Eigentlich hätte dies eine schöne Geschichte über das Wohnen im Hochhaus werden sollen. Über den Wolken, grenzenlose Freiheit und so. Doch kaum hat der Journalist die luxuriös vertäfelte Wohnhauslobby betreten, wird er von den beiden Security-Männern bös angeschaut und des Ortes verwiesen. "Wir haben schon gehört, dass Sie vorbeikommen und sich das Haus anschauen wollen. Der Deal ist geplatzt. Sie haben hier keinen Zutritt. Bitte gehen Sie!"

Tatort dieser etwas roughen Begegnung ist der soeben fertiggestellte Bruckner Tower in Linz. Das 98,6 Meter hohe Ding im Bezirk Urfahr ist ein Kooperationsprojekt des Landes Oberösterreich, das im Sockelbau die zweigeschoßige Anton Bruckner International School errichtet hat, und eines privaten Investorenkonsortiums rund um die City Wohnbau Letzbor GmbH, die hier gemeinsam mit der Familie Letzbor und einigen weiteren Privatinvestoren, die sich in der Öffentlichkeit seit Anbeginn bedeckt halten, 354 Eigentumswohnungen hochgezogen hat. Dieser Tage werden die Schlüssel übergeben.

Der Bruckner Tower in Urfahr
Foto: Hertl Architekten

Fragt sich also: Warum kein Zutritt? Im Grundbuchauszug zeigt sich ein Teil der vermuteten Wahrheit. Der aktuelle Verwertungsstand liegt bei 82 Prozent, zu den Käuferinnen und Käufern zählen vor allem Persönlichkeiten aus Kultur, Medizin, Industrie, Wirtschaft und Consulting sowie diverse Anwaltskanzleien und Privatstiftungen. "Zwar werden hier auch Anlegerwohnungen gekauft", sagt Anne Pömer-Letzbor, Geschäftsführerin der City Wohnbau Letzbor GmbH, auf Anfrage des STANDARD, "aber diese stehen nicht drei Viertel des Jahres leer, bis ein Scheich oder Oligarch auf Sommerfrische kommt. Linz ist nicht Wien – und schon gar nicht Paris oder London."

Finanzpotente Fantasien

Aber eben auch nicht ganz Linz. Bitte gehen Sie! "Die Geschichte des österreichischen Wohnhochhauses ist eine sehr spannende", sagt der Wiener Soziologe Christoph Reinprecht. "Früher war das eine günstige, leistbare Sache für die breite Masse, ob das nun die Wiener Gemeindebauten, der Wohnpark Alt-Erlaa von Harry Glück oder die mittlerweile abgerissenen Hochhäuser am Harter Plateau in Linz sind. In den letzten Jahren aber ist das Wohnen im Turm mehr und mehr zu einem Symbol für Reichtum und Wohlstandsgesellschaft geworden."

Im Bruckner Tower starten die Verkaufspreise bei 4300 Euro pro Quadratmeter, im Lux Tower am Linzer Volksgarten sowie in den anderen geplanten Wohntürmen sind ähnliche Zahlen zu vernehmen. Nach oben hin sind der finanzpotenten Fantasie keine Grenzen gesetzt. Die Rede ist von Kaufpreisen jenseits der 10.000 Euro. In einigen Wiener Wohntürmen ist die Situation noch schlimmer. In den obersten Höhenmetern liegen die Quadratmeterpreise mitunter bei 15 Riesen und mehr.

"Wir wissen heute, dass das Hochhaus als Teil der sozialen Wohnraumversorgung de facto gescheitert ist, denn dazu ist es sozial, technisch und ökonomisch zu vulnerabel", so Reinprecht. "Im hochpreisigen Segment sind die finanziellen Ressourcen dafür noch am ehesten vorhanden. Und so beobachten wir das Phänomen, dass die Wohntürme das Produkt einer globalisierten, hochpreisigen Immobilienwirtschaft geworden sind."

Noch krasser formuliert es der Linzer Stadtentwickler und Gemeinderat Lorenz Potocnik: "Diese Wohnhochhäuser, die nicht nur in Linz, sondern in fast allen europäischen Städten aufpoppen, sind schlicht und einfach Handelsware. Zu glauben, dass sie unseren Wohnungsdruck lindern können, ist schlicht und einfach naiv. Fakt ist: Mit diesen Projekten wird die Bevölkerung beschissen. Und dass die öffentliche Hand hier so wenig gesellschaftlichen und städtischen Mehrwert einfordert, ist für mich eine Form der strukturellen Korruption. Wäre ich Bürgermeister oder Planungsstadtrat, dann würde ich den Investoren die Hosen runterziehen."

Der Lux Tower am Volksgarten.
Foto: Mark Sengstbratl

Die Architektur des Bruckner Tower ist wie immer Geschmackssache. Tatsächlich aber haben die beiden Büros Hertl Architekten (Steyr) und Alles Wird Gut (Wien) mit einem zwinkernden Auge auf die betonbrutalistischen Siebzigerjahre überaus intelligent auf den Standort reagiert. Der rund 60 Meter lange und an seiner breitesten Stelle 25 Meter breite Turm entspricht im Grundriss einem unregelmäßig gequetschten Sechseck, sodass er aus den meisten Blickwinkeln schlank und elegant erscheint. Zudem wird die Balkonbandagierung aus Betonfertigteilen nach oben hin immer niedriger, der Glasanteil immer höher, die Ildefonso-Schichtung immer luftiger.

"Wir haben die Verantwortung bei der Gestaltung einer solchen Landmark gespürt und wollten daher eine robuste Skulptur formen, die dem Lauf der Zeit standhält", sagen die beiden Partnerarchitekten Gernot Hertl und Andreas Marth. "Während die massiven Brüstungen in den unteren Geschoßen Schutz vor Einblicken bieten, wird der Aus- und Fernblick aus den Wohnungen mit zunehmender Höhe immer wichtiger."

Auch die Zusammenarbeit zwischen den privaten Investoren und dem Land Oberösterreich dürfte gut gewesen sein, wie Pia Goldmann, Projektleiterin auf öffentlicher Seite, im Gespräch mit dem STANDARD versichert. "Wir sind froh, dass wir hier keine monofunktionale Single-Nutzung haben. Die englischsprachige Schule im Sockel des Gebäudes ist eine gute öffentliche Ergänzung. Mit dem Gesamtergebnis sind wir sehr zufrieden."

Vorbild SoBoN

Geht es nach Gemeinderat Potocnik, müsste es allerdings noch weitaus mehr öffentlichen Benefit geben: Grünräume, öffentliche Plätze, Mobility-Points mit Carsharing und E-Mobilität sowie einen gewissen Mindestanteil an leistbaren, quer finanzierten Wohnungen – etwa nach dem Vorbild des Münchner Modells "SoBoN" (Sozialgerechte Bodennutzung).

Der Wohnturmbau zu Linz ist noch lange nicht zu Ende. Riepl Riepl, Stögmüller und Kneidinger stellten vor zwei Jahren den Lux Tower fertig, auf den Nestlé-Gründen im Franckviertel planen Riepl Riepl, Elsa Prochazka und Cino Zucchi zurzeit die Trinity Towers, einige weitere sind in Entwicklung. Alle sehr schön, alle architektonisch wunderbar gelöst – aber auch alle ein immobilienwirtschaftlicher Beitrag zur sozialen Segregation und Deformierung urstädtischer Strukturen.

Es wurden in Österreich noch nie so viele freifinanzierte, zum Teil schweineteure Hochhauswohnungen gebaut wie heute. Passen wir auf, dass wir nicht neue Wolkenkuckucksheim-Cottages und Upperclass-Ghettos schaffen, die mit jedem Höhenmeter immer weltfremder und antiurbaner werden. Sie haben hier keinen Zutritt. Bitte gehen Sie! Die Gefahr ist groß. (Wojciech Czaja, 16.05.2021)