass die Grenze der Freiheit von heute die grundrechtliche Freiheit von morgen ist. Zukünftige Auswirkungen gegenwärtigen klimaschädlichen Handelns sind daher vom Gesetzgeber verpflichtend zu berücksichtigen. Das Gericht berief sich in dieser Feststellung auf umfassende klimawissenschaftliche Fakten.

Liest man die Begründung genau, hat das Urteil bereits Auswirkungen auf die Klimaziele bis 2030. Denn es besteht für das Bundesverfassungsgericht kein Zweifel daran, dass das CO2-Budget, das maximal verbraucht werden darf, um die Grundrechte in Zukunft nicht zu gefährden, ein beschränktes und die Klimaneutralität daher rechtzeitig einzuleiten ist. Denn je weniger Budget vorhanden ist, desto massiver die Einschränkungen, auch die der Grund- und Freiheitsrechte. Somit handelt es sich dabei in der Essenz um eine liberale (weil auf Freiheitsrechten basierende) Entscheidung für mehr Klimaschutz.

Klimaschutz heißt Systemänderung

Es ist die Aufgabe der Gerichte, bestehende Rechte zu wahren und somit deren Einhaltung einzufordern. Das Bundesverfassungsgericht hält sich hier klar an die ihm im Rahmen der Gewaltenteilung zugesprochene Rolle, nämlich die Wahrung von Verfassungsrechten. Somit ergeht auch seitens des Gerichts kein Handlungsauftrag dahingehend, welche Emissionsgrenzen von der Politik festzulegen sind. Bemerkenswert an der Entscheidung ist allerdings, mit welcher Klarheit das Gericht der Politik den rechtskonformen Handlungsspielraum aufzeigt. Orientiert an wissenschaftlich unumstrittenen Fakten, hält das Gericht fest, dass die Eindämmung der Klimakrise eine Transformation in allen Lebensbereichen bedeutet – und eben nicht Klimaschutz nach Augenmaß. Daraus ergibt sich die Pflicht des Gesetzgebers, diese Transformation umgehend zu ermöglichen, denn je später diese Entwicklung startet, desto massiver der Eingriff in Grund- und Freiheitsrechte.

Das Bundesverfassungsgericht macht keinen Hehl daraus, dass es zu dieser Transformation die Beteiligung aller benötigt. Es ist daher Aufgabe der Politik, den notwendigen Entwicklungsdruck entstehen zu lassen, indem absehbar wird, dass und welche Produkte, Dienstleistungen, Infrastruktur-, Verwaltungs- und Kultureinrichtungen, Konsumgewohnheiten oder sonstigen heute noch CO2-relevanten Strukturen schon bald erheblich umzugestalten sind. Wiederholt setzt das Gericht diese wissenschaftlich unausweichlichen Veränderungen in den Kontext von Innovation und Potenzial. Es ist diese seltene nüchterne Abhandlung der Gegenwart mit all ihren Chancen und Risiken, die diese Entscheidung so bemerkenswert macht.

Schade, dass es Gerichte braucht, um der Politik die Realität wissenschaftlich unumstrittener Fakten vor Augen zu führen, die – wenn ignoriert – vorhersehbar zum Verlust unserer essenziellen Rechte und Freiheiten führt. Umso ermutigender allerdings, wenn Gerichte ihre Aufgaben in einem demokratischen System wahrnehmen und sicherstellen, dass diese Rechte nicht leise untergehen. Denn sind Grund- und Freiheitsrechte einmal verloren, kann auch die unsichtbare Hand des freien Marktes nicht mehr helfen.

Klimaschutzziele verschärfen und früher klimaneutral werden, heißt es für Deutschland.
Foto: APA/dpa/Jörg Carstensen

Kann man das deutsche Verfahren in Österreich replizieren?

Die kurze Antwort: Leider nein. Der wesentliche und entscheidende Unterschied liegt im Zugang zum Recht, also der Möglichkeit, Rechte inhaltlich vor einem Gericht einzufordern. In Deutschland war es möglich, dass junge Beschwerdeführerinnen und Beschwerdeführer argumentieren, dass sie durch die unzureichenden Ziele des deutschen Klimaschutzgesetzes unmittelbar betroffen sind, weil sie in ihren Grundrechten verletzt werden. Diese Prüfung ist streng, war aber im System möglich.

In Österreich könnten – auch junge Beschwerdeführende – mit dieser Argumentation ihren Weg noch nicht in den Gerichtssaal bahnen. Denn der erste Schritt durch die Tür erfordert es aufzuzeigen, dass die Rechtsnorm, von der man behauptet, betroffen zu sein, auch an einen selbst adressiert ist. Nur sogenannten rechtlichen Normadressaten steht das Recht zu, die Aufhebung eines Gesetzes zu beantragen. Diese müssen dann in der Folge darlegen können, dass sie durch das jeweilige Gesetz konkret in ihren Rechten verletzt werden. Richtet sich das Gesetz per Design nicht an mich – was beim Klimaschutzgesetz, das Pflichten des Staates enthält, der Fall ist –, habe ich allerdings gar kein Recht, diesen Antrag beim Verfassungsgerichtshof (Individualantrag) überhaupt zu stellen – Rechtsverletzung hin oder her. Bietet dann das besagte Gesetz selbst keine anderen Möglichkeiten, Beschwerde zu erheben, dann besteht de facto kein Rechtsschutz.

Diese Lücke im System (Rechtsschutzdefizit) war Thema der österreichischen Klimaklage. Wichtig ist, dass diese Lücke – zumindest teilweise – nun durch das neue Klimaschutzgesetz geschlossen werden soll. Sieht nämlich das Klimaschutzgesetz selbst Beschwerdemöglichkeiten vor, können Bürgerinnen und Bürger zumindest auf diesem Weg rechtliche Schritte gegen unzureichende Klimapolitik ergreifen. Umso wichtiger ist es daher, genau zu beobachten, welche Vorschläge diesbezüglich seitens der Bundesregierung vorgelegt werden – und vor allem, welche Beschwerdemöglichkeiten tatsächlich rechtlich verankert werden. Denn wo kein Recht auf Beschwerde, da auch letztlich kein Recht – weder heute noch in Zukunft. (Michaela Krömer, 12.5.2021)