Gewaltpanorama mit zäher kleiner Frau: Cora (Thuso Mbedu) flieht in "The Underground Railroad" aus der Sklaverei, nur um in anderen Ausbeutungsszenarien zu landen.

Foto: Amazon Studios / Kyle Kaplan

Es gibt viele Versprechen von Freiheit in The Underground Railroad, und keines davon überzeugt. An einer Stelle wird Cora (Thuso Mbedu), die entflohene Sklavin, in der Nacht aus den Händen ihres hartnäckigsten Verfolgers befreit. Doch kaum hat sie das Haus ihrer Gefangenschaft verlassen, zögert sie und will umkehren. Den Mann, der sie und andere Schwarze so lange malträtiert hat, kann sie nicht am Leben lassen, meint sie. Sonst wäre sie immer auf der Flucht.

Man kann diese Szene exemplarisch verstehen. Für Schwarze gibt es in der Geschichte der USA so viele Varianten von Gefangenschaft wie dubiose Freiheitsentwürfe. Das darzulegen war schon eine der Qualitäten des mit dem Pulitzer-Preis prämierten Romans von Colson Whitehead. Die von Oscar-Preisträger Barry Jenkins inszenierte Amazon-Serie steht dem nun in nichts nach – sie überzeugt mit eigenständiger, auch visuell wuchtiger Wirkkraft.

Kalkulierte Niedertracht

Coras Flucht aus der Sklaverei einer Baumwollplantage in Georgia bringt diese dem erhofften Status einer freien Bürgerin nicht näher, sondern deckt zunächst nur neue Facetten von Entrechtung und Entmenschlichung auf. Anstatt dass sich der Himmel der Knechtschaft klärt, tritt Cora in weitere perfide Abhängigkeitsverhältnisse ein, die sich anders nennen, aber auf demselben Obrigkeitsdenken einer herrschenden Rasse aufbauen.

Jenkins zeigt in The Underground Railroad sein Land als rassistische Nation. So ausdrücklich und differenziert zugleich hat man das bis dato noch selten gesehen. Mit viel Gespür für die kalkulierte Niedertracht des Menschen porträtiert er die Täter, manchmal auch als lebende Verdammte, die sich selbst zerfressen. Lange hat man in dieser bemerkenswerten Serie den Eindruck, dass sich Cora durch eine Hölle auf Erden bewegt, einen halb wirklichen, halb halluzinatorischen Raum.

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Parabel des Überlebens

Der Zug ins Fantastische war schon in der Handlung des Romans angelegt. Bei der Underground Railroad handelt es sich um Pflichtstoff in US-Schulen – es ist der Name für ein historisches Netzwerk von Helfern, mit geheimen Verstecken und kodierten Nachrichten, das sich zur Aufgabe setzte, entlaufene Sklaven in sichere Staaten zu schleusen.

Die Eisenbahn war jedoch nur eine Metapher, ein Teil der Geheimsprache dieser bis zum Ende des Bürgerkriegs bestehenden Operation. Whitehead und Jenkins verstehen sie hingegen wortwörtlich, was ihre Arbeiten zu Parabeln macht: Cora tritt wirklich in einen unterirdischen Zug ein. Einen genauen Fahrplan gibt es nicht. Man nimmt den erstbesten, und so ungewiss ist dann auch alles, was einen an den Stationen erwartet.

Düsternis der Materie

Jenkins hat die Arbeit an seiner ersten Serie als die bisher größte Herausforderung seiner Karriere bezeichnet. Man kann nur erahnen, wie schwierig es für einen afroamerikanischen Regisseur sein muss, bei dem Thema den richtigen Ton zu treffen. In seinem Coming-of-Age-Drama Moonlight und der James-Baldwin-Verfilmung If Beale Street Could Talk hat der 41-Jährige mit einer Poetik der Zwischentöne begeistert. Trotz seiner Expertise in schwarzen Identitätsfragen dachte man angesichts der Düsternis dieser Materie nicht sofort an ihn.

Die erste Folge der Serie erzählt vom Auslöser der Flucht von der Plantage und erinnert noch an realistische, jüngere Sklavendramen wie 12 Years a Slave. Am Ende steht mit der grausamen Verbrennung eines Entflohenen allerdings schon ein Bild, das in seiner Unerbittlichkeit des Hinschauens auf das Kommende verweist. Auf der einen Seite steht der Chor aus Sklaven, der dem Spektakel zusehen muss; auf der anderen führen die weißen Eigentümer ein Tänzchen auf.

Noch finsterer, intensiver

Jenkins erweist sich in den zehn Folgen – manche haben mit 70 Minuten fast Spielfilmlänge, eine ist dafür nur rund 20 Minuten lang – stilistisch so wandelbar, wie es ihm die Spielarten der Gesellschaftsentwürfe abverlangen. In South Carolina, wohin es Cora und ihren anfänglichen Begleiter Caesar (Aaron Pierre) als Erstes verschlägt, scheint etwa ein Durchatmen möglich, doch bald entpuppt sich der Hafen einer Gemeinschaft aus progressiven Ärzten und Lehrerinnen als eine an Margaret Atwood erinnernde Dystopie. Für deren Verwirklichung schreckt man selbst vor eugenischen Maßnahmen nicht zurück.

Amerikanischer Imperativ

Von da an wird es noch finsterer, und die Intensität nimmt weiter zu. In North Carolina ist die Sklaverei abgeschafft, allerdings mit der totalitären Absicht, überhaupt kein schwarzes Leben mehr zu dulden. Im Sklavenhändler Ridgeway, den Joel Edgerton das Charisma eines teuflischen Bösewichts verleiht, findet die zähe Überlebenskünstlerin Cora einen Widersacher, der sich durch den "amerikanischen Imperativ" zu allem berechtigt sieht.

Jenkins entwirft sein Stationendrama wie einen Abstieg ins Totenreich. Feuer wird zum bestimmenden Motiv, das das Land in ein glosendes Aschenest verwandelt. Dazwischen beschwört er mit lyrischer Note eine Humanität, die sich behauptet.

Bezeugen eines Traumas

Großen Anteil an der Wirkung der Serie kommt dem Sounddesign und der Musik von Jenkins’ Stammkomponisten Nicholas Britell zu, der mit Streichern und Bläsern richtige Klagelaute erzeugt. Dazu mischt sich die Stimme Coras, die sich an keinem Kompromiss mit der Mehrheitsgesellschaft beteiligen will. Die Aktualität von The Underground Railroad liegt im Beharren auf Anerkennung, im Bezeugen eines Traumas. Danach lässt sich erst von Freiheit reden. Jetzt bei Amazon Prime. (Dominik Kamalzadeh, 14.5.2021)