Wer künftig im Grazer Rathaus – wahrscheinlich wieder mit Bürgermeister Nagl – regieren wird, könnte schon im Herbst nach vorgezogenen Wahlen feststehen.

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Es war vielleicht nur ein Testballon, aber dennoch: Seit der Grazer Bürgermeister Siegfried Nagl (ÖVP) so en passant angedeutet hat, dass er nicht Anfang 2022, sondern vielleicht schon im Herbst wählen lassen will, rauchen die Köpfe in den Oppositionsparteien. Laut Statut der Stadt kann der Bürgermeister allein den Wahltermin festsetzen.

Die Grünen haben jedenfalls bereits ihre Spitzenkandidatin, die ehemalige Nationalratsabgeordnete Judith Schwentner, per Dreiecksständer in der City in Stellung gebracht.

Nagl hatte bei der letzten Gemeinderatswahl 2017 mit seiner ÖVP 37,8 Prozent der Stimmen erreicht. Er angelte sich danach die FPÖ als Regierungspartner, die damals auf knapp 16 Prozent kam. Grüne und KPÖ sitzen zwar dank der Proporzregelung auch im Stadtsenat, die Entscheidungen trifft aber seitdem die schwarz-blaue Koalition.

Wären heute Wahlen, könnte es für Nagls ÖVP aber ziemlich knapp werden. Der Langzeitbürgermeister rangiert, so eine OGM-Umfrage der "Kleinen Zeitung", nur noch bei 30 Prozent, die FPÖ bei 13 Prozent. Schwarz-Blau ginge sich also nicht mehr aus. Große Gewinnerinnen wären die KPÖ, die von 20 auf 24, und die Grünen, die von 10,5 auf 16 Prozent springen würden. Mit der SPÖ (neun Prozent) und den Neos (sechs) käme also durchaus eine Mehrheit jenseits von ÖVP und FPÖ zustande.

Zu viele Gräben

"Aber nur theoretisch, muss man gleich dazusagen", meint Heinz Wassermann, Politikforscher an der FH Joanneum. Es sei nicht davon auszugehen, dass sich KPÖ, Grüne, SPÖ und Neos auf ein Programm einigen würden. "Da gibt es zu viele Gräben und ideologische Differenzen. Es ist auch kaum denkbar, dass die KPÖ Hauptverantwortung für die Stadt übernehmen würde. Sie müsste dann, auch angesichts der enormen Kosten der Pandemiefolgen, zum Beispiel Tariferhöhungen oder Einsparungen da und dort vertreten. Das ist schwer vorstellbar", sagt Wassermann zum STANDARD.

Das wirkliche Asset der ÖVP und gleichzeitig große Problem der Opposition heißt Siegfried Nagl. Der ÖVP-Politiker regiert seit 18 Jahren die Stadt und hat so ziemlich alles im Griff. Er hatte zwar dem Vernehmen nach große Ambitionen, in die Landespolitik zu wechseln, Landeshauptmann Hermann Schützenhöfer und dessen kolportierter "Thronfolger", Landesrat Christopher Drexler, wussten dies aber zu verhindern. Und so konzentriert sich Nagl wieder voll auf die Stadt und lebt dort seine Fantasie aus.

"Er beschäftigt die Opposition, die nur hinterherhecheln kann. Man muss sagen: alle Achtung, wie Nagl all die Jahre immer wieder neue Themen setzt und besetzt. Zuletzt mit der Idee einer Grazer U-Bahn. Auch wenn er schon längst in Pension ist, wird es die noch immer nicht geben, aber er hat ein großes Thema in den Ring geworfen, und alle im Rathaus knabbern daran", sagt Wassermann.

Natürlich hätte die Opposition Nagl fragen können, wie er als Wirtschaftsfachmann gedenke, die Milliarden aufzutreiben. "Es ist ja eine finanzielle Luftnummer, man muss mit mindestes sechs Milliarden Euro rechnen. Auch wenn Bund und Land mitzahlen, ist das budgetär nie zu heben. Immerhin sind ja auch noch riesige Straßenbahnprojekte in der Pipeline. Aber egal, er hält die Opposition mit seinen Ideen ständig auf Trab, so wie es auch bei der Murgondel oder dem Lift über den Hausberg Plabutsch war. Der Opposition in Graz ist es hingegen bis heute nicht gelungen, selbst ein großes Thema hochzuziehen", merkt Wassermann an.

Und selbst bei der kaum realisierbaren U-Bahn hat sich Nagl eine elegante Hintertür aufgemacht. Alle Oppositionsparteien hatten prompt und aufgeregt auf Nagls Vorschlag mit Gegenvorschlägen reagiert. Die Grünen verlangten eher einen Ausbau der S-Bahnen, die KPÖ Straßenbahnen und S-Bahnen und die SPÖ von allem etwas.

Jetzt hat Nagl ein Expertengremium einsetzen lassen, das von allen Parteien beschickt wird. Sämtliche Vorschläge sollen dort auf ihre Plausibilität, Machbarkeit und Nützlichkeit für die städtische Mobilität abgewogen werden. "Wenn zum Beispiel andere Vorschläge als die U-Bahn besser abschneiden, werden wir uns natürlich danach richten", heißt es aus dem Bürgermeisterbüro konziliant.

Weg vom Autofetisch

Judith Schwentner, ehemals Sozialsprecherin der Grünen im Nationalrat, heute Umwelt- und Frauenstadträtin in Graz, will nicht nur das U-Bahn-Projekt verhindern, sondern, wie sie sagt, "endlich einen wirklichen Paradigmenwechsel in der Verkehrspolitik einleiten". "Graz muss endlich weg vom Autofetisch", sagt Schwentner. Alles sei dem Auto untergeordnet. Auch die Idee der U-Bahn hieße nichts anderes, als dass "oben" alles beim Alten bliebe.

Wobei die Verkehrsstadträtin von der KPÖ, Elke Kahr, dringend fordert – um überhaupt an der Verkehrspolitik etwas ändern zu können –, dass nach der Wahl endlich alle Verkehrsagenden zusammengeführt werden. Selbst der kleinste Radweg müsse heute durch mehrere Instanzen.

Für den Parkraum ist Vizebürgermeister Mario Eustacchio (FPÖ) zuständig, für die Verkehrsplanung KPÖ-Chefin Kahr, die Finanzierung läuft über das ÖVP-Finanzressort, und die großen Verkehrsprojekte liegen überhaupt bei Nagl selbst, dann kommt noch die Grazer Holding, die ebenfalls bei allen Verkehrsvorhaben mitredet. Im Bürgermeisteramt sieht man allerdings keine Notwenigkeit einer Änderung des Zustands: "Wir sehen da keine Reibungsverluste, eine Entflechtung ist eigentlich nicht notwendig." In jedem Fall werde die Verkehrspolitik auch in den nächsten Jahren vom Leitgedanken bestimmt: Gleichberechtigung von Auto- und Radfahrern.

Geölte ÖVP-Maschinerie

Auch wenn aktuelle Umfragen für Nagl eine fallende Tendenz zeigen, "ganz große Sorgen muss er sich nicht machen. Die ÖVP ist eine gut geölte Wahlkampfmaschinerie, da kommt keiner mit, und Nagl hat sicher, wie sonst auch immer, noch einen Trumpf im Ärmel, den er kurz vor der Wahl ausspielt und auf den alle reagieren müssen", sagt Politikexperte Wassermann.

Und nach der Wahl werde er wieder von vorne beginnen können, mit Koalitionsgesprächen mit der FPÖ oder den Grünen. Die KPÖ werde ausfallen, da Nagl mit ihr nicht könne. Da sei zu viel Vertrauen vor der letzten Wahl, als die KPÖ gegen das Murkraftwerk stimmte, zerstört worden. Die nächste Wahl wird jedenfalls, prophezeit Wassermann, "wieder ein Solo für Siegfried Nagl". (Walter Müller, 12.5.2021)