3. Februar 1991: Rudi Nierlich als Riesentorlauf-Weltmeister in Saalbach.

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Girardelli (hier im Rahmen der 'KitzCharityTrophy 2018' in Kitzbühel im Einsatz): "Wenn er etwas gesagt hat, dann hatte das Hand und Fuß. Sonst hat er lieber nichts gesagt."

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Obwohl Marc Girardelli ein paar Jahre mit Rudi Nierlich im Weltcup unterwegs war, hat er ihn trotz vieler Treffen auf dem Podest nicht näher kennengelernt. Den WM-Riesentorlauf in Vail 1989 "hätte er auch auf einem Ski gewonnen", sagt der Vorarlberger, der wegen einer Helikopter-Ausbildung in British Columbia war, als Rudi Nierlichs Autounfall passierte. Auch in Kanada hatten Medien darüber berichtet.

STANDARD: War Rudi Nierlich begnadet für den Skirennsport?

Girardelli: Er war ein absolutes Supertalent, was Skifahren und das Gefühl für die Geschwindigkeit in technischen Bewerben anbelangt. Er war ein Star ganz besonderer Klasse, wie Tomba oder Stenmark. Er hatte ein tolles Gefühl, eine elegante Technik, er war ein ruhiger Typ, ein Ästhet, kein Draufgänger. Das habe ich immer bewundert. Es war schön, ihm zuzusehen.

STANDARD: Hatte er auch seine Schwächen?

Girardelli: Ich glaube, dass er nicht in der ersten Reihe stand, wenn es um Konditionstraining ging. Er war vom Körperbau her kein Hermann Maier, hat nicht so ausgesehen, als hätte er jeden Tag sechs Stunden trainiert. Gott sei Dank, sonst wäre er noch besser gewesen. Mir hat Jürgen Grabher, ein Vorarlberger, der damals auch im ÖSV war, erzählt, dass Nierlich der Einzige war, der nicht ein einziges Mal Videoanalyse geschaut hat. Aus Prinzip nicht. Da konnte der Trainer nicht viel sagen, wenn der Beste sagte: "Ihr könnt mich kreuzweise, ich schlag euch auch so." Ich habe das leider erst später erfahren, vielleicht hätte ich auch weniger Video schauen sollen.

STANDARD: Er soll Vorreiter der Carvingtechnik gewesen sein.

Girardelli: Er war auf jeden Fall ein Schleichertyp, er hatte auch diese Atomic-Bindung, die man verstellen konnte. Er hat als Pionier die Bindungsposition verändert. Wenn es flach war, hat er sie weiter vorne montiert. Dann hat der Ski vorteilhafter reagiert. Im rhythmisch gesetzten Flachstück war er wirklich eine Wucht. Im Steilen nicht so gewaltig. Aber er war kaum zu biegen.

STANDARD: Wurde auch versucht, ihn zu kopieren?

Girardelli: Das hat es immer gegeben, dass man Stenmark oder Klammer kopieren wollte. Den Rudi konnte man nicht kopieren, er war so weit weg von den anderen.

STANDARD: Wie haben Sie ihn als Kollegen und Konkurrenten erlebt?

Girardelli: Er war eine schillernde Persönlichkeit. Er hat nie ein schlechtes Wort über jemanden verloren, hat genau gewusst, was er kann und will. Außer auf dem Siegespodest habe ich ihn nicht getroffen. Es hat sich nicht ergeben, er war wahrscheinlich zu kurz dabei, daher habe ich ihn als Menschen eigentlich nicht gekannt, obwohl er ein sympathischer Typ war. Das tut mir ein bisserl leid. Wenn er etwas gesagt hat, dann hatte das Hand und Fuß. Sonst hat er lieber nichts gesagt. Vielleicht hätte ich wirklich einmal beim Weltcupfinale eine Sauferei mit ihm machen sollen. In Japan habe ich es einmal versäumt, da hat er nach dem Sieg im Slalom von Shigakogen den Lift mit der Toilette verwechselt. Das gab dann ein relativ großes Tohuwabohu.

STANDARD: Bei der WM in Vail 1989 waren Sie Vierter im Riesentorlauf und Dritter im Slalom, während Nierlich zweimal Gold holte. Wir lief es aus Ihrer Sicht ab?

Girardelli: Tomba und Rudi waren Favoriten, ich war Co-Favorit. Man hätte nicht unbedingt darauf gesetzt, dass er beide Rennen gewinnt und so souverän abräumt. Da hattest du keine Chance. Im Riesentorlauf hatte er im ersten Durchgang eine Sekunde Vorsprung. Er hätte das Rennen auf einem Ski gewonnen. Im Slalom war er Zweiter im ersten Durchgang, ich war schon acht Zehntel hinten und hätte einen Wunderlauf gebraucht, um da noch hinzukommen. Ich habe brutal attackiert, war auf gutem Weg. Weil Rudi gleich nach dem Start einen Fehler hatte, war ich nach dem ersten Drittel gleichauf mit ihm. Dann hat er es im Flachstück wieder durchgezogen. Ich habe im Ziel nur schwarz gesehen, war wegen der dünnen Luft auf über 3000 Meter schon blau. Ich hatte Mühe, mit vollem Bewusstsein ins Ziel zu kommen. Rudi war unschlagbar an dem Wochenende.

STANDARD: Und in Saalbach zwei Jahre später?

Girardelli: Rudi war auf gutem Weg, ist aber ausgeschieden und so habe ich den Slalom gewonnen. Seine Goldene im Riesentorlauf war es ein bissl glücklich. Er hatte einen Riesenfehler knapp vor dem Ziel, der ihm sicher eine Sekunde gekostet hat. Er lag im ersten Durchgang knapp hinter Tomba, der dann ausschied. Aber das Glück gehört dem Tüchtigen, er hatte einen super Lauf.

STANDARD: Leider war er auch gern flott mit dem Auto unterwegs.

Girardelli: Mir hat Grabher erzählt, dass er ab und zu einmal den Führerschein abgeben musste, weil er immer ein bissl zu schnell unterwegs war. Als er einmal mit dem Auto in Sölden ankam, sagte Hans Pum zu ihm: "Rudi, du kannst nicht fahren, du hast den Führerschein verloren." Darauf sagte Rudi: "Weißt Hans, zum Autofahren brauchst nur einen Autoschlüssel."

STANDARD: Und manchmal braucht es wohl auch Glück in kritischen Lebenssituationen.

Girardelli: Es war eine Tragödie. Ich war damals in Kanada und habe eine Helikopter-Ausbildung gemacht, als der Unfall passiert ist. In Kelowna/British Columbia stand es sogar in der Zeitung. Es war leider eine sehr kurze Karriere. (Thomas Hirner, 17.5.2021)