Die Hamas erklärte am Dienstagabend, 130 Raketen aus dem Gazastreifen auf Tel Aviv und Zentralisrael abgefeuert zu haben. Laut israelischer Armee wurden fast 1.000 abgefeuert.

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Tel Aviv / Gaza / New York – Die Kämpfe zwischen Israel und den Palästinensern sind am Mittwoch mit unverminderter Härte fortgeführt worden. Das israelische Militär berichtete von mehr als 1.000 Raketen, die aus dem Gazastreifen abgefeuert wurden. Die radikal-islamische Hamas richtete nach eigenen Angaben allein auf Tel Aviv und Beerscheba mehr als 200 Geschosse. Israels Luftwaffe flog seinerseits Hunderte Luftangriffe. Ministerpräsident Benjamin Netanjahu gab die Tötung des Brigade-Kommandeurs für Gaza bekannt. "Das ist nur der Anfang", sagte er.

Die Islamisten-Organisation bestätigte den Tod des Kommandeurs und anderer hochrangiger Mitglieder. Hamas-Chef Ismail Hanijeh sprach von einer "unbefristeten Konfrontation mit dem Feind". Nach Angaben der israelischen Armee wurden mindestens 20 Mitglieder der Hamas und des Islamischen Jihad getötet, darunter hochrangige Vertreter.

Israels Sicherheitskabinett hat nach Medienberichten eine Ausweitung des Militäreinsatzes gegen beschlossen. Die Armee solle von sofort an gezielt "Symbole der Hamas-Herrschaft" in dem Palästinensergebiet angreifen, berichtete der Sender Kanal 12 am Mittwochabend. Es sei bereits die Zerstörung des Finanzministeriums im Herzen der Stadt Gaza angekündigt worden. Netanyahu lehnt den Berichten zufolge eine Waffenruhe zu diesem Zeitpunkt ab.

Viele Tote und Verletzte

Nach Angaben des Gesundheitsministeriums in Gaza beträgt die Zahl der seit Montag getöteten Palästinenser 65 – darunter 16 Kinder und fünf Frauen. 365 Menschen seien verletzt worden. Auf israelischer Seite wurden sechs Tote gemeldet. Dem israelischen Militär zufolge geht ein Drittel der palästinensischen Raketen vorzeitig nieder und könnte damit die eigene Bevölkerung getroffen haben. Früheren Angaben zufolge fängt die Luftabwehr etwa 90 Prozent der palästinensischen Geschosse ab, die die Grenze überqueren. Israel hat nach eigenen Angaben Infanterie und Panzer an der Grenze zusammengezogen. Aus mehreren israelischen Städten wurde Gewalt gemeldet.

Zwischen jüdischen und arabischen Israelis ist es am Mittwoch in mehreren israelischen Städten zu schweren Konfrontationen gekommen. Trotz einer Ausgangssperre flammten Unruhen in der Stadt Lod in der Nähe von Tel Aviv erneut auf. Nach Medienberichten wurde in der Stadt ein Polizeifahrzeug in Brand gesetzt. In Akkon (Akko) im Norden des Landes wurde nach Angaben des israelischen Fernsehens ein jüdischer Einwohner von arabischen Demonstranten lebensgefährlich verletzt.

In Bat Yam südlich von Tel Aviv attackierten ultrarechte Juden nach Medienberichten arabische Geschäfte. Ein arabischer Einwohner wurde nach Fernsehberichten von einer jüdischen Menge brutal mit Knüppeln angegriffen. In Haifa bewarfen jüdische Demonstranten nach Angaben der "Times of Israel" einen arabischen Autofahrer mit Steinen. Er habe daraufhin einen der Angreifer angefahren und verletzt. Die Gewalt zwischen Israel und den Palästinensern war zuletzt auch auf arabische Ortschaften im israelischen Kernland übergeschwappt.

Die Armee zerstörte in der Nacht auf Mittwoch zwei mehrstöckige Gebäude im Gazastreifen. Den Angaben zufolge befanden sich darin Büros hochrangiger Hamas-Mitglieder. Die Bewohner der Gebäude waren vor dem Angriff von Israels Streitkräften gewarnt worden. Die Hamas hatte vor der Zerstörung des ersten Gebäudes mit einem "harten" Raketenangriff auf Tel Aviv gedroht.

Der internationale Flughafen Ben Gurion bei Tel Aviv wurde wegen der Angriffe zeitweise für Landungen und Abflüge geschlossen. Die Flüge wurden nach Zypern umgeleitet. In zahlreichen Ortschaften im Großraum Tel Aviv sowie im Umkreis des Gazastreifens sollten am Mittwoch die Schulen geschlossen bleiben. Die US-Fluggesellschaften United, Delta und American strichen ihre Flüge nach Tel Aviv.

Der Nahost-Beauftragte der Vereinten Nationen, Tor Wennesland, forderte, die Gefechte umgehend einzustellen. Die Eskalation steuere auf einen vollständigen Krieg zu.

Netanjahu: Hamas wird "hohen Preis" bezahlen

Netanjahu sagte, Hamas und Islamischer Jihad würden einen hohen Preis für die jüngsten Angriffe bezahlen. "Diese Operation wird Zeit brauchen, aber wir werden den Bürgern Israels die Sicherheit zurückbringen." Generalstabschef Aviv Kochavi sagte, man sei fest entschlossen, den militanten Gruppen einen harten Schlag zu versetzen.

Zwangsräumungen als Auslöser

Der Konflikt hat sich seit Beginn des muslimischen Fastenmonats Ramadan Mitte April zugespitzt. In den vergangenen Tagen hatte es zunächst vor allem in Jerusalem heftige Zusammenstöße zwischen Palästinensern und israelischen Sicherheitskräften gegeben. Auslöser waren unter anderem Polizeiabsperrungen in der Altstadt sowie drohende Zwangsräumungen von palästinensischen Familien im Viertel Sheikh Jarrah.

Jüdische Siedler beanspruchen ihre Häuser. Das Gesetz macht es den Siedlern leicht. Können sie nachweisen, dass die Häuser vor 1948 einmal in jüdischem Besitz waren, geben Gerichte ihnen oft recht. Siedlerorganisationen suchen gezielt nach Immobilien, bei denen dieser Nachweis gelingt. Das UN-Hochkommissariat für Menschenrechte sprach im Zusammenhang mit den Zwangsräumungen von "Kriegsverbrechen".

Internationale Verurteilungen

International wuchs die Besorgnis über die Eskalation des Konflikts. Die Vereinten Nationen warnten den Uno-Sicherheitsrat laut Diplomaten vor einem großen Krieg. Die USA haben eine gemeinsame Stellungnahme des mächtigsten Uno-Gremiums zur eskalierenden Gewalt in Nahost Kreisen zufolge am Mittwoch zunächst blockiert.

Angesichts der Gewalt zwischen Israel und den Palästinensern haben UNO-Generalsekretär António Guterres und Russlands Außenminister Sergej Lawrow sich nach einem Treffen in Moskau für ein Treffen des Nahost-Quartetts ausgesprochen. Die Gruppe besteht aus den USA, Russland, den Vereinten Nationen und der EU. (APA, Reuters, red, 12.5.2021)