Am neuen Standort des Brut am ehemaligen Nordwestbahnhof arbeiten auch die freie Szene, das Wuk und die Wiener Festwochen.

Foto: APA/Herbert Neubauer

Nach Jahren des Vazierens von Spielort zu Spielort hat das Wiener Koproduktionshaus Brut nun wieder eine Adresse: Nordwestbahnstraße 8–10 im Bezirk Brigittenau. Ein zwischen Augarten und Nordwestbahnhof gelegenes ehemaliges Fabriks- und Büroareal, das nun bis Ende 2023 als Heimstätte dient. Dann wird Brut fix und dauerhaft nach St. Marx übersiedeln, DER STANDARD berichtete.

Brut Nordwest ist, im Immobilienjargon gesprochen, ein Freie-Szene-Traum in Ruhelage. Gräser und Büsche wachsen aus den umliegenden Brachen, Graffitis beleben die seit Jahren verfallende graue Gleisanlage in der unmittelbaren Nachbarschaft. Hier, auf dem Gelände des ehemaligen Nordwestbahnhofs, soll ein ganzer neuer Stadtteil entstehen. Und wie so oft bekommen Künstlerinnen und Künstler die Aufgabe und Möglichkeit der Zwischennutzung übertragen. Schon jetzt hocken verdächtig hip gekleidete Menschen versprengt im Gestrüpp und halten unterm Sonnenschein ihr Päuschen.

Das Brut Nordwest ist leicht zu finden – mit der Straßenbahn Nummer fünf oder zu Fuß hinüber vom Tabor –, und es ist der ideale Standort für Erarbeitungs- und Aufführungszwecke. Hierher wird jeder gerne kommen, auch weil die Nachbarschaft zur Leopoldstadt Charme und Charakter hat; der Industriechic ist ohnehin weltweit angesagt.

90 Spielstätten

Im Hof der Anlage sitzen zwei Ex-Nomaden: Brut-Leiterin Kira Kirsch und Geschäftsführer Richard Schweitzer. Sie bezeichnen die Mauerreste, die vom Rest des Nachbargebäudes hoch aufragen, liebevoll als ihre Akropolis. Dass die Zelte hier in zwei Jahren wieder abgebaut werden sollen, daran will heute noch keiner denken. Mit Dankbarkeit für den jetzigen Standort führen die beiden durch die Räumlichkeiten des mehrgeschoßigen und L-förmigen Gebäudes.

Auf 90 verschiedene Spielstätten im Stadtraum hat es das Brut in der herberglosen Zeit gebracht, seit es 2015 den Konzerthauskeller aufgegeben und später auch den bis dahin zentralen Standort im Künstlerhaus am Karlsplatz an die Albertina verloren hat. Der Reiz der ständig neuen Ort vergehe, gesteht Kirsch. Vor allem in der Pandemie waren die den Sicherheitsmaßnahmen entsprechenden vielen Neuadaptionen eher mühsam. Doch das Herumziehen hatte auch positive Effekte. Einerseits habe man viele neue Mitstreiter kennengelernt, und man habe die Erfahrung gemacht, dass das Brut und sein Programm auch außerhalb des Zentrums funktionieren. Man konnte das Publikum erfreulicherweise immer mitziehen. Davon hätten obendrein auch die jeweiligen Orte profitiert, so Kirsch.

Barrierefreie 1.600 m2

Brut Nordwest, so der nunmehrige Standortname, ist eine 1.600 Quadratmeter große barrierefreie Spielstätte, die ebenerdig über eine luftige Empfangskurve vorbei an Garderoben und einer Bar hineinführt zur zentralen, mit schwarzen Vorhängen umhängten Blackbox für 180 Personen sowie zu umliegenden weiteren, flexibel bespielbaren offenen Flächen und Backstagebereichen. Hier arbeitet das Brut-Team seit dem Winter und hat die Adaptionen nun auch abgeschlossen, sodass die Wiener Festwochen, die neben dem derzeit generalsanierten Wuk hier ebenfalls über Räume verfügen, mit der Premiere von Azade Shahmiris Stück Quasi den Standort am 15. Juni eröffnen können.

Im Brut Nordwest bekommt ab September aber auch die freie Theater-, Tanz- und Performanceszene in Wien ihre Probenräume. Diese werden derzeit von den Wiener Festwochen adaptiert. Es sind dies ehemalige Konferenzräume bzw. mittlere Großraumbüros im straßenseitigen Trakt auf einer Fläche von rund 600 Quadratmetern. Neue Böden wurden soeben verlegt. Nasszellen, Administrationsräume, alles da.

Bündelung

Der Ort ist jetzt schon ein gut frequentierter Kreuzungspunkt für die freien darstellenden Künste der Stadt. Hier werden wie noch nie zuvor Kompetenzen gebündelt und tun sich Schnittstellen auf. Und der für alle zugängliche Innenhof ist das allerbeste Terrain für den kurzen Dienstweg zwischen Brut und freier Szene. Noch hat er vor allem nur Beton zu bieten, dafür aber auch besagte "Akropolis".

Vom obersten Stockwerk lässt sich die riesige Freifläche, die in wenigen Jahren ein entwickelter Stadtteil sein soll, erst erkennen. Dass hier ein Kulturstandort gleich mitgedacht wird, läge auf der Hand. (Margarete Affenzeller, 17.5.2021)