Langschwanzmakake beim Gähnen
Foto: imago/Nature Picture Library

Mit Gähnforschung lassen sich Preise gewinnen, und wenn es der Ig-Nobel-Preis ist: 2011 ging die Auszeichnung für schräge Forschungsthemen auch an ein österreichisches Forschungsteam, das untersuchte, ob das Gähnen der Köhlerschildkröte für Artgenossen ansteckend sei (und dafür einer Schildkröte das Gähnen auf Kommando antrainierte). Im Gegensatz zu Menschen und anderen höheren Primaten scheint dies nicht der Fall zu sein. Womöglich hat sich die soziale Funktion dieser Verhaltensweise – die sich auch laut Knigge nicht vermeiden lässt, aber bei auffälliger Ausprägung als unhöflich gilt – evolutionär erst später entwickelt. Welche Funktion hat sie dann bei zahlreichen anderen Tieren, von der Schildkröte bis zur Schneeeule, die nachweislich ebenfalls gähnen?

Über diese Frage macht sich die Forschungsgemeinschaft mindestens seit 14 Jahren Gedanken. Damals veröffentlichte jedenfalls der Verhaltensforscher Andrew Gallup seine These, dass das Gähnen ein Kühlmechanismus für das Gehirn sein könnte. "Durch das gleichzeitige Einatmen von kühler Luft und das Anspannen der Muskeln, die die Mundhöhlen umgeben, erhöht das Gähnen den Fluss von kühlerem Blut zum Gehirn und hat somit eine thermoregulatorische Funktion", sagt Gallup, der an der State University of New York forscht.

Größte Gähnstudie

Gemeinsam mit Forschenden der Universität Wien und anderen Hochschulen untermauerte er nun mit neuen Daten die Beobachtung, dass es bei Säugetieren und Vögeln einen statistisch aussagekräftigen Zusammenhang gibt zwischen der Dauer des Gähnens und der Gehirngröße sowie der Anzahl der Neuronen.

Eine kleine Auswahl der untersuchten Tiere.
Bild: Massen et al., Communications Biology 2021

Dafür führte das Team die bisher wohl größte Gähnstudie durch: Anhand von 101 verschiedenen Arten, darunter 55 Säugetiere und 46 Vögel, untersuchte das Team 1291 Gähner, die auf Video aufgezeichnet wurden. Das Datenmaterial stammte aus verschiedenen Videoportalen, wurde aber auch u.a. im Tiergarten Schönbrunn, im Zoo Linz und im Nationalpark Thayatal gesammelt. Dafür warteten die Beteiligten an Gehegen darauf, dass Tiere gähnten, um sie dabei zu filmen – eine zeitintensive Maßnahme, bei der man noch dazu teilweise selbst zum Gähnen animiert wird.

Immun gegen Gähnen

"Um Videoaufnahmen von so vielen gähnenden Tieren zu bekommen, braucht man viel Geduld", sagt die Biologin Margarita Hartlieb von der Uni Wien. Das Projekt hatte aber auch einen abhärtenden Einfluss auf sie als beteiligte Forscherin: "Die anschließende Codierung all dieser Gähngeräusche hat mich immun gegen die Ansteckungsgefahr des Gähnens gemacht."

Nach dieser intensiven Sammlung ging es an die Auswertung der Messungen. Die für Verwandtschaftsverhältnisse kontrollierten Daten zeigten wie schon frühere, aber kleinere Studien, dass die Gähndauer robust mit der Gehirnmasse und der Anzahl der Nervenzellen korrelierte: Je höher die Masse und Neuronenzahl, desto länger im Durchschnitt auch die Dauer. Dabei wurde außerdem festgestellt, dass Säugetiere beträchtlich länger gähnten als Vögel, die eine vergleichbare Hirn- und Körpermasse hatten: Hier sei bei Säugetieren mit einem durchschnittlichen Gähner von 3,4 Sekunden zu rechnen, bei Vögeln nur mit 1,5 Sekunden.

Stärkerer Kühleffekt

Es ist möglich, dass Tiere mit größeren Gehirnen und mehr Neuronen eher länger – und "kräftiger" – gähnen müssen, um vergleichbare Kühleffekte zu bekommen, wie Tiere mit kleineren Gehirnen sie durch kurzes Gähnen hervorrufen. Immerhin produziert neuronale Aktivität Wärme, und größere Gehirne haben quasi einen höheren Bedarf an Thermoregulation.

Vögel gähnen im Durchschnitt nicht so lang wie Säugetiere mit ähnlicher Gehirnmasse.
Bild: Massen et al., Communications Biology 2021

Warum müssen nun Vögel im Durchschnitt kürzer gähnen? Auch dafür hat das Forschungsteam eine mögliche Erklärung. Die Körpertemperatur – und somit die Bluttemperatur – von Vögeln ist etwa 2 Grad höher als bei Säugetieren. Dadurch ist bei Vögeln der Temperaturunterschied zur Umgebungsluft größer, was bedeutet, dass der Wärmeaustausch schneller läuft. Für den gleichen Kühleffekt müssen sie also nicht so lange gähnen. Außerdem besitzen Vögel eine besondere morphologische Struktur, die eine selektive Kühlung des Gehirns möglich macht, heißt es in der Studie, die im Nature-Fachblatt "Communications Biology" erschien.

Intelligenz nicht untersucht

Keine Aussage trifft das Forschungsteam über die Rolle der Intelligenz, oder darüber, wie das Ganze mit der Häufigkeit des Gähnens zusammenhängt. Dafür hätte man wohl noch länger vor Tiergehegen auf der Lauer liegen müssen.

Beim Menschen, der durchschnittlich 5- bis 10-mal am Tag gähnt, kann das ansteckende Gähnen sozial bedeutsam sein. Laut manchen Theorien können sich Gruppen so in den gleichen Gemütszustand versetzen. Auch ein gleichzeitiges Ermüden eines Großteils der Gruppe könnte sich als evolutionär hilfreich erwiesen haben. (sic, 15.5.2021)