Hat Annalena Baerbock vor dem Beginn ihres Masterstudiums in London über die nötigen Voraussetzungen verfügt? Diese Frage wirft der bekannte Plagiatsjäger Stefan Weber auf. Weber ist über Ungereimtheiten in der medialen Berichterstattung über die akademische Vita der deutschen Grünen-Chefin gestolpert und hat Recherchen begonnen.

In seinem Blog zitiert Weber Quellen, die einen Bachelorabschluss Baerbocks behaupten. Zu diesen Quellen zählen auch die Grünen selbst, so zum Beispiel ein Eintrag auf der Website der Heinrich-Böll-Stiftung aus dem Jahr 2011, der von den Grünen Brandenburgs stammen dürfte.

Auf der Website der Grünen steht in der Beschreibung von Baerbocks Werdegang lapidar: "Annalena Baerbock studierte Politikwissenschaft und Völkerrecht in Hamburg und London." Angeführt werden im CV die Punkte "2000–2004: Studium der Politikwissenschaften an der Universität Hamburg", "2004–2005: Masterstudium Völkerrecht an der London School of Economics (LSE), Abschluss LL.M." und schließlich "2009–2013: Doktorandin des Völkerrechts, Freie Universität Berlin, Promotion nicht beendet".

Annalena Baerbock schloss zwar in Deutschland keine Studien ab, erwarb aber einen Master of Laws an der London School of Economics.
Foto: AFP/Macdougall

Bachelor unmöglich

Im Sommer 2018 tauchte der Bachelorabschluss im Wikipedia-Eintrag Baerbocks ohne Angabe einer Quelle auf, um knapp ein Jahr später von einem anderen Wikipedia-Autor unter Hinweis auf die fehlende Quelle wieder entfernt zu werden. In dieser Zeit entstand ein Baerbock-Porträt im Magazin der "Süddeutschen Zeitung", in dem ein Bachelorabschluss erwähnt wurde. Aufgrund einer Nachfrage korrigierte die Redaktion vor wenigen Tagen den Artikel, der fast zwei Jahre lang fehlerhaft online abrufbar war: "In einer vorigen Fassung des Texts hatten wir angegeben, Frau Baerbock habe einen Bachelorabschluss. Dies ist nicht korrekt." Einen Bachelor konnte Baerbock freilich in Hamburg 2004 noch gar nicht erworben haben – dieses Studium war dort erst ab 2005 möglich.

Grüne beklagen "Falschbehauptungen"

Die Grünen reagierten auf die Zweifel mit einer Veröffentlichung von Fotos von Baerbocks Master-Abschluss in Internationalem Recht an der LSE und der Bescheinigung über die Diplom-Vorprüfung im Fach Politische Wissenschaft an der Uni Hamburg. "Es kursieren erneut Falschbehauptungen über Annalena Baerbock. Diesmal über die akademische Ausbildung", schrieb Wahlkampfsprecher Andreas Kappler auf Twitter.

"Annalena Baerbock hat in Hamburg und London studiert und ihr Studium an der LSE mit einem Master of Laws in Public International Law abgeschlossen. Die Studienleistungen in Hamburg waren Voraussetzung für die Aufnahme an der LSE. In Hamburg hatte sie Politische Wissenschaft auf Diplom mit Nebenfach Öffentliches Recht/Europarecht studiert. Da zu der Zeit in DE Bachelor+Master noch nicht flächendeckend eingeführt waren, war damals u.a. das Vordiplom Grundlage für Aufnahme von Masterstudiengängen im Ausland", erklärte Kappler.

Theoretisch ist für die Zulassung zu einem postgradualen Studium zu einem LL.M. ("Legum Magister", also Master of Laws) ein Studienabschluss nötig – ein entsprechendes Diplom, ein Magister oder aber auch das erste Staatsexamen. Die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" befragte einen Experten für englisches Recht zu diesem Thema. Gerhard Dannemann von der Humboldt-Universität Berlin erklärte, die LSE könne die Voraussetzungen für ein Masterstudium zum Erwerb eines LL.M. selbst bestimmen. Normalerweise sei ein LL.B., also ein Bachelor of Laws nötig, auch ein Staatsexamen würde wohl genügen. "Außerdem könnte die LSE in Einzelfällen auch Studierende ohne einen ersten Abschluss zulassen", erklärt Dannemann.

Erleichterter Zugang für Deutsche

Tatsächlich war es im Jahr 2004 für Deutsche – im Gegensatz zu Studenten aus zahlreichen anderen Ländern – möglich, ein Studium für den LL.M. auch nur mit einem Vordiplom zu belegen, und zwar sogar mit einer anderen Fachrichtung, wie in diesem Fall ein Jusstudium mit dem Vordiplom in Politikwissenschaft. Dies beweist eine Liste von Zulassungsbedingungen auf einer archivierten Webseite der LSE, die Stefan Weber am Abend in seinem Blog postete. Dort werden als Bedingungen zwar Diplom, Staatsexamen oder Master angeführt, jedoch heißt es weiter: "Wir werden Sie in Betracht ziehen, wenn Sie das Vordiplom oder eine andere Zwischenqualifikation absolviert haben, vorausgesetzt, Sie haben darüber hinaus auch ein drittes Jahr (mindestens zwei Semester) eines inhaltlichen Studiums absolviert."

Alle drei Kanzlerkandidaten keine Volljuristen

Ein Staatsexamen hat Baerbock jedenfalls nicht abgelegt. Damit ist sie eine Völkerrechtlerin gemäß ihrem Masterstudium an der LSE, nicht aber eine Juristin im Sinne einer Diplom- oder gar Volljuristin – als solche werden jene bezeichnet, die das erste respektive das zweite Staatsexamen absolviert haben. Aber auch die anderen beiden Kanzlerkandidaten, Armin Laschet (CDU/CSU) und Olaf Scholz (SPD), sind keine Volljuristen – sie haben jeweils nur das erste, nicht aber das zweite Staatsexamen abgelegt. (Michael Vosatka, 11.5.2021)

Die grüne Spitzenkandidatin übt schon die Merkel-Raute der Macht.
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