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Wien – Ab und zu hat auch Willi Mernyi überraschende Begegnungen mit Unternehmern. Diese sind ja typischerweise die Gegner in Verhandlungen, an denen Mernyi als leitender Sekretär des ÖGB teilnimmt – wobei Mernyi das Wort "Gegner" eher nicht verwenden würde. "Verhandlungspartner" wäre für ihn passender. Und erst recht für jene Unternehmer, "die uns sagen: Warum gibt's bei uns keinen Betriebsrat? Die hätten gerne einen Ansprechpartner", wie Mernyi gerade während der Corona-Krise erlebt hat.

Tatsächlich ist die innerbetriebliche Sozialpartnerschaft ein wichtiger Baustein des sozialen Friedens in Österreich. Sie gründet sich auf ein Gesetz, das am 15. Mai 1919 beschlossen worden ist. Deshalb sieht der ÖGB diesen Tag als einen besonderes Jubiläum an.

Damals war Sozialpartnerschaft im heute gelebten Sinn noch undenkbar, der Widerspruch zwischen den Interessen von Arbeit und Kapital der Leitgedanke der politischen Diskussion. Die gesetzliche Verankerung der Möglichkeit von Betriebsratsgründungen konnte aus damaliger Sicht durchaus als Kompromiss verstanden werden.

Vertrauensleute und Arbeiterräte

Zwar hatten schon die Vorkämpfer der Gewerkschaftsbewegung "Vertrauensleute" in den Betrieben installieren können – aber diese wurden von den Unternehmern nicht als Verhandlungspartner anerkannt und konnten auch jederzeit ihre Arbeit (und damit die Verankerung im Betrieb) verlieren. Mit dem Zerfall der Monarchie kam es aber teilweise zu einer Umkehr der Verhältnisse: Im Jahr 1918 hatten sich in größeren Unternehmen Arbeiterräte gegründet, die die Kontrolle der Betriebe forderten.

In den Monaten danach setzte sich in der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei (SDAP) allerdings ein pragmatischer Kurs durch, der das parlamentarische System gegenüber dem einer Räteherrschaft vorgezogen hat. Die Arbeiterräte wurden an die Partei angegliedert, sie hatten beratende Funktion, wurden aber ab dem Parteitag 1922 weitgehend bedeutungslos. Auf jenem Parteitag stellte Julius Deutsch den Antrag auf "Wehrhaftmachung des Proletariats" – nach Auflösung der Arbeiterräte 1924 fanden sich viele Mitglieder im Republikanischen Schutzbund wieder.

Niemals in Lauheit verfallen

Auf betrieblicher Ebene wurde aber die gewerkschaftliche Arbeit forciert – nach einem Ideal, das schon vor dem Ersten Weltkrieg etabliert worden war. Das Verbandblatt der Brauereiarbeiter zeichnete im Jahr 1911 das Bild des "perfekten Vertrauensmannes": Er solle allen Kollegen "ein lieber Freund und treuer Berater" sein, dürfe niemals in Gleichgültigkeit oder Lauheit verfallen, niemals hochmütig oder gar rachsüchtig sein und immer "die Interessen der Arbeiter mit ruhigem Blut vertreten". Dies aber – und das war ein wesentlicher Aspekt der 1921 getroffenen gesetzlichen Regelung – mit rechtlichem Schutz vor Repressalien durch den Betrieb und aufgrund von Wahlen, bei denen nicht nur Sozialdemokraten angetreten sind.

Allerdings: Betriebsräte konnten nur in größeren Unternehmen eingerichtet werden – und nur, wenn die Belegschaft sich dazu aufrafft, einen Betriebsrat zu wählen. Das war in einigen Unternehmen, wo viele Gewerkschaftsmitglieder beschäftigt waren, einfach – in anderen ist es noch heute schwierig.

Auch die Entwicklung nach 1919 verlief nicht ohne Brüche, wie die Gewerkschaftshistorikerin Marliese Mendel erklärt: "Es gab Vertreterinnen der sozialdemokratischen Freien Gewerkschaften, der kommunistischen Roten Gewerkschaftsopposition, der katholischen Christlichen Gewerkschaften, der 'Unabhängigen' Gewerkschaft sowie der deutschnational-völkischen Gewerkschaften. Fast alle hatten das gleiche Ziel: für die Mitglieder das Beste zu erreichen. Ausnahmen: Die 'Unabhängigen Gewerkschaften', die auch die 'gelben Gewerkschaften' genannt wurden, und später auch die nationalsozialistischen Betriebszellen wurden von Unternehmen finanziert und vertraten auch deren Agenden. Deren Ziel war es, den 'Terror der sozialdemokratischen Betriebsräte' zu bekämpfen. Etwas, dass die Austrofaschisten ab dem Jahr 1934 per Gesetz machten."

Gewerkschaftsarbeit im Ständestaat

Am 12. Juli 1934 verabschiedeten die Austrofaschisten das Gesetz "über die Errichtung von Werksgemeinschaften". Dem Regime genehme Betriebsräte wurden nun "von oben" bestimmt, und den Unternehmen wurde explizit ein Vetorecht gegen alle Beschlüsse eingeräumt. Aber die freien Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter und die ehemaligen Betriebsrätinnen und Betriebsräte kämpften im Untergrund weiter und erreichten im Jahr 1936 sogar, dass Betriebsratswahlen durchgeführt wurden; von den 9.358 Gewählten standen 5.719 mit den illegalen Gewerkschaften in Kontakt. Aber auch die nationalsozialistische Betriebszellenorganisation konnte einige Vertrauensleute in die Körperschaften einschleusen.

In der Zweiten Republik gab es schon 1945 die ersten Betriebsratswahlen. Vor 75 Jahren, im Mai 1946, hatten die ersten Jugendvertrauenswahlen stattgefunden, aber bis zur gesetzlichen Regelung sollte es noch 26 Jahre dauern, und es bedurfte dazu einer Aktion der Österreichischen Gewerkschaftsjugend (ÖGJ) – der Aktion "M wie Mitbestimmung".

Kampagne für Betriebsratsgründungen

Dabei ist die betriebliche Sozialpartnerschaft sehr unterschiedlich verwirklicht. Den positiven Erlebnissen von Mernyi, der entgegenkommende Unternehmer kennengelernt hat, stehen auch negative Erfahrungen gegenüber: Erst im vergangenen Jahr hätten Fälle wie bei Douglas und Laudamotion gezeigt, dass die betriebliche Mitbestimmung "gerade in Krisenzeiten mit Füßen getreten wird", schreibt der ÖGB zur durchwachsenen Situation und zu seiner aktuellen Kampagne für die Gründung neuer Betriebsratskörperschaften.

ÖGB-Präsident Wolfgang Katzian sagt: "Betriebliche und gewerkschaftliche Mitbestimmung muss immer wieder neu erarbeitet und verteidigt werden. Das schaffen wir nur mit starken, engagierten Betriebsrätinnen und Betriebsräten!" Immerhin 70.000 gewählte Betriebsräte gibt es inzwischen – und der ÖGB argumentiert, dass Betriebe mit gut eingebundenem Betriebsrat besser durch die Krise kommen als andere. (Conrad Seidl, 15.5.2021)