Der eine Nachbar will seine Ruhe genießen, der andere Rasen mähen – am Ende steht ein handfester Nachbarschaftsstreit.

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Eine Nachbarin muss sich im Homeoffice konzentrieren, während draußen die Nachbarskinder Fußball spielen. Ein Nachbar kommt erst in der Früh vom turbulenten Nachtdienst nach Hause und möchte ausschlafen. Wenn da nur nicht der Nachbarshund wäre, der immerzu bellt.

Es sind Ausgangssituationen wie diese, die Mediatorinnen und Mediatoren ein wissendes Lächeln entlocken: Lärm ist neben Gerüchen der häufigste Streitgrund in der Nachbarschaft. Durch Corona hat sich die Situation zugespitzt, weil viele noch mehr Zeit zu Hause verbringen. Geräusche von nebenan, die früher nicht aufgefallen sind, werden zum Störfaktor. "Daraus ergeben sich ganz neue Konflikte", beobachtet Mathias Schuster, Generalsekretär des österreichischen Bundesverbands für Mediation.

Die sind aber keineswegs nur auf die Stadt beschränkt. Auch auf dem Land fliegen die Fetzen. Viele haben ihre Sehnsucht nach ländlicherem Leben durch Corona entdeckt. Nicht immer hat sich die erhoffte Idylle eingestellt. Kinder, Rasenmäher, Grillgeruch und zu hohe Hecken, die das eigene Grundstück beschatten, treiben immer wieder einen Keil in die Nachbarschaft.

Auswirkungen auf die Gesundheit

Ein Problem ist laut Schuster, dass die Beziehung zu den Menschen von nebenan häufig kaum über das Grüßen hinausgeht: "Dadurch wird die Überwindung größer, Probleme anzusprechen." Schwer untereinander lösbar werden Konflikte, sobald Koalitionen mit anderen Nachbarinnen und Nachbarn geschmiedet werden und mit der Hausverwaltung oder dem Anwalt gedroht wird.

Solche Streits können belastend sein. "Das trifft die Menschen in ihrem Innersten", sagt Schuster. Ein Umzug, um der Situation zu entkommen, wäre eine einfache Lösung. Das ist für die meisten aber nicht möglich, weil die Kinder hier in die Schule gehen und man sich für das Zuhause hoch verschuldet hat. Wenn die Wohnqualität leidet, schwappe das oft auf das Familienleben über. Auch auf die Gesundheit und die Schlafqualität können sich die Unstimmigkeiten auswirken.

Wenn sich aber beide Seiten bereiterklären und sie an einer Lösung interessiert sind, kann eine Mediation sinnvoll sein. Genau daran scheitert es aber oft, berichtet Jan Stadlmaier von Co Medio – Institut für Konfliktregelung und Mediation. Nur einer von 40 Anrufen von Nachbarn, schätzt er, führt zu einer Mediation. Bei Konflikten im ländlichen Bereich gebe es aber mitunter engagierte Bürgermeister, die die Streithähne an einen Tisch und zur Mediation bringen.

Nachbarschaftsfälle beschäftigen aber auch die Gerichte: "Oft haben die Menschen eine sozialromantische Vorstellung davon, was ein Gericht tun kann", sagt Stadlmaier. Denn die Verfahren ziehen sich – und bringen am Ende auch selten eine Lösung fürs Zusammenleben.

Lösung für beide Seiten

Eine Mediation beginnt Stadlmaier mit Einzelgesprächen, um die Situation zu verstehen. Hier prallen mitunter völlig konträre Sichtweisen der Situation aufeinander: "Manchmal frage ich mich da schon, ob die wirklich nebeneinander wohnen", sagt Stadlmaier. Sitzen beide Parteien am Tisch, wird an einer Lösung für beide Seiten gearbeitet. Am Ende steht im besten Fall eine – oft schriftliche – Vereinbarung, wie es nachbarschaftlich gut weitergehen kann. Häufig sind dafür nicht mehr als zwei Sitzungen notwendig, sagt Stadlmaier: "Die größte Hürde ist, alle an den Tisch zu bekommen."

Die Mühe kann sich auszahlen: "Wir merken immer, dass man rasch zu Lösungen kommt, wenn sich die Nachbarn kennenlernen", sagt Mathias Schuster. Dadurch kämen plötzlich neue Lösungsansätze auf den Tisch. Es lässt sich eben besser auf die Bedürfnisse der anderen Rücksicht nehmen, wenn man darüber erst einmal Bescheid weiß: "Manchmal schicken sich Nachbarn dann gegenseitig ihre Zeitpläne", sagt Schuster über die eingangs erwähnten Fälle. So weiß jeder, wer wann Nachtdienst hat und wann die Kinder Homeschooling haben.

Damit es erst nicht so weit kommt, empfiehlt Stadlmaier, schon bei der Wohnungssuche zu erfragen, wie die Stimmung im Haus ist. Ratsam ist auch, mit Nachbarinnen und Nachbarn schon in Friedenszeiten ins Gespräch zu kommen und beispielsweise Nachbarschaftsfeste zu feiern.

Wenn man weiß, dass die lauten Kinder unten im Hof Max und Marlene heißen und der bellende Hund Flocki, dann ist die Situation gleich eine ganz andere. (Franziska Zoidl, 15.5.2021)