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Während in den großen Städten Israels Menschen auf die Straße gingen, um gegen den Krieg zu demonstrieren, fielen Raketen auf den Großraum Tel Aviv. Eine Frau in Rishon LeZion wurde bei einem Treffer auf ein Wohnhaus getötet, zwei Menschen in Holon schwer verletzt, mehrere leicht.

Raketenangriffe auf den Flughafen Tel Aviv konnten noch abgefangen werden, der Flugverkehr wurde vorübergehend eingestellt, aber in Ashkelon gelang den Terrorgruppen in Gaza ein Angriff auf ein Gaswerk. Die israelische Armee bombardierte laut eigenen Angaben mehr als 500 Ziele in Gaza, auch mehrere Hochhäuser.

In diesem 13-stöckigen Hochhaus befand sich ein Hamas-Büro. Die Bewohner wurden eine Stunde vor dem Luftangriff gewarnt.
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Tel Aviv unter Beschuss, Angriffe auf Hochhäuser: Das ist der Ernstfall. Premierminister Benjamin Netanjahu und Verteidigungsminister Benny Gantz traten am Dienstag gegen 21.45 Uhr mitteleuropäischer Zeit vor die Presse, um weitere Schritte zu verkünden.

Netanjahu droht

Hamas und die Terrorgruppe Islamischer Jihad würden "einen hohen Preis bezahlen" für ihre Attacken, sagte Netanjahu, der die Israelis aufrief, sich auf eine längere Operation einzustellen und allen Sicherheitsvorgaben der Behörden zu folgen. Gantz erklärte, man werde alles tun, um längerfristig für sichere Verhältnisse zu sorgen. All jene Menschen in Israel und Gaza, die sich erhofft hatten, die Lage möge sich bis zum Wochenende beruhigen, wenn der islamische Fastenmonat Ramadan beendet ist und das jüdische Schawuot-Fest beginnt, wurden enttäuscht. Sie bekamen aber auch keine klaren Antworten, welche Strategie das Sicherheitskabinett nun verfolgt.

Die Hamas schoss am Dienstagabend eine Salve von 130 Raketen ab, den Großteil erwischte die israelische Raketenabwehr.

Wenn sich daraus ein Krieg entwickelt, dann ist es einer, den niemand wollte. Die Eskalation hatte Montagabend mit dem Ultimatum der Hamas eine neue Stufe erreicht. Bis 18 Uhr bleibe Israel Zeit, die Sicherheitskräfte vom Tempelberg, auf dem Zusammenstöße zuvor rund 300 Verletzte gefordert hatten, abzuziehen, festgenommene Demonstranten freizulassen und das Ostjerusalemer Viertel Sheikh Jarrah den Bewohnern zu überlassen. Andernfalls greife man an. Und so war es. Mehr als zweihundert Raketen wurden laut israelischen Angaben von Gaza Richtung Israel abgefeuert. Israel bombardierte laut Armee mehrere militärische Ziele in Gaza, auch Zivilisten waren unter den Opfern. Das Gesundheitsministerium in Gaza gab an, dass sich darunter auch mehrere Kinder befanden.

Am Tag danach begründete die Hamas die Offensive mit einer schlichten Rechnung: "Jerusalem ruft uns, und wir antworten."

"Unbeabsichtigte Eskalation"

Dass die Attacke, die das Land in Richtung Krieg führte, von langer Hand geplant und strategisch durchdacht war, hält Itai Brun, Experte für Militärstrategie am Tel Aviver Institut für Nationale Sicherheitsstudien, für wenig wahrscheinlich. "Die Eskalation war für beide Seiten zwar nicht unerwartet, aber trotzdem unbeabsichtigt", sagt Brun im STANDARD-Interview. Er hält es für kaum denkbar, dass Hamas "sich vor einem Monat hinstellte und sagte: Am 10. Mai beschießen wir Jerusalem." Die Ereignisse hätten eine eigene Dynamik entwickelt und in eine Gewaltspirale geführt. Im Grunde hätten beide Seiten aber kein Interesse an einem Krieg.

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In Ashkelon trafen die Hamas-Raketen ein Gaswerk.
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Ungewollt war aber auch die Eskalation im Jahr 2014 – und dann begann der Gazakrieg. Ab einem gewissen Moment war es zu spät, zurückzusteuern, sagt Brun. Das könnte auch diesmal der Fall sein.

Einen Namen hat die Operation schon: "Wall Guard" ("Mauerwächter"). Israels Militärspitze betonte Dienstagmittag, sie sei auf eine "unbegrenzte Eskalation" gefasst. Und es scheint niemanden zu geben, der im aktuellen Konflikt noch den Mediator geben könnte.

Straßenkämpfe in Lod und Ramle

Indes eskaliert die Lage auch im Inneren. In Lod und Ramle, zwei zentralisraelischen Städten mit jüdisch-arabischer Bevölkerung, liefern sich Mobs heftige Gefechte. Am Montag hatten jüdische Bewohner bei gewaltsamen Protesten israelischer Araber in Lod, bei denen auch eine Synagoge in Brand gesetzt wurde, einen arabischen Demonstranten erschossen.

Am Dienstag flammte die Gewalt erneut auf: Arabische Bewohner der Stadt zündeten laut Medienberichten Autos an. In Ramle reisten Rechtsextreme unter der Führung des Parlamentsabgeordneten Itamar Ben Gvir an, um sich Schlägereien mit arabischen Demonstranten zu liefern und arabische Autofahrer zu bedrängen.

Am Dienstag spätabends ordnete die Regierung an, Grenzpolizisten in Lod zu stationieren.

Die Gespräche für eine Regierungsbildung sind indes eingefroren. Bis auf weiteres wird Israel von einer Übergangsregierung unter Benjamin Netanjahu regiert. Und während Gaza Raketen auf Israel abfeuert, überprüft das Sicherheitskabinett, ob auch im Inneren des Landes, in den Städten mit hohem Araberanteil, der Ausnahmezustand verhängt wird. (Maria Sterkl aus Jerusalem, 11.5.2021)