Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein (Grüne), Innenminister Karl Nehammer (ÖVP), Frauenministerin Susanne Raab (ÖVP) und Justizministern Alma Zadić (Grüne) beim runden Tisch.

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Wien – Nachdem in Österreich 2021 schon elf Frauen von Männern getötet worden sind, hat am Mittwoch im Bundeskanzleramt ein runder Tisch mit Opferschutzeinrichtungen zum Gewaltschutz stattgefunden. Dazu waren eine Woche nach dem Sicherheitsgipfel 18 Vertreterinnen und Vertreter von Frauenrechtsorganisationen eingeladen, ihnen gegenüber saßen Frauenministerin Susanne Raab (ÖVP), Justizministerin Alma Zadić (Grüne), Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) und Gesundheits- und Sozialminister Wolfgang Mückstein (Grüne). Thema war dabei vor allem die Erhöhung der finanziellen Mittel für den Gewaltschutz, aber auch für die Täterarbeit und Prävention.

Knapp 25 Millionen Euro zusätzlich

Frauenministerin Raab kündigte nach dem Treffen "die größte Gewaltschutzoffensive der letzten Jahrzehnte" an: 24,6 Millionen Euro zusätzlich werden demnach in den Gewaltschutz, in Täterarbeit und andere Felder investiert, "damit jede Frau und jedes Kind in Österreich sicher ist". Man werde mit dem zusätzlichen Geld viele Angebote ausbauen können, etwa Familienberatungsstellen und Kinderschutzzentren.

Justizministerin Zadić betonte, dass der Gewaltschutz längerfristig ausgestattet werden müsse – das passiere nun mit den zusätzlichen Millionen. In ihrem Ressort habe sie bereits in den vergangenen Wochen Schritte gesetzt, damit es zu mehr Verurteilungen kommt, Österreich wurde wegen der geringen Rate im Grevio-Bericht bekanntlich stark kritisiert. Konkret will Zadić für die psychosoziale Prozessbegleitung drei Millionen Euro zusätzlich investieren, 1,5 Millionen Euro gibt es für die Familiengerichtshilfe, und eine halbe Million Euro soll in Täterarbeit und Anti-Gewalt-Trainings investiert werden. Prävention sei der Schlüssel, um weitere Morde zu verhindern, so die Justizministerin. "Und ich möchte betonen, wie wichtig der Austausch heute war."

Verschärfung des Waffengesetzes

Das tat auch Innenminister Nehammer. Das Ergebnis, sein Ressort betreffend: Fallkonferenzen werden ausgebaut, es soll 800 statt 500 Präventionspolizisten geben. Diese Punkte waren bereits bekannt. Ein neues Analysetool in Wien, mit dem treffsicher erkannt werden kann, dass es sich um Gewalt in der Familie handelt, soll außerdem zum Einsatz kommen. Und die Landespolizeidirektion Wien werde bis Jahresende sicherstellen, dass 24 Stunden am Tag ein spezielles Team im Einsatz ist, sagte Nehammer. Bei Anzeigen wegen Stalkings sollen künftig die entsprechenden Einrichtungen gleich informiert werden, um Frauen schützen zu können. Nehammer zufolge gibt es 6,5 Millionen Euro zusätzlich für Gewaltschutzeinrichtungen – in Summe gebe sein Ressort dann 12,3 Millionen Euro für diesen Bereich aus. Er werde außerdem eine Verschärfung des Waffengesetzes prüfen – bei Betretungsverboten solle künftig ein obligatorisches Waffenverbot ausgesprochen werden, so Nehammers Vorschlag.

Mückstein "wütend und traurig"

Als Vater von zwei Töchtern machen Gesundheits- und Sozialminister Mückstein die Frauenmorde "wütend und traurig". Erneut kritisierte er, dass bei solchen Taten teilweise noch immer die Rede von "Beziehungsdramen und enttäuschter Liebe" sei: "Das kann doch nicht unser Ernst sein. Wenn ein Mann seine Frau schlägt oder umbringt, dann ist das zu 100 Prozent seine Verantwortung. Es gibt keine Grauzone."

Bei dem Treffen seien "offene Worte" gesprochen worden, der Gewaltschutz habe in Österreich oberste Priorität. "Aber wenn wir Frauen schützen wollen, müssen wir auch bei den Männern ansetzen, und zwar bevor es zu Gewalt kommt." Noch immer werde oft erwartet, dass Buben und Männer stark sein müssen. "Dabei kennt jeder das Gefühl, wenn es einmal zu viel wird. Wenn das in Aggression umschlägt, ist das ein Warnsignal. Da müssen Männer erkennen, okay, ich brauche Hilfe." Mückstein will deswegen vier Millionen Euro für Männerberatungsstellen und Anti-Gewalt-Trainings einsetzen. "Aber die besten Beratungsangebote nützen nichts, wenn sie nicht bekannt sind bzw. die Hemmschwelle zu groß ist, sich zu melden." Deswegen gebe es auch eine großangelegte Kampagne.

Was die ExpertInnen sagen

Die zusätzlichen Millionen waren in den Gesprächen mit den Expertinnen und Experten allerdings kein Thema, wie Teilnehmerinnen und Teilnehmer nach dem Gipfel dem STANDARD berichteten. Die Vertreterinnen und Vertreter der jeweiligen Organisationen konnten jeweils ihre dringlichsten Punkte vorbringen – mehr Ressourcen waren dem Vernehmen nach bei allen das wichtigste Thema.

Eine der 18 Vertreterinnen war am Mittwoch Rosa Logar, Geschäftsführerin der Wiener Interventionsstelle gegen Gewalt in der Familie. Ihren Mehrbedarf an Geld bemisst sie mit 1,4 Millionen Euro: "Wir haben aktuell 20 Stellen für die Beratung von Opfern, brauchen aber mindestens 40." Eine Beraterin betreue durchschnittlich 310 Opfer im Jahr, mehr als Hilfe in akuten Situationen sei da nur schwer möglich. "Außerdem würden wir zu den 6.000 Opfern, die wir jährlich beraten, zumindest einen Teil der 5.000 Kinder betreuen. Dafür bräuchten wir zumindest vier Beraterinnen", rechnet Logar vor. Die 1,4 Millionen Euro würden ungefähr eine Verdoppelung dessen bedeuten, was die Interventionsstelle jetzt von Bundeskanzleramt bzw. dem Innenministerium für die Beratung bekommt.

Obwohl immer wieder betont werde, dass die Türen offen stünden, würden die Entscheidungen meist ohne die Expertise aus den entsprechenden Einrichtungen getroffen, kritisiert Logar. Dass die Fallkonferenzen ausgebaut werden, sei beispielsweise gut. In die Erstellung des Konzepts dazu sei man aber nicht eingebunden. "Das ist enttäuschend. Wir haben das damals in Wien aufgebaut." Logar merkt dabei an, dass nicht nur die Polizei diese Konferenzen einberufen können sollte, sondern auch die Opferschutzstellen. Die Koordination müsse ganz allgemein verbessert werden. So würden die Organisationen oft nicht erfahren, dass die Frauen, die sie eigentlich begleiten dürfen, von der Polizei einvernommen werden.

Thema Herkunft von Tätern sorgte für Debatten

Neben der Aufteilung des zusätzlichen Geldes sorgte vor allem das Thema Migrationshintergrund bzw. kulturelle Herkunft bei Gewalttätern bei der Pressekonferenz der Ministerinnen und Minister für Diskussionen. Raab thematisierte in ihrem Statement erneut "ehrkulturelle Probleme", die es in manchen Fällen gebe. Man dürfe Gewalt zwar auf keinen Aspekt reduzieren, aber es dürfe auch keinen blinden Fleck geben, sagte die Ministerin in Bezug auf einen Migrationshintergrund von Tätern bzw. Opfern. Am Dienstag traf sich Raab bereits zum Thema kulturell bedingte Gewalt mit Expertinnen und Experten. Sie kündigte danach eine Studie "zu unterschiedlichen Motiven kultureller Gewalt" an.

Mückstein und Zadić betonten in der Folge, dass Expertinnen und Experten immer darauf hinweisen würden, dass Gewalt an Frauen ein weltweites Phänomen sei. "Femizide ziehen sich durch alle Bevölkerungsschichten", sagte Zadić. Raab wollte darauf nochmals reagieren. "Ich kann Ihnen aus zehn Jahren Integrationsarbeit schon sagen, dass es Probleme gibt: Zwangsverheiratungen, Genitalverstümmelung et cetera", sagte sie zu den anwesenden Journalistinnen und Journalisten. Fünf von zehn Tätern der diesjährigen Taten seien im Ausland geboren. "Wir dürfen auf keinem Auge blind sein."

"Ich wusste gar nicht, dass sich die Ministerin mit Experten zum Thema importierte Gewalt getroffen hat. Wir hätten da auch einiges zu sagen, schade, dass wir nicht einbezogen wurden", sagt Logar dazu. Man müsse lernen, auf die Gefährlichkeitsfaktoren zu schauen und nicht auf die Herkunft. "Das verwehrt uns sonst den klaren Blick auf die Gefahr."

Nächster Fall

Noch während die Pressekonferenz der Ministerinnen und der Minister lief, wurde die nächste Tötung einer Frau bekannt: In Wien wurde eine Frau tot in ihrer Wohnung aufgefunden. Die 36-Jährige wies Verletzungen im Halsbereich auf. Der 44-jährige Ehemann, ein serbischer Staatsbürger, befand sich ebenfalls in der Wohnung und wurde von der Polizei als möglicher Tatverdächtiger festgenommen. (Lara Hagen, 12.5.2021)