Die Schriftstellerin Barbara Hundegger glaubt an die subversive Kraft der Lyrik .

Haymon Verlag/Fotowerk Aichner

Ein Champions-League-Spieltag ist ein guter Tag für Barbara Hundegger, die Lyrikerin hat ein ausgeprägtes Faible für den Fußball, das klingt manchmal auch in ihren Gedichten durch – und wenn ein "wörterkopfball" mit den Abseitsfallen der Sprache kämpft, erscheint es irgendwie logisch, dass es ab und zu ein handfestes Match braucht, um sich von den Mühen des Schreibens zu erholen. "Ich bin eine langsame Brüterin", sagt Hundegger im Gespräch mit dem STANDARD, sehr viel schöner sei demnach der Zustand des "Geschrieben-Habens". Dafür wurde sie soeben mit dem Österreichischen Kunstpreis für Literatur belohnt.

Feine Ironie

Wenn Hundegger die Sprache auseinandernimmt und verdichtet, tun sich weite Denkräume auf, die mit präzisen Blicken auf die Realität möbliert sind. Entschieden und oft auch mit feiner Ironie nimmt sie in ihren Texten Bezug auf gesellschaftspolitische Verhältnisse. Die Verbindung des Poetischen mit dem Politischen hat für die Autorin selbst vor allem mit literarischer Präzision zu tun: "Das, was die Umständ’ und Zuständ’ mit uns machen, außen vor zu lassen wäre für mich eine unvertretbare künstlerische Ungenauigkeit."

Diese Umständ’ und Zuständ’ leuchtet Hundegger auch aus, wenn sie sich in Dante Alighieris Purgatorio stürzt (wie ein mensch der umdreht geht, Haymon, 2014) oder sich mit Peter Anich beschäftigt, der im Tirol des 18. Jahrhunderts vom kleinen Bauern und Drechsler zum großen Kartografen wurde. Der 2019 bei Haymon erschienene [anich.atmosphären.atlas] ist alles andere als die lyrische Version der gängigen Heldenerzählung, vielmehr wird hier die Poesie zum Instrument, um bis heute bewährte Herrschaftstechniken und die Frage, was es bedeutet, wenn einer die Grenzen der eigenen Klasse zu überwinden versucht, zu erkunden.

Über die Popmusik

Hundegger, Jahrgang 1963, ist in einfachen Verhältnissen in Innsbruck aufgewachsen. "In der gesellschaftlichen Klasse, aus der ich komme, war das höchste der Gefühle die Donaulandbibliothek. Ich selbst hab’ bis vierzehn praktisch kein einziges Buch gelesen." Zur Literatur gefunden habe sie schließlich über die Popmusik, bis heute stellt sie jedem ihrer Gedichtbände ein Songzitat voran.

Ab Anfang der 1980er-Jahre engagierte sich Hundegger in der autonomen Frauenbewegung – und ist heute überzeugt, dass "die sogenannten Demokratiekrisen zu einem gewichtigen Teil auch der cholerische Aufstand des Patriarchats gegen seine Entmachtung" sind.

"Denn die wichtigste Ressource des Mannes, im Kleinen wie im Großen, ist die Frau. Und jetzt, da Männern das verlorenzugehen droht, drehen etliche halb und manche total durch – siehe Femizide, siehe sexualisierte Männergewalt, siehe geradezu hysterische Männerreaktionen aufs Gendern in der Sprache et cetera."

Männer, so weit das Auge reicht

In Tirol, wo "sogar die Haflingervereine mehr Geld bekommen als die Fraueninitiativen und -projekte", wie Hundegger einmal notiert hat, genüge "ein Blick auf den sogenannten ,landesüblichen Empfang‘. Der spiegelt wider, was das Problem ist: Männer, so weit das Auge reicht, die Frauen als Dekor, Zuarbeiterinnen und Publikum." 2020 wurde die Schriftstellerin mit dem Tiroler Landespreis für Kunst ausgezeichnet, eine konsequente Kritikerin der hiesigen Verhältnisse ist sie geblieben. Anlässe dafür werden – auch abseits der aktuellen Skandale um das Corona-Krisenmanagement – reichlich geliefert:

Man nehme den "Luder"-Sager eines ranghohen Tiroler ÖVP-Politikers oder auch den "unbeschreiblichen kulturpolitischen Super-GAU namens Maestro Kuhn und Festspiele Erl". Man sei in Erl, sagt Hundegger, "mit dem Versuch, sich eine sündteure Haus- und Hofkultur zu basteln, mit Karacho gescheitert.

Das Aushöhlen des Arbeitsrecht

Und dort wurden stockpatriarchale und ausbeuterische Strukturen gepflegt. Die Aufdeckung dessen haben wir nicht den Medien im Land, sondern nur der unter höchsten persönlichen und finanziellen Risiken geleisteten Arbeit von Markus Wilhelm zu verdanken – denn die Verhaberung zwischen Politik, Wirtschaft und Medien in Tirol ist atemberaubend."

Es ist aber keineswegs allein auf Tirol gemünzt, wenn Hundegger gesellschaftspolitische Entwicklungen kritisiert, bei denen Menschen zunehmend auf der Strecke bleiben: "Der ausufernde Niedriglohnsektor, das Aushöhlen des Arbeitsrechts, das exzessive Ausnützen jedes Steuerschlupflochs bilden das Fundament jenes Sockels, auf den die angeblich so ehrenwerten Wirtschaftsbosse gehoben werden. Es geht nur noch um Profitmaximierung und Lobbyismus. Auf Kosten der Leute, der Umwelt und des Gemeinwohls."

Das hat auch Auswirkungen

In Bezug auf die Kunst, so die Lyrikerin, sei ihre "Befürchtung, dass man es sich wird leisten können müssen, Künstlerin oder Künstler zu sein. Das hat auch Auswirkungen auf die Themen. Wer wird sich dann noch mit der Alltagsarbeitswelt auseinandersetzen? Mit der Klassenfrage? Denn die ist omnipräsent, auch wenn das süffisant geleugnet wird – denn ,Klasse durchdringt alles‘, wie Anke Stelling sagt."

Lyrik in Stadionformat

Was die Lyrik betrifft, glaubt Hundegger fest an deren unschlagbares subversives Potenzial. "Sie schaut so kurz aus. Aber sie hat, wenn sie gut ist, eine unglaubliche Tiefe und Wirkmacht." Die sich, wenn es nach der Dichterin ginge, viel öfter im öffentlichen Raum entfalten sollte. Mit ihren "public poetry"-Projekten bespielt Hundegger städtische Brachen, Tunnel, Literaturhausfassaden – und irgendwann vielleicht auch ein Fußballstadion. (Ivona Jelcic, 15.5.2021)