Die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft ermittelt gegen Sebastian Kurz (ÖVP) wegen mutmaßlicher Falschaussage im Untersuchungsausschuss.

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Im Strafverfahren gegen Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) liegen die wesentlichsten Fakten auf dem Tisch: Sowohl die Chats als auch die Aussagen im U-Ausschuss sind gut dokumentiert. Entscheidend wird daher die Frage sein, ob Kurz auch vorsätzlich gehandelt hat.

Frage: Könnte die Staatsanwaltschaft das Verfahren einstellen?

Antwort: Erhärtet sich der Verdacht gegen Sebastian Kurz nicht, kann die Staatsanwaltschaft das Ermittlungsverfahren auch einstellen. Für den Bundeskanzler wäre das zweifellos der angenehmste Verfahrensausgang – allerdings ist das unwahrscheinlich: Der Sachverhalt scheint zu einem Großteil geklärt. Viel mehr Ermittlungsarbeit dürfte nicht mehr notwendig sein. Selbst Kurz rechnet nicht mit einer Einstellung. Er geht davon aus, "dass die Staatsanwaltschaft einen Strafantrag einbringen wird", wie er bereits am Mittwoch dazu sagte.

Frage: Was passiert im Falle der Anklageerhebung?

Antwort: Hält die Staatsanwaltschaft eine Verurteilung von Kurz für wahrscheinlicher als einen Freispruch, wird sie Anklage erheben. Bei Delikten mit einem Strafausmaß von bis zu drei Jahren – dazu zählt auch die falsche Beweisaussage – spricht man formaljuristisch von einem "Strafantrag". Im Falle einer Anklage würde der Prozess am Landesgericht für Strafsachen in Wien stattfinden. Zuständig wäre nicht ein Richterkollegium, sondern eine einzelne Richterin oder ein einzelner Richter.

Frage: Wovon hängt eine mögliche Verurteilung ab?

Antwort: Dass die Aussagen von Kurz im U-Ausschuss falsch waren, dürfte anhand der vorliegenden Chatnachrichten objektiviert sein, sagt Strafverteidiger Nikolaus Rast zum STANDARD. Entscheidend wird nun sein – und das ist auch die Verteidigungsstrategie von Kurz –, ob man nachweisen kann, dass er vorsätzlich falsch ausgesagt hat. Dafür würde ein sogenannter bedingter Vorsatz reichen. Laut Katharina Beclin, Professorin für Strafrecht an der Uni Wien, wäre die Voraussetzung dafür schon erfüllt, wenn Kurz es "ernstlich für möglich gehalten hat, dass seine Aussagen unrichtig sind, und damit in Kauf genommen hat, dass er die Abgeordneten falsch informiert". Dass der Beschuldigte weiß, dass seine Aussagen unrichtig sind, ist dagegen nicht erforderlich.

Frage: Wie weist man einen bedingten Vorsatz in der Praxis nach?

Antwort: Der Nachweis dieser "subjektiven Tatseite" ist naturgemäß schwierig, erklärte Beclin am Donnerstag im STANDARD-Gespräch. In der Praxis greifen Gerichte und Staatsanwaltschaften daher regelmäßig auf Sachbeweise zurück und ziehen Schlussfolgerungen. Letztlich geht es um eine Frage der Beweiswürdigung: Das Gericht wird abwägen müssen, ob die Aussagen von Kurz und der festgestellte Sachverhalt zusammenpassen. Je stärker die objektiven Beweismittel sind, desto eher wird man auch einen Vorsatz annehmen können. Der Beweis sei bei einer Falschaussage jedenfalls nicht schwieriger zu erbringen als bei anderen Delikten, sagt Rechtsanwalt Rast.

Frage: Was würde für und was gegen Kurz sprechen?

Antwort: Kurz könnte argumentieren, dass er tagtäglich mit sehr vielen Leuten zu tun hat und sich daher kaum an jedes Detail seiner Besprechungen erinnern kann. Teil der Verteidigungsstrategie ist auch die Befragungssituation im U-Ausschuss. Der Kanzler stützt sich darauf, dass es aufgrund der Fragestellungen der Opposition zu Missverständnissen kam. Gegen Kurz spricht, dass es sich bei Öbag-Chef Thomas Schmid offensichtlich um einen Freund handelte und sich die Gespräche über die Bestellung des Vorstands und des Aufsichtsrats über einen längeren Zeitraum erstreckten. Letztlich liegt die Beweiswürdigung aber allein in den Händen der zuständigen Richterin oder des zuständigen Richters.

Frage: Könnte sich Kurz auf einen Aussagenotstand berufen?

Antwort: Aussagen im U-Ausschuss unterliegen grundsätzlich der Wahrheitspflicht. Auskunftspersonen müssen allerdings dann nicht aussagen, wenn sie sich durch die Beantwortung einer Frage selbst belasten würden. Da durch eine Nichtaussage der Eindruck entstehen könnte, dass die Auskunftsperson etwas zu verbergen hat, können Falschaussagen aufgrund eines sogenannten Aussagenotstands entschuldigt sein. Laut Expertin Beclin geht dieser Ausnahmetatbestand weit. Sogar "drohende Schande" reicht unter Umständen aus, eine Falschaussage zu entschuldigen. Es ist nicht auszuschließen, dass sich Kurz in einem möglichen Prozess auf diesen Entschuldigungsgrund stützt.

Frage: Kommt für Kurz eine Diversion infrage?

Antwort: Abgesehen von der Einstellung des Verfahrens und einem Gerichtsurteil wäre laut Beclin auch eine Diversion möglich. Ist der Sachverhalt geklärt, kann die Staatsanwaltschaft oder das Gericht auf ein Strafurteil verzichten. Der Beschuldigte bekommt dann das Angebot, die Verantwortung für seine Tat zu übernehmen und einen Geldbetrag zu bezahlen oder gemeinnützige Arbeit zu leisten. Kurz würde das Angebot einer Diversion aber jedenfalls in eine Zwickmühle bringen: Nimmt er an, würde medial das Bild entstehen, dass er die Schuld eingesteht. Lehnt er ab, setzt er sich dem Risiko einer Verurteilung aus. Anwalt Nikolaus Rast hält ein Diversionsangebot an eine Person, die im öffentlichen Leben steht, allerdings für unwahrscheinlich. (Jakob Pflügl, 14.5.2021)