Immer noch versuchen Ermittler, die Spuren des Attentäters zu rekonstruieren.

Foto: Christian Fischer

An dem Abend, an dem der Attentäter am 2. November in Wien vier Menschen tötete, bevor er von der Polizei erschossen wurde, warf er sein Handy in einen Mistkübel am Schwedenplatz, so viel steht fest. Nur: Offenbar waren darauf keinerlei Daten. Und damit auch nichts, was den Ermittlern Hinweise darauf geben könnte, wer ihm bei der Planung seiner Tat geholfen hatte.

Wie DER STANDARD aus Ermittlerkreisen erfuhr, gehen diese daher davon aus, dass der Täter K. F. ein zweites Handy besaß – und nicht nur davon, dass er sein Handy, so wie zumindest ein weiterer Beschuldigter in der Causa, auf Werkseinstellungen zurückgesetzt hatte. Doch von dem zweiten Telefon fehlt jede Spur. Die Staatsanwaltschaft wollte sich dazu zuletzt aus ermittlungstaktischen Gründen nicht äußern.

Waffenkauf unklar

Das Kommunikationsverhalten des Attentäters könnte den Ermittlern wichtige Hinweise zu offenen Fragen in der Causa geben – und davon gibt es einige. So gilt zwar mittlerweile als sicher, dass der Täter nicht von einem Unterstützer an den Tatort gefahren wurde, sondern zu Fuß ging. Doch unklar ist noch, was er dort 90 Minuten lang machte, ehe er wahllos um sich schoss.

Die zweite zentrale Frage ist: Wo hatte der Mann seine Waffen her? Soweit bekannt, war ein versuchter Waffenkauf in der Slowakei erfolglos. Erst kürzlich wurde ein Verdächtiger inhaftiert, der ihm beim Waffenkauf geholfen haben soll, doch die Ermittler gehen davon aus, dass in die Beschaffung noch mehr Personen involviert waren. Und: Auf einer der Waffen wurde die DNA zweier Frauen gefunden, auch sie wurden noch nicht gefasst.

Derzeit befinden sich im Zusammenhang mit den Ermittlungen zehn Personen in Untersuchungshaft – sechs davon schon länger als ein halbes Jahr. Insgesamt wird gegen 34 Personen ermittelt.

Laut einem Bericht des Kurier soll auch das Innenministerium selbst zwei Beamte wegen Amtsmissbrauch verfolgen. Das Innenministerium gehe davon aus, dass Beamte des LVT den Strafbestand des Amtsmissbrauchs erfüllt hätten, weil sie verschiedene Sachverhalte nicht an die Staatsanwaltschaft berichtet hätten.

Unterstützung vor der Tat

Tatsächlich geht es bei den Vorwürfen gegen viele der zehn Beschuldigten, die derzeit in Untersuchungshaft sitzen, darum, dass sie in engerem Kontakt mit K. F. standen, sowie um das Verbreiten von IS-Propaganda-Material und darum, dass sie mit der Terrorvereinigung sympathisieren – nicht aber um einen direkten Zusammenhang mit der Tatnacht an sich.

Manchen wird etwa zur Last gelegt, dass sie bei dem Islamistentreffen, das im Sommer 2020 stattfand, teilgenommen haben und dort die Tatausführung besprochen haben sollen. Mittlerweile dürften die Ermittler aber davon ausgehen, dass bei diesem Treffen, das mehrere Tage dauerte, zwar auch das Attentat vorbesprochen wurde, allerdings nicht durchgehend und nicht mit allen Beteiligten.

Einem anderen Beschuldigten wird vorgeworfen, dass er gemeinsam mit K. F. in der Slowakei Waffe und Munition besorgen wollte. Mehrere Personen sollen K. F. direkt vor der Tat bestärkt haben und eventuell auch an Vorbereitungshandlungen beteiligt gewesen sein.

Umfangreiche Ermittlungen

Einige Anwälte prophezeiten für den Mai eine Welle von Entlassungen, was damit begründet wurde, dass nach sechs Monaten die Untersuchungshaft nur dann aufrechterhalten werden dürfe, "wenn dies wegen besonderer Schwierigkeiten oder besonderen Umfangs der Ermittlungen im Hinblick auf das Gewicht des Haftgrundes unvermeidbar ist".

Doch weil viele Fälle in einem riesigen Akt vereint sind, wurde nach einer Haftverhandlung am 30. April keiner der Verdächtigen enthaftet, meint der Anwalt eines Verdächtigen, Nikolaus Rast. Der Umfang der Ermittlungen ist jedenfalls extrem umfassend: Schon zwei Tage nach dem Anschlag saß die Polizei auf einem Terabyte an Daten, die man auszuwerten hatte, auf beschlagnahmten Handys tauchen teils zigtausende Fotos auf.

Grundsätzlich kann die Untersuchungshaft bei Verbrechen bis zu einem Jahr dauern, bei besonders schweren Verbrechen auch zwei Jahre. Rast hat nun beim Oberlandesgericht Beschwerde eingelegt, außerdem verlangt er, dass der Akt getrennt wird. "Meinem Klienten werden Kleinigkeiten vorgeworfen", sagt Rast. Für die erwiesenen Treffen, die es zwischen dem Mandanten und dem späteren Attentäter gab, gebe es "gute Erklärungen".

Enthaftungen

Aus der Haft entlassen wurden hingegen zwei Verdächtige, die bereits direkt nach dem Anschlag in Haft genommen wurden. Darunter befindet sich ein junger Mann, der Kontakt zu K. F. hatte, auch vor dessen Reise nach Syrien. Auf seinem Handy wurde islamistische Propaganda gefunden, auch online postete er Einschlägiges. Er wurde bereits in einem Prozess im Dezember vergangenen Jahres wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung zu sechs Monaten unbedingter Haft verurteilt, wobei die Zeit der Untersuchungshaft angerechnet wurde.

Er war genauso wie ein anderer Beschuldigter zu manchen Zeitpunkten Teil des Islamistentreffs vergangenen Sommers. Der Verdacht der Komplizenschaft mit K. F. dürfte sich jedoch nicht ausreichend erhärtet haben. Das Oberlandesgericht ordnete die Enthaftung an. (Vanessa Gaigg, Gabriele Scherndl, 15.5.2021)