Leichenverbrennung in Neu-Delhi von Anfang dieser Woche. Aktuell entfallen laut Angaben der WHO 30 Prozent der CoV-Toten weltweit auf Indien.

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In Indien sind innerhalb eines Tages offiziell 4.205 Menschen am Coronavirus gestorben. Das sind so viele wie nie zuvor innerhalb von 24 Stunden. Zudem wurden 348.421 Neuinfektionen gezählt. "Wir dürften bei 400.000 Infektionsfällen ein Plateau erreichen", sagte der indische Virologe Shahid Jameel in einem Interview für die Tageszeitung "Indian Express". Aber es sei noch zu früh, "um sicher sagen zu können, dass wir den Höhepunkt der Infektionswelle schon erreicht haben".

Das sind freilich nur die grausamen offiziellen Zahlen; die Dunkelziffer dürfte deutlich höher liegen: In Teilen des riesigen Landes gibt es kaum Testmöglichkeiten, und besonders in ländlichen Regionen sterben viele Opfer zu Hause und tauchen nicht immer in der Statistik auf.

Bei den CoV-Infektionszahlen in Indien könnte womöglich ein Plafond erreicht sein.
Grafik: Our World in Data

Als ein Grund für die katastrophale Lage im südasiatischen Land gilt die "indische" Mutante B.1.617, die am Montag von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) als "besorgniserregend" eingestuft wurde, da sie ansteckender und womöglich auch unempfindlicher gegen Antikörper sei. Am Mittwoch verlautbarte die WHO zum einen, dass Indien für 50 Prozent der CoV-Infektionsfälle und 30 Prozent der CoV-Todesfälle weltweit verantwortlich sei.

Zum anderen habe sich B.1.617 laut WHO auf bereits fast 50 Länder ausgebreitet, darunter auch Österreich – bei uns allerdings nur in Einzelfällen.

Neueste Studien zu B.1.617

Das Wissenschaftsjournal "Nature" hat am Dienstag die Studienlage zur "indischen" Mutante sowie zur Entwicklung in Indien einem Artikel gut zusammengefasst. Vor zwei bis drei Wochen sah es noch so aus, als ob mehrere Varianten hinter der dramatischen Infektionswelle stünden; B.1.617 war bis dahin nur im Bundesstaat Maharashtra dominant. Doch seitdem ist B.1.617 zur führenden Variante in vielen Staaten geworden und nimmt auch in Delhi rapide zu, wo bisher B.1.1.7 vorherrschend war.

Die indische Variante und ihre Subtypen dürften also höchst ansteckend sein. Das legen auch genetische Untersuchungen nahe, die in den letzten Tagen als noch nicht fachbegutachtete Preprints auf dem Server "Biorxiv" erschienen. B.1.617 dürfte laut einer Untersuchung des indischen National Institute of Virology acht Mutationen im sogenannten Spike-Protein aufweisen, mit dem das Virus an die Zellen andockt. Zwei davon werden mit höherer Infektiosität in Verbindung gebracht und eine davon, die ganz ähnlich auch in der brasilianische Variante P.1 auftritt, mit Immunevasion.

Keine voreiligen Schlussfolgerungen

Eine neue deutsche Untersuchung bestätigt im Laborversuch zudem, dass B.1.617 leichter in Darmzellen und Lungenzellen eindringen kann. Gleich mehrere Laboruntersuchungen ergaben, dass B.1.617 die neutralisierende Wirkung von Antikörpern durch Impfungen und vorhergehende Infektionen vermindert. Eine neue Studie an Hamstern wiederum zeigte bei Infektionen mit B.1.617 deutlich schwerere Entzündungen der Lunge als bei Infektionen mit dem "Wildtypus". Entwarnung gibt hingegen eine weitere Zellkulturstudie, die keine besonders beunruhigenden Eigenschaften bei B.1.617 sieht und auch die mRNA-Wirkstoffe weiter für wirksam hält.

Diese In-vitro-Studien und Tierversuche sind freilich immer mit Vorsicht zu genießen. Erstens ist die Zahl der Tests gering; zweitens kann von Tieren nicht so einfach auf Menschen geschlossen werden – und drittens muss eine reduzierte Neutralisation der Immunantwort in der Petrischale noch lange nicht bedeuten, dass etwa Impfungen auch "in echt" unwirksam werden.

Allerdings wurden aus Indien tatsächlich Infektionen beim Gesundheitspersonal gemeldet, das zuvor mit Vaxzevria, dem Impfstoff von Astra Zeneca, geimpft worden war. Die Forscherinnen und Forscher beruhigen dennoch und gehen weiterhin davon aus, dass die Impfstoffe und vorherige Infektionen auch bei B.1.617 zumindest immer noch vor schweren Verläufen bewahren.

Rascher Anstieg in England

Eher beunruhigende Meldungen zu B.1.617 kommen neuerdings auch aus Großbritannien, wo man den besten Überblick über grassierende Virusvarianten hat. Dort hat die Zahl der Infektionsfälle mit dem indischen Subtyp B.1.617.2 innerhalb kürzester Zeit sehr stark zugenommen, wie der "Guardian" am Mittwoch berichtete. Bis zum 7. Mai gab es bereits fast 1.400 bestätigte Fälle, in einigen Städten in Nordengland beträgt ihr Anteil bereits über 50 Prozent.

Das Besorgniserregende daran: Die Infektionsfälle mit B.1.617.2 verdoppelten sich zuletzt wöchentlich, wie Christina Pagel (University College London) im "Guardian" sagt, und diese Variante scheint sich gegen die ohnehin schon ansteckendere Variante B.1.1.7 durchzusetzen. Expertinnen und Experten warnen daher davor, dass die großen Öffnungsschritte, die in Großbritannien für den 17. Mai geplant sind, angesichts dieser jüngsten Entwicklung womöglich voreilig sein könnten.

Warnung für Österreich

Was bedeutet das alles für Österreich? Hier sind erst fünf Fälle mit B.1.617 bestätigt worden, die auch gut eingrenzbar scheinen. Die Entwicklungen in Großbritannien sollten uns aber eine Warnung sein: Neben der "südafrikanischen" und der "brasilianischen" wird wohl auch der "indischen" Variante künftig erhöhte Wachsamkeit zuteilwerden müssen. (Klaus Taschwer, 12.5.2021)