Tel Aviv – Israels Armee hat in der Nacht auf Freitag ihre Angriffe auf den Gazastreifen noch verschärft. "Luft- und Bodentruppen greifen gegenwärtig im Gazastreifen an", teilte die israelische Armee bei Twitter mit, was für zahlreiche Meldungen sorgte, wonach eine Bodenoffensive begonnen habe. Das stellte sich als Falschmeldung heraus. Wie die israelische Armee später bekannt gab, sind Bodentruppen zwar in Form von Artillerie- und Panzereinheiten an der Offensive beteiligt, aber nicht im Gazastreifen selbst im Einsatz. Sie greifen vorerst von Israel aus Hamas-Stellungen an.
Bewohner des nördlichen Gazastreifens, in der Nähe der israelischen Grenze, sagten, sie hätten keine Anzeichen von israelischen Bodentruppen innerhalb der Enklave gesehen. Sie berichteten aber von schwerem Artilleriefeuer und Dutzenden von Luftangriffen.
Am Freitag erklärte die Armee, man habe ein umfangreiches Tunnelsystem im Gazastreifen angegriffen – eine "Stadt unter der Stadt", in deren Errichtung die regierende Hamas Jahre investiert habe. "Metro" nannte es Armeesprecher Jonathan Conricus am Freitag. Insgesamt 160 Kampfflugzeuge seien an den 40 Minuten dauernden Bombardements in der Nacht beteiligt gewesen, resümierte ein Sprecher.
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Kein Ende in Sicht
Der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu sagte zu den Angriffen: "Ich habe gesagt, dass Hamas einen sehr hohen Preis zahlen wird." Man werde die Angriffe "mit großer Intensität fortsetzen", sagte er in einer Videobotschaft. "Das letzte Wort ist noch nicht gesprochen, und diese Operation wird so lange wie nötig weitergehen."
Das israelische Fernsehen berichtete, es sei der heftigste und breiteste Angriff im Gazastreifen seit Beginn der Eskalation am Montag. Die Armee rief Israelis in den Grenzorten, die bis zu vier Kilometer entfernt vom Gazastreifen leben, dazu auf, sich bis auf weiteres in Schutzräume zu begeben.
Verteidigungsminister Benny Gantz hatte zuvor angesichts der Eskalation die Mobilisierung von weiteren 9.000 Reservisten genehmigt. Vor zwei Tagen hatte die Armee bereits 5.000 Reservisten mobilisiert.
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87-jährige Israelin bei Flucht gestorben
Militante Palästinenser hatten am Donnerstag ihre heftigen Raketenangriffe auf israelische Bevölkerungszentren fortgesetzt. Auch am Abend wurden erneut zahlreiche Städte beschossen, darunter Ashkelon, Ashdod und Modiin. Auch in die Richtung des internationalen Flughafens bei Tel Aviv wurden Raketen abgefeuert. In einer Ortschaft im Süden des Landes wurde nach Angaben von Rettungskräften eine 87-Jährige auf der Flucht in einen Schutzraum tödlich verletzt.
Im Gazastreifen wurden nach Angaben des Gesundheitsministeriums 109 Menschen seit der Eskalation der Gewalt getötet. In Israel fielen nach offiziellen Angaben bisher acht Menschen Raketenangriffen zum Opfer.
Maas, Guterres und Blinken melden sich zu Wort
Der deutsche Außenminister Heiko Maas warf der Hamas vor, sie habe "in einer ohnehin schon angespannten Situation die Lage mit dem Raketenterror bewusst und massiv eskaliert". "In einer solchen Lage muss sich Israel verteidigen können", betonte Maas in der "Saarbrücker Zeitung" und rief zugleich Palästinenser und Israelis auf, nach Jahren endlich an den Verhandlungstisch zurückzukehren.
"Zu viele Zivilisten sind bereits gestorben", erklärte UN-Generalsekretär António Guterres im Onlinedienst Twitter. "Dieser Konflikt kann die Radikalisierung und den Extremismus in der ganzen Region nur weiter verschärfen." US-Außenminister Antony Blinken äußerte sich "zutiefst besorgt über die Gewalt auf Israels Straßen". Sein Ministerium rief US-Bürger auf, eventuelle Pläne für Israel-Reisen zu überdenken. Einige Fluggesellschaften, darunter die Lufthansa und British Airways, haben ihre Flüge nach Israel wegen der Gewalt ausgesetzt.
UN-Sicherheitsrat tagt am Sonntag
Der UN-Sicherheitsrat wird sich am Sonntag mit dem eskalierenden Nahostkonflikt befassen. Die virtuelle Sitzung sei auf Antrag von China, Norwegen und Tunesien auf Sonntag um 16 Uhr MESZ angesetzt worden, teilten Diplomaten bei den Vereinten Nationen in New York am Donnerstag mit. Auch die USA, die die Absage einer für Freitag geplanten Sicherheitsratssitzung bewirkt hatten, seien einverstanden.
Es ist die dritte Sitzung des UN-Gremiums zur Eskalation der Gewalt zwischen Israelis und Palästinensern binnen einer Woche. Bei den zwei vorherigen Sitzungen hatte es keine Einigung auf eine gemeinsame Erklärung gegeben. Dies lag Teilnehmern zufolge an den USA, die eine Verurteilung ihres Verbündeten Israel ablehnten.
Nach den ersten zwei Nahost-Sicherheitssitzungen diese Woche hatten zehn Ratsmitglieder, darunter Tunesien, Norwegen und China, eine öffentliche Sitzung für Freitag beantragt. Nach Angaben aus Diplomatenkreisen sollten auch Vertreter Israels und der Palästinenser daran teilnehmen. Der Antrag scheiterte demnach aber am Widerstand der Vereinigten Staaten. US-Außenminister Blinken sprach sich für eine Sitzung Anfang kommender Woche aus, um der Diplomatie etwas Zeit zu verschaffen. (APA, red, 14.5.2021)