An der Ostküste der USA war nach dem Cyberangriff auf eine Pipeline an vielen Tankstellen kein Benzin mehr erhältlich.

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Lange Schlangen vor teilweise ausverkauften US-Tankstellen – und wer noch etwas Benzin ergattern konnte, musste dafür tief in die Tasche greifen. Es sind Bilder, die an die frühen 1970er-Jahre erinnern, als der erste Ölpreisschock eine lange Phase hoher Inflationsraten einläutete. Ursache war diesmal eine Cyberattacke auf die größte Benzinpipeline der USA, wodurch die Versorgung tagelang unterbrochen wurde und die Benzinpreise auf den höchsten Stand seit 2014 sprangen.

Zu Panikkäufen und Engpässen an Tankstellen ist es insbesondere an der Ostküste des Landes gekommen. Besonders schwer betroffen war die US-Hauptstadt Washington: Dort hatten am Donnerstagabend drei von vier Tankstellen keinen Sprit mehr, wie Patrick De Haan von der Marktanalysefirma Gasbuddy auf Twitter mitteilte. Im Bundesstaat North Carolina waren ihm zufolge 69 Prozent der Tankstellen ohne Benzin.

Zapfsäulen außer Betrieb

In South Carolina, Virginia und Georgia war rund jede zweite Zapfsäule außer Betrieb. Auch andere Bundesstaaten an der Ostküste litten unter Engpässen. US-Präsident Joe Biden rief die Bürger dazu auf, nicht in Panik zu verfallen. "Kaufen Sie in den nächsten Tagen nicht mehr Benzin, als Sie brauchen", sagte er am Donnerstag im Weißen Haus. Die Versorgung werde sich bald wieder normalisieren. "Panikkäufe werden das nur hinauszögern." Schlangen an Tankstellen zu sehen sei beängstigend, räumte der US-Präsident allerdings ein.

Biden zufolge soll die Pipeline bereits seit Donnerstag wieder mit voller Kapazität im Einsatz sein. Die Engpässe von Benzin dürften sich zum Wochenende oder spätestens Anfang nächster Woche auflösen. Dies sei eine "zeitlich begrenzte Lage", betonte Biden. Die Pipeline ist für die US-Versorgung von großer Bedeutung, sie transportiert etwa 45 Prozent aller an der Ostküste verbrauchten Kraftstoffe.

Nach Hackerangriff lahmgelegt

Erpresser hatten die Pipeline der Betreibergesellschaft Colonial vergangenen Freitag mit einem Hackerangriff lahmgelegt. Der Betrieb der Pipeline kam komplett zum Erliegen, was in Teilen des Landes Benzinengpässe verursachte. Der private Betreiber der Pipeline hatte den Betrieb am Mittwoch schrittweise wiederaufgenommen. Biden sagte, es gebe starke Anhaltspunkte dafür, dass der Angriff seinen Ursprung in Russland gehabt habe. Die US-Regierung gehe aber nicht davon aus, dass der Kreml involviert gewesen sei.

Viele Hintergründe des Cyberangriffs sind weiterhin unklar. So ist etwa unbekannt, wie viel Geld die Hackergruppe Darkside, die als verantwortlich für die Attacke gilt, von Colonial erpressen wollte. Das Unternehmen hielt sich bisher auch bedeckt dazu, ob überhaupt Lösegeld gezahlt wurde. Biden sagte dazu: "Das kommentiere ich nicht."

Aufgeflammte Inflationssorgen

Die durch die Cyberattacke ausgelösten Preissprünge bei US-Benzin erfolgen just zu einer Zeit, als ohnedies immer wieder Inflationssorgen aufgeflackert sind. Anders als im Herbst 1973, als ein Boykott der Opec-Staaten im Zuge des Jom-Kippur-Kriegs zu globalen Versorgungsengpässen geführt hatte, dürften die Verwerfungen diesmal aber regional und zeitlich begrenzt bleiben.

Im April waren die Verbraucherpreise in den USA zum Vorjahr um 4,2 Prozent in die Höhe geschossen. Ökonomen erwarten aber erst für 2022, dass die US-Notenbank Fed ihre expansive Geldpolitik zurückfährt. "Die Fed wird sich nicht von einem erschreckenden Verbraucherpreisbericht in Panik versetzen lassen", erklärte Chefökonom Ian Shepherdson von Pantheon Macroeconomics. (Reuters, aha, 15.5.2021)