Dreimal die Woche wird nun in den Schulen getestet. Die Antigen-Selbsttests übersehen aber relativ viele infektiöse Kinder, warnt Mikrobiologe Michael Wagner.

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Es ist ein Schulbeginn mitten im Schuljahr, eigentlich schon recht nah am Ende des Schuljahrs 2020/21, denn in sieben bzw. acht Wochen geht es schon wieder in die Sommerferien. Das Coronavirus hat viele Schülerinnen und Schüler über Monate zum Homeschooling gezwungen. Heute, Montag, dürfen wieder alle Schulstufen zurück zum Präsenzunterricht – unter der Voraussetzung, dass sie sich alle 48 Stunden auf das Coronavirus testen, die Schulkinder zumindest.

Aber in welche epidemiologische Gemengelage schicken wir sie und ihre Lehrkräfte zurück? Was ist zu tun – von allen, nicht nur in den Schulen, sondern auch außerhalb –, damit das Infektionsgeschehen nicht wieder aus dem Ruder läuft?

DER STANDARD hat für eine multiperspektivische Einschätzung der aktuellen pandemischen Lage fünf Menschen mit unterschiedlichen Perspektiven und professionellen Zugängen jeweils drei Fragen gestellt. Zu Wort kommen der Bildungsminister, ein Epidemiologe, ein Simulationsforscher, ein Mikrobiologe und ein Umweltmediziner bzw. Public-Health-Experte. Grundtenor: Aktuell schaut es gut aus für die geplanten Öffnungsschritte. Ohne Vorsicht kann sich das allerdings schnell ändern. Und dennoch kommt die Botschaft: "Aber jetzt einmal entspannen und durchatmen."

Bildungsminister Heinz Faßmann.
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1. BILDUNGSMINISTER HEINZ FASSMANN:

"Die virusrobuste Schule ist weiterhin unser Ziel"

STANDARD: Mit welchem Gefühl schicken Sie heute, Montag, wieder alle Schülerinnen und Schüler zurück in die Schulen?

Faßmann: Das Gefühl der Vorfreude überwiegt. Mit unserer umfassenden Teststrategie können die Schülerinnen und Schüler in der Sekundarstufe wieder miteinander und nicht nur nacheinander im Schichtsystem in die Schule gehen. Die Volksschulen waren seit Anfang Februar im Vollbetrieb. Wir öffnen aber mit Respekt. Sicherheitsvorkehrungen wie die Masken bleiben. Die Tests finden dreimal in der Woche statt. Damit sind die Schülerinnen und Schüler die meistgetestete Bevölkerungsgruppe. Wir können infektiöse Kinder so schnell erkennen und verhindern, dass sie andere anstecken. Mit dem Contact Tracing werden auch Eltern und Geschwister getestet und damit auch Bevölkerungsgruppen, die möglicherweise nicht zu Testungen gehen. Und wir durchbrechen Infektionsketten und schulische Ausbrüche: Aktuell sind nur zwei von 5.800 Standorten wegen einer Häufung von Fällen geschlossen. Dass die Schulen als Erste öffnen und als Letzte schließen, darüber herrscht in der Bundesregierung inzwischen Konsens und das ist gut so.

STANDARD: Für Lehrkräfte reicht ein Test pro Woche. Ist das nicht eine Sicherheitslücke zulasten der Kinder und Eltern?

Faßmann: Wie oft sich Lehrkräfte testen, ist in den Berufsgruppentestungen des Gesundheitsministeriums festgelegt. Wir stellen den Lehrkräften wie den Schülerinnen und Schülern dreimal in der Woche Tests zur Verfügung und appellieren auch, diese zu verwenden. Die Lehrkräfte hatten zusätzlich alle zumindest ein Impfangebot. Das schützt ihre Gesundheit und die der Schülerinnen und Schüler zusätzlich und ist möglicherweise ein Grund für ihre abnehmende Infektionshäufigkeit. Das zeigt jedenfalls unsere flächige Antigentestung und die begleitende Gurgeltestung.

STANDARD: Bis zu den Sommerferien sind nur noch sieben bzw. acht Wochen Schule, aber im Herbst wird das Virus noch immer da sein: Wie bereiten Sie das Schulsystem darauf vor?

Faßmann: Die Impfung wird uns helfen. Die Lehrkräfte sind zu diesem Zeitpunkt weitgehend vollimmunisiert, ebenso die Schülerinnen und Schüler, die 16 Jahre und älter sind. Für die Kinder ab zwölf Jahren läuft in Europa der Zulassungsprozess des Impfstoffes – auch dieser soll noch vor dem Sommer kommen. Auch für die unter Zwölfjährigen gibt es bereits weit fortgeschrittene klinische Studien, und ich bin mir sicher, dass es im Wintersemester auch ein Impfangebot für die unter Zwölfjährigen geben wird. Zusätzlich zu den Antigen-Selbsttests erproben wir in Wien den Einsatz der PCR-Testung. Damit wollen wir herausfinden, ob wir ein praktikables Modell der PCR-Testung trotz logistischer Herausforderungen aufsetzen können. Manchen erscheint auch die Luftfilterung wesentlich. Auch in dem Bereich sichten wir, erproben Modelle und prüfen die Wirksamkeit. Die virusrobuste Schule ist weiterhin unser Ziel und wir kommen dem näher.

Epidemiologe Gerald Gartlehner (Donau-Uni Krems).
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2. EPIDEMIOLOGE GERALD GARTLEHNER (Donau-Uni Krems und Mitglied der Corona-Kommission im Gesundheitsministerium):

"Ungeimpfte Lehrkräfte sind ein völlig unnötiges Risiko für den Schulbetrieb"

STANDARD: Ist es aus epidemiologischer Sicht richtig, zum jetzigen Zeitpunkt alle Schülerinnen und Schüler wieder in Präsenz zu unterrichten?

Gartlehner: Die epidemiologische Situation sieht gut aus, es gibt in allen Bundesländern einen deutlichen Trend nach unten. Ich sehe es daher schon als vertretbar, dass es wieder Präsenzunterricht mit Durchführung der Corona-Tests gibt.

STANDARD: Wo sehen Sie die größten potenziellen Probleme im Zusammenhang mit der Öffnung der Schulen?

Gartlehner: Dass sich in manchen Bundesländern nur die Hälfte der Lehrkräfte hat impfen lassen, ist ein völlig unnötiges Risiko für den Schulbetrieb, vor allem weil wir aus den letzten Monaten wissen, dass es häufig Lehrer waren, die Infektionen in die Schulen gebracht haben.

STANDARD: Worauf wird man – auch vor dem Hintergrund der Öffnungen am 19. Mai – in den nächsten Wochen besonders achten müssen, zumal sich das Infektionsgeschehen fast zwangsläufig auf die noch ungeimpften, jüngeren Gruppen verlagern wird?

Gartlehner: Ich denke, wir werden in den nächsten Wochen aufgrund der wärmeren Jahreszeit auch in den Schulen gut über die Runden kommen. Das Impftempo zu erhöhen und möglichst viele Schüler ab zwölf vor Schulbeginn im Herbst zu impfen, sollte das große Ziel sein.

Simulationsforscher Nikolas Popper (TU Wien).
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3. SIMULATIONSFORSCHER NIKI POPPER (TU Wien und Mitglied des Corona-Prognose-Konsortiums im Gesundheitsministerium)

"Man darf halt jetzt nicht jede Vorsicht fahren lassen – dann steigen die Zahlen"

STANDARD: Welche pandemische Gemengelage haben wir aktuell vor der bevorstehenden Öffnungswelle, die heute, Montag, mit den Schulen startet?

Popper: Grundsätzlich ist die Lage positiv, weil im Moment mehr Faktoren für als gegen uns sprechen. Das Impfen wirkt zurzeit auf die Hospitalisierungssituation in bestimmten Altersgruppen, aber noch nicht stark auf die Ausbreitungsreduktion, dieser Effekt wird im Juni zusätzlich wirken. Dazu kommen die Immunisierung durch Erkrankung und, beginnend durchs Impfen, Screeningstrategien, die Maßnahmen und vor allem die Saisonalität. Man darf halt jetzt nicht jede Vorsicht fahren lassen – dann steigen die Zahlen.

STANDARD: Und viele werden sagen: Schuld sind die offenen Schulen ... Sind sie es dann?

Popper: Wir müssen davon wegkommen, in einzelnen Gruppen, ob Schulen, Kultur oder Handel, die Schuldigen zu sehen, sondern wir müssen gemeinsam zu niedrigen Fallzahlen kommen, die Strategien können da jeweils unterschiedlich sein.

STANDARD: Worauf müssen jetzt alle, nicht nur in der Schule, aufpassen, damit das nicht schiefgeht?

Popper: Na ja, es macht keinen Sinn, jetzt alle Hygienemaßnahmen zu vergessen. Händewaschen ist schon ein wichtiger Ansatz. Es hängt halt auch von unserem vernünftigen, sorgfältigen Umgang ab. Das ist, wie wenn Sie drei Wochen Grippe hatten: Natürlich freuen Sie sich darauf, rauszugehen und Party zu machen, aber jeder Arzt und jede Ärztin wird Ihnen sagen: Geh’s gemächlich an!

Mikrobiologe Michael Wagner (Uni Wien).
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4. MIKROBIOLOGE MICHAEL WAGNER (Uni Wien und Leiter der "Gurgelstudie" in den Schulen)

"Man sollte möglichst schnell auf die viel zuverlässigeren Gurgeltests zu Hause umsteigen"

STANDARD: Sind die Antigentests in den Schulen dreimal pro Woche ein dicht genug geknüpftes Sicherheitsnetz, um die Schulen für alle zu öffnen?

Wagner: Österreich war mit den frühen verpflichtenden Schultestungen internationaler Vorreiter – diese haben das Infektionsgeschehen gebremst, aber im Februar und März hat dies nicht ausgereicht und es wurden sehr hohe Altersgruppeninzidenzen bei den Kindern und Jugendlichen beobachtet. Leider erfassen die Antigen-Selbsttests nur einen Teil der Infizierten und übersehen auch relativ viele infektiöse Kinder. Darum sollte man – gerade auch mit dem Blick auf den Herbst und das mögliche Auftreten noch infektiöserer Varianten – möglichst schnell auf die viel zuverlässigere "Gurgeln zu Hause-Poolen-PCR-Teststrategie" umsteigen. Mit dieser Strategie werden keine Infektiösen übersehen und die Schulen werden entlastet, da die Probenahme zu Hause erfolgt. Bei einer Poolgröße von zehn Proben, die gemeinsam ausgewertet werden, bedeutet dies 360.000 PCR-Tests pro Woche und dies ist kapazitätsmäßig in Österreich durchführbar.

STANDARD: Ist der eigentliche Mehrwert der Schultests mittels Antigentests vielleicht ohnehin der, dass die Schulen quasi ein erweitertes Testzentrum sind, weil man damit auch Eltern und Geschwister "erwischt", die sonst möglicherweise nie testen gehen würden?

Wagner: Verpflichtendes Testen an den Schulen ist eine große Chance für die Pandemiebekämpfung, da man damit alle Bevölkerungsgruppen erfasst und auch Familien indirekt mittestet, die ansonsten die Testangebote nicht wahrnehmen. Dadurch, dass die verpflichtenden Tests aber mit den ungenauen Antigentests durchgeführt werden, nutzen wir diese Chance leider nur partiell.

STANDARD: Welche Ratschläge haben Sie für Eltern von Schulkindern für die Wochen bis Schulschluss, um möglichst sicher zu sein vor einer Infektion?

Wagner: Die Eltern von Kindergarten- und Schulkindern sind zu einem großen Teil noch ungeimpft und natürlich besteht das Risiko, dass sich die Kinder im Kindergarten, Schule oder Hort mit SARS-CoV-2 infizieren und danach die Eltern anstecken. Alle Eltern sollten sich so bald wie möglich impfen lassen und, sobald dies in Österreich zugelassen wird, auch die Kinder über zwölf Jahren impfen. Bis dahin ist der beste Schutz, wenn die Kinder in der Schule konsequent eine Maske tragen und die Freizeitaktivitäten ins Freie verlegt werden. Die Pandemie ist trotz der derzeit guten Entwicklung der Infektionszahlen noch nicht vorbei – im Herbst findet das Virus wieder günstigere Bedingungen vor. Da sich fast ein Drittel der Bevölkerung bislang nicht impfen lassen möchte und bis dahin vermutlich noch keine Impfung für Kinder unter zwölf Jahren zugelassen sein wird, kann es dann trotz aller Impfanstrengungen wieder eine Welle geben. Darum dürfen wir den Sommer nicht verschlafen, sondern müssen uns jetzt auf den Herbst vorbereiten.

Umweltmediziner und Public-Health-Experte Hans-Peter Hutter (Med-Uni Wien).
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5. UMWELTMEDIZINER HANS-PETER HUTTER (Med-Uni Wien und Leiter der Evaluationsstudie der Öffnungen im Burgenland)

"Mit Kahlschlaglockdowns sollte dann endlich wirklich Schluss sein"

STANDARD: Die Schulen werden als Erste wieder ganz geöffnet. Richtig so?

Hutter: Es ist höchste Zeit, dass es wieder durchgängig Präsenzunterricht gibt. Die Öffnung der Schulen kann aber nur dann funktionieren, wenn die Rahmenbedingungen, die wir seit einem Jahr ständig gebetsmühlenartig wiederholen, endlich in den Schulen auch umgesetzt werden. Die regelmäßigen Tests helfen zusätzlich.

STANDARD: Wir wissen mittlerweile, dass Aerosole eine ganz zentrale Rolle bei der Virusübertragung spielen, in Innenräumen erst recht. Hätte man nicht längst in Luftfilter investieren sollenen? Spätestens im Herbst wird das Problem ja wieder buchstäblich hochvirulent.

Hutter: Eine Belastung der Raumluft mit potenziell virenbeladenen Aerosolen kann zwar mit Luftreinigungsfiltergeräten reduziert werden. Ihr Einsatz ist allerdings nur dann zweckmäßig, wenn einem Klassenraum nur unzureichend Frischluft von außen zugeführt werden kann. Luftreiniger sind daher als eine Ergänzung zu allen anderen präventiven Maßnahmen in einer Schule zu sehen. Einfach drauflos kaufen ist reine Geldverschwendung. Schließlich darf man auch nicht vergessen, dass viele andere Luftschadstoffe wie etwa flüchtige Kohlenwasserstoffe oder CO2 so jedenfalls nicht aus der Raumluft entfernt werden können. Das kann nur ausreichender Luftwechsel bewerkstelligen. Wir befürchten, dass man sich mit solchen Geräten dann zufrieden zurücklehnt und die Qualität der Raumluft darunter leidet. Daher ist es auch zielführender, vorhandene Ressourcen in die schrittweise Installation von Hybridlüftungsanlagen bei neuen und zu sanierenden Gebäuden bzw. in lüftungsunterstützende Maßnahmen bei bestehenden Objekten zu investieren. Maßnahmen, die schon seit Jahren gefordert werden.

STANDARD: Apropos Herbst oder "Licht am Ende des Tunnels": Wie wird es mit der Pandemie weitergehen? Worauf sollten wir uns in diesem Jahr noch einstellen?

Hutter: Jetzt ist einmal bald Sommer und es ist endlich Zeit für uns, zu entspannen, uns zu erholen, zu genießen. Was den Herbst betrifft, ist sehr wahrscheinlich, dass sich das Virus bis dahin nicht verdünnisiert haben wird. Aber Impfen wird uns helfen können, dass wir die Spitäler entlasten und die Risikogruppen schützen. Wenn dann tatsächlich 70 bis 80 Prozent geimpft sind, ist aufgrund der Gemeinschaftsimmunität eine unkontrollierte Verbreitung gestoppt, kleinere Ausbrüche sind aber dennoch möglich. Hier ist dann differenziertes Vorgehen gefragt, mit Kahlschlaglockdowns sollte es dann endlich wirklich Schluss sein. Was uns einen Strich durch die Rechnung machen kann – einmal davon abgesehen, dass sich zu wenige impfen lassen könnten –, ist die Verbreitung weiterer Varianten aufgrund der nun zu erwartenden deutlich höheren Mobilität, speziell von Kontinent zu Kontinent. Nicht nur hier braucht es dringend Vorsorge. Wir müssen im Spätsommer bzw. Herbst ein effizientes Konzept haben, wie wir mit Rückkehrern aus Gebieten hoher Inzidenz umgehen. Ebenso unterschätzt sind die Folgen der weltweit gesehen ungerechten Impfstoffverteilung. Viele Länder mit niedrigem Einkommen können wahrscheinlich erst 2022/23 mit dem Impfen gleichziehen. Damit steigt das Risiko weiterer Mutationen deutlich und damit auch die Wahrscheinlichkeit, dass Impfstoffe weniger wirkungsvoll sind … aber jetzt einmal entspannen und durchatmen. (Lisa Nimmervoll, 17.5.2021)