Ob dieser Mund jemals lachte? Margarita Teresa de Austria, Velázquez-Säle, Prado.

Foto: AFP / Gabriel Bouys

Was die/der für ein Gesicht macht, ließ sich gelegentlich hören. Das ist vorbei. Freude, Staunen, Trauer, eine stumme Kommunikation mit dem Nächsten? Man trug ein Gesicht, trug es zur Schau als obligates Kennzeichen, als Glücksverweis, als hergerichtete Visage. Ein Lächeln an der Haltestelle, das man geschenkt bekommt, verschenken kann? Weiterhin Maske. Darunter die Fragen nach dem Zurückgestauten, den Zweifeln und den Verzweiflungen. Vielleicht auch die Frage: Wer bist du noch selbst.

Fragen. Sie den Augen überlassen? Fragende Blicke, die uns beschäftigen. Und auf Antworten warten. Die es nicht gibt. Es gibt andere Fragen. Eine kürzlich zu lesende: Was eine Beethoven-Schau im KHM mache oder auch, welche Fragen bei den abgegebenen Analysen zu Gemälden entstünden? Sich ein eigenes Bild machen? Ja, aber ... Der Eindruck, dass es beim Betrachten zu silhouettieren beginnt, sich einem Resümee verweigert, entzieht.

Ein Mirakel diese lasierenden Farbnetze, zum Beispiel bei Werken der Alten Meister, wie kostbare Teppiche, auf die das Auge nicht zu steigen wagt, blickt man doch über das Schönsein hinaus in die Zeitlosigkeit. Uralte Kunstschätze, die uns in den Museen entgegenblicken, festgehalten für uns, für die kommende Zeit, für die gewesene, für die uns verlorengehende Zeit.

Bild im Bild

Nun zu Fragen, die sich Ende 1970, während meines Madrid-Besuchs gestellt haben. Erste Besichtigung: das Museo del Prado. Überwältigt von den Schätzen und Meisterwerken stand ich schließlich in den Velázquez-Sälen. Vor einem Gemälde standen drei Personen, die ein näheres Betrachten nicht zuließen. Der neben mir stehende große Mann war Dalí, Salvador Dalí! Eine Leuchtschrift für die Bewunderin, für die Surrealisten generell, für eine in dem Stil Malende.

Abbilden; mit den Augen festhalten, aber dezent. Bild im Bild. Gesicht und Gestalt. Dunkles Haar, Augenpartie, markantes Kinn, der vom obligaten Oberlippenbart aufgezwirbelte Schnurrbart. Ein Fell-Capé über den Schultern. Dalí auf einen Stock gestützt. Neben ihm eine (ältere) Frau, neben ihr noch ein Mann.

Die drei standen, murmelten, standen. Drei Augenpaare wanderten über die im Bild stehende Jugendliche. Und das spähende vierte Augenpaar: ja, die Lippe, die Infantin, eine dieser, die spanische Prinzessin Margarita, Tochter von Philipp IV. von Spanien Habsburg und Maria Anna von Habsburg (zugleich seine Nichte).

Farbexplosionen

Der königliche Hofmaler Diego Velázquez hat die königliche Familie oft und in unterschiedlichen Posen porträtiert und allem vor an in verschiedenen prächtigen Kleidern die goldblonde Infantin als (Klein-)Kind und ein Jahr vor seinem Tod noch als Achtjährige In Blau (KHM). Und nachdem er den Pinsel abgegeben hatte, übernahm ihn Juan Mazo, sein Schwiegersohn.

Und Salvador Dalí, in seiner Bewunderung für Velázquez, hat in einigen Bildern diese Infantin in silhouettierten und abstrakten (explosiven) Formen gemalt, vielleicht in Anlehnung an Velázquez’ Farbexplosionen, zudem sich Dalí auch als Befürworter der explosiven atomaren Kraft hervorgetan hat, für ihn ein Blick auf das Göttliche. Unerheblich der Eindruck, dass sich die durch Inzucht entstandene Habsburger-Unterlippe, die ganze Kinnpartie, die sich ausgeprägt auch in den Velázquez-Porträts von Philipp IV. zeigt, in Dalís Bildern, die ab den Sechzigerjahren entstanden, verloren hat.

Dalí trug seinen Schnurrbart wohl auch in Verehrung Velázquez’, der ihn trug – wie auch Philipp IV. Und war schon Dalís Hinwendung zur Aristokratie nicht goutiert worden, so überlegte man in Surrealistenkreisen, den angeblichen Faschisten und Atomkraftbewunderer auszuschließen. Zeitlebens zwischen Genie und Exzentrik, war er etlichen Angriffen ausgesetzt.

Mit seiner Frau Gala, später getrennt (nicht ganz), ging er u. a. in die USA. Nun steht er also wieder vor den flimmernden Farbeffekten des Barockmalers. Wie dessen Pinsel mit Licht und Schatten die Leinwand beherrscht bis hin zum einzelnen Silberfaden im Kleid der Infantin.

Dalís verklärtes Gesicht, als reflektiere er die Arbeit des Meisters. Bei Dalís Bildern bräuchte es ein längeres Schauen, um zu sehen, auch die dunkle, im Bild integrierte kleine Figur eines Mannes: Velázquez’, Dalís Gesicht? Eines, das sich nicht mitteilen will, das beim jeweiligen Foto die Augen aufreißt. Eine Maskierung? Das Bild Velázquez’ aus einer Entfernung und im Kopf Dalís Bilder. Er selber da und sehr fern. Und Gala, die ihn angeregt, gestützt, gefördert, als Künstler durchgesetzt hat. Amanda Lear, seine Muse, steht nicht neben ihm. Was die für ein Gesicht macht.

Gebärmaschine

Anzunehmen ist, dass Velázquez wie auch sein Schwiegersohn das Gesicht der Infantin nicht anders gemalt haben. Ein blasses, geschminktes, maskiertes Gesicht. Das blonde Haar gescheitelt, breite Stirn, weite Brauenbögen, etwas zu lange Nase, die blauen Augen umschattet, Glupschaugen (Struma), der große geschlossene Mund, ob er jemals gelacht hat? Die nicht so starke Unterlippe als die des Vaters.

Das Kinngesicht vorgeschoben. Wohin? Richtung Alte Burg Residenz Wien. Deutsch gelernt, seit Kind an in der Erwartung der großen Vermählung, die sie mit 15 ereilen wird, nach wochenlangem Umzug aus Madrid mit zahlreichen Kutschen. Dann nicht enden wollende Hochzeitsfeiern mit Opernaufführungen und Feuerwerken.

Der sehnsüchtig wartende, sie mit gewaltiger Lippe küssende Ehegatte heißt Leopold I., bald auch Kaiser des Hl. Römischen Reiches, der zugleich Cousin und Onkel ist. Schon bald wird sie hier kein Gesicht machen. Sie ist Gebärmaschine. Ständig kränkelnd, wird sie dem wartenden Onkel zwischen Fehl- und Totgeburten gebären ein Überlebendes, während der sechsten Schwangerschaft stirbt sie. Sie ist einundzwanzig.

PS: Vor sieben Jahren ließ sich im KHM die erste Ausstellung mit Werken von Diego Velázquez sehen, die erste im deutschsprachigen Raum. Ständig zu sehen sind einige Bilder der Infantin und Familie. (Dine Petrik, 15.5.2021)