Für Werner Kogler ist einer der wichtigsten Aufträge der Grünen, dass die Justiz unabhängig arbeiten kann: keine Sonderbehandlung für Politiker, keine "Zweiklassenjustiz" wie früher.

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Werner Kogler lädt den STANDARD fürs Interview in seinen Amtssitz in der Wiener Radetzkystraße ein, den er sich mit Umweltministerin Leonore Gewessler teilt. Der eigenwillige Achtzigerjahre-Bau gefällt auch bei den Grünen nicht jedem. Immerhin der Ausblick aus seinem Arbeitszimmer sei aber sensationell, sagt der Vizekanzler und lässt sich auf einem grauen Fauteuil nieder. Interessant ist: Heinz-Christian Strache hatte Journalistinnen und Journalisten als Vizekanzler meist in seinem Büro im Kanzleramt empfangen. Kogler nutzt dort nur einen Besprechungsraum.

STANDARD: Wann haben Sie denn zuletzt mit dem Kanzler gechattet?

Werner Kogler: Puh, da müsste ich nachschauen. Es kommt nicht sehr häufig vor – aber nicht erst, seit die türkisen Chatprotokolle aufgetaucht sind. Es ist eigentlich immer so, dass Sebastian Kurz und ich per Nachricht nur Termine vereinbaren. Für alles Weitere telefonieren wir oder setzen uns zusammen.

STANDARD: Wie wurden Sie über die Ermittlungen gegen den Kanzler informiert?

Kogler: Der Bundeskanzler hat mich am Mittwoch in der Früh telefonisch informiert.

STANDARD: Sie haben sich zum Beschuldigtenstatus von Kurz noch nicht geäußert. Genießt er denn weiterhin Ihr volles Vertrauen?

Kogler: Ja. (Gedankenpause.) Wichtig ist das Vertrauen in die Zusammenarbeit, und die Zusammenarbeit in Sachfragen ist gut.

"Die Zusammenarbeit in Sachfragen ist gut."
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STANDARD: Ist der Kanzler für Sie rücktrittsreif, sollte Anklage erhoben werden?

Kogler: Es ist jetzt nicht die Zeit für Spekulationen über einen etwaigen Rücktrittszeitpunkt. Jetzt geht es darum, dass unabhängig und gewissenhaft ermittelt wird. Wir Grüne haben die Aufgabe, das in der Regierung sicherzustellen. Früher konnte man den Eindruck gewinnen, dass es so etwas wie eine Zweiklassenjustiz gibt, das ist vorbei.

STANDARD: Was verstehen Sie unter "Zweiklassenjustiz"?

Kogler: Dass offenbar geplante Hausdurchsuchungen davor Betroffenen verraten wurden, dass es eine Sonderbehandlung für Beschuldigte mit politischer Nähe gab. Ich will sagen: Mit uns in der Regierung wird nichts mehr ‚daschlogn‘, weil es politisch opportun ist.

STANDARD: Sie weichen mir aus. Ist es für die Grünen denkbar, in einer Koalition mit einem Kanzler zu bleiben, der vor Gericht steht oder sogar verurteilt wird?

Kogler: Die Justiz soll jetzt erst einmal in Ruhe arbeiten – und zwar ohne politische Zurufe.

Im Jahr 2012 hatte Kogler aus der Opposition heraus Konsequenzen gefordert, als gegen Bundeskanzler Werner Faymann ermittelt wurde. Im Interview folgt ein längeres Hin und Her zum Thema, wo und wann die Grünen rote Linien ziehen oder die Koalition verlassen würden. Ergebnis: Kogler will sich nicht festlegen.

STANDARD: Es kann Ihnen doch nicht so schwerfallen zu beantworten, ob ein verurteilter Kanzler – unabhängig von der Causa Kurz – aus Ihrer Sicht im Amt bleiben kann.

Kogler: Ich will zum jetzigen Zeitpunkt nicht die eine Schlagzeile produzieren. Natürlich gibt es Grenzen der Amtsfähigkeit und des politischen Vertrauens der Bevölkerung. Das wird schrittweise zu bewerten sein.

STANDARD: Wesentlich für die Glaubwürdigkeit der Grünen wird auch die ökosoziale Steuerreform sein. Wann wird sie beschlossen?

Kogler: Die Gespräche laufen. Ein genauer Termin ist noch nicht fixiert, aber es ist ja auch mit der Europäischen Kommission vereinbart, dass wir den Ökologisierungsprozess im ersten Quartal 2022 starten.

STANDARD: Machen wir es an Eckpunkten fest. Werden Tanken und Heizen 2022 teurer?

Kogler: Ja, aber nur dann, wenn wir gleichzeitig politische Maßnahmen zur Stärkung der Haushaltseinkommen setzen. Die Transformation muss sozial gerecht sein und soll von einer großen Mehrheit getragen werden. Bis es wirklich Kostenwahrheit gibt, wird es noch dauern. Aber wir müssen jetzt entschlossen starten. Die Zukunft wartet nicht, bis alle Zauderer sich in Bewegung setzen.

"Ich will sagen: Mit uns in der Regierung wird nichts mehr 'daschlogn', weil es politisch opportun ist." Werner Kogler
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STANDARD: Weit weg von Kostenwahrheit ist man auch beim Fleisch. Soll es bald mehr kosten?

Kogler: Tiere werden auch hierzulande oft unter miserablen Bedingungen gehalten. Die industrielle Landwirtschaft, man muss fast sagen: die Fleischproduktion – wenn wir dort eingreifen, um mehr Tierwohl sicherzustellen, dann wird Fleisch teurer. Das ist das Ergebnis sinnvoller Auflagen. Bio-Fleisch würde in Relation zum anderen Fleisch hingegen billiger werden. Auch da muss man an anderer Stelle entsprechend dafür sorgen, dass sich die Menschen das leisten können.

STANDARD: Jedenfalls soll die energieintensive Industrie zur Kasse gebeten werden?

Kogler: Das passiert zum Teil schon jetzt im europäischen Kontext. Da kann man sicherlich noch viel verbessern. Anders als im europäischen Verbund macht es aber auch wenig Sinn, weil wenn unsere Industrie abwandert, um woanders unter schlechteren Bedingungen zu produzieren, ist das keine Lösung. Wir stehen deshalb als Regierung auch für grenzüberschreitende CO2-Zölle.

STANDARD: Wäre für Sie eine rote Linie überschritten, wenn bis Ende des Jahres die ökosoziale Steuerreform nicht steht?

Kogler: Wir werden grüne Linien überschreiten, und es wird eine Reform geben. Das alte Denken wird sich nicht durchsetzen.

STANDARD: Die ÖVP bringt die Grünen als Transparenzpartei laufend in Bedrängnis, in Asylfragen vertritt Ihr Koalitionspartner sowieso konstant das Gegenteil. Ohne deutliche Verbesserung im Umwelt- und Klimaschutz müssten sich die Grünen den Vorwurf gefallen lassen, nur noch Steigbügelhalter der ÖVP zu sein.

Kogler: Es ist doch genau umgekehrt. Wieso wird denn gerade so vieles aufgedeckt? Doch nur, weil ein ganz anderes Transparenz-Klima herrscht. In den ökologischen Fragen geht schon jetzt massiv was weiter. Es wird in den Ausbau der Schieneninfrastruktur so viel Geld hineingesteckt wie nie zuvor. Es wird mit dem 1-2-3-Ticket der öffentliche Verkehr billiger und das Angebot verbessert. Photovoltaik wird sich vervielfachen. Es gab noch nie so viele abgasfreie Autos wie jetzt. Niemand anderer als die Grünen hätte das zustande gebracht.

STANDARD: Die große Frage nach Abflauen der Gesundheitskrise wird sein, wer für das alles bezahlt. Wer denn?

Kogler: Das ist nicht die dringlichste Frage. Die Investitionsmaßnahmen sind jetzt notwendig, und ja, das kostet viele Milliarden, die wir aufnehmen mussten. Österreich bekommt für diese Anleihen aber im Grunde sogar Geld, also Negativzinsen.

STANDARD: Wären Sie theoretisch für eine Erbschaftssteuer, um die Ausgaben abzufedern?

Kogler: Grundsätzlich ja, also für eine Steuer auf Millionenerbschaften im Sinne eines gerechteren Steuersystems, aber nicht wegen der jetzigen Ausgaben. Die Corona-Schulden haben wir im Griff. Das wird sich lösen.

"Investitionen in eine ökologische und digitale Transformation der Wirtschaft sind eine große Zukunftschance und ein Jobmotor."
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STANDARD: Weil das Wachstum eh alles erledigt, wie vor allem Konservative argumentieren?

Kogler: Investitionen in eine ökologische und digitale Transformation der Wirtschaft sind eine große Zukunftschance und ein Jobmotor.

STANDARD: Schließen Sie aus, dass das Arbeitslosengeld degressiv gesenkt wird, wie vom ÖVP-Wirtschaftsbund gefordert?

Kogler: Im Ergebnis wird es mit den Grünen keine Kürzungen geben – weder beim Arbeitslosengeld noch bei der Notstandshilfe.

STANDARD: Sie sind 59 Jahre alt und bekanntermaßen ein Mann – wenn wir in die Zukunft denken, sollte aus Ihrer Sicht die Spitze der Grünen nach Ihnen mit einer Frau besetzt werden?

Kogler: Das entscheidet bei uns die Basis und damit viele gemeinsam.

STANDARD: Bei den Grünen werden auch alle anderen Positionen wie Abgeordnetensitze im Reißverschlusssystem wechselnd an Männer und Frauen vergeben. Warum nicht der Chefsessel?

Kogler: Bei uns im Nationalrat sitzen sogar mehr Frauen als Männer. Ich versuche gerade, meine Fantasie zu bemühen, wie man eine Einzelfunktion im Reißverschluss teilt. Bisher war die Führungsspitze über die Jahrzehnte zeitlich in etwa halbe-halbe vergeben. Das wird sie sicher auch in Zukunft. (Katharina Mittelstaedt, 14.5.2021)