Angesichts des angeschlagenen Zustands der Kanzlerpartei gönnt die Opposition der ÖVP-Spitze keine Verschnaufpause: Zu Wochenbeginn steht formal eine Sondersitzung des Nationalrats rund um Finanzminister Gernot Blümel an – laut Terminplan wird die Debatte um 13 Uhr eröffnet, zudem dräute ihm eine dringliche Anfrage wegen der verschleppten Aktenlieferung an den Ibiza-U-Ausschuss, der er erst nach Exekutionsantrag des Verfassungsgerichtshofs an den Bundespräsidenten nachgekommen ist. Doch die SPÖ richtet nun allem voran eine Dringliche an Kanzler Sebastian Kurz, wie erst am Montagvormittag feststand.

Ein Bild aus unbeschwerten Tagen: Kanzler Kurz mit Finanzminister Blümel.
Foto: APA / Herbert P. Oczeret

Damit nicht genug, haben sich SPÖ, FPÖ und Neos im Vorfeld schon auf einen Antrag für eine Ministeranklage verständigt – der aber mit türkis-grüner Mehrheit abgeschmettert werden soll. Hintergrund: Blümel wird im Zuge der Casinos-Affäre von der Korruptionsstaatsanwaltschaft als Beschuldigter geführt, weil er vor seiner Ministerzeit 2017 ein Spendenangebot des Glücksspielkonzerns Novomatic an die ÖVP vermittelt haben soll.

Grün hält sich bedeckt

Seit bekannt wurde, dass zudem Kanzler Kurz eine Anklage wegen falscher Zeugenaussage vor dem U-Ausschuss droht, gießt die Opposition Öl ins Feuer: Die FPÖ erwägt, schon am Montag einen Misstrauensantrag gegen Kurz einzubringen, SPÖ und Neos dagegen fordern Kurz' Rücktritt erst für den Fall eines tatsächlichen Strafantrags gegen ihn.

SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner hält das übrigens auch bei Burgenlands Landeshauptmann Hans Peter Doskozil (SPÖ) für angebracht, wie sie dem "Kurier" sagte – Doskozil steht unter Verdacht, im Commerzialbank-U-Ausschuss falsch ausgesagt zu haben.

Der grüne Koalitionspartner wiederum betont unisono, dass jetzt nicht der Zeitpunkt sei, über ein solches Szenario im Fall Kurz zu spekulieren – zuletzt sagte Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein auf Ö1, wie zuvor Vizekanzler Werner Kogler im STANDARD, die Grünen seien Garant dafür, dass unter Justizministerin Alma Zadić "nix daschlogn wird".

Türkis rückt zusammen

Wegen der Attacken gegen Kurz rückte die türkise Familie am Wochenende sichtlich zusammen: Landwirtschaftsministerin Elisabeth Köstinger erklärte via "Presse", dass der Kanzler selbst bei einer Verurteilung nicht zurücktreten solle, denn Kurz arbeite "Tag und Nacht dafür, dieses Land vorwärts zu bringen". Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka, auch Vorsitzender im U-Ausschuss, mahnte in der "Krone": Man könne "ein Wahlergebnis nicht durch Anzeigen revidieren" – eine Anspielung darauf, dass die Ermittlungen der Justiz gegen Kurz auf Initiative der Opposition erfolgen.

Dass ÖVP-Fraktionschef Andreas Hanger Dossiers über kritische U-Ausschuss-Mitglieder, auch Grüne, angelegt hat, findet man in der Kanzlerpartei offenbar nicht so schlimm. Darin werden neben rhetorischen Untergriffen auch gegen die Etikette verstoßende Angewohnheiten wie der Griff in das Chipssackerl bei Befragungen oder das Mampfen von Wurstsemmeln angeführt.

Am Sonntag lancierte das Kanzleramt lieber noch eine siebenseitige Stellungnahme von Hubert Hinterhofer, Professor für Strafrecht an der Universität Salzburg, wonach sich der Mitteilung der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft "ein für eine Anklage notwendiger dringender Tatverdacht nicht entnehmen" lasse – gemeint ist damit eine entsprechende "Verurteilungswahrscheinlichkeit".

Längere Ermittlungen

Ob Hinterhofer mit dieser Einschätzung richtig liegt, dürfte sich allerdings erst in einigen Monaten klären. Das sagte zumindest der Experte für Wirtschaftsstrafrecht, Robert Kert, von der WU Wien am Sonntag in der "ZiB 2". Er rechne mit einer Entscheidung der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft über Strafantrag oder Einstellung der Ermittlungen gegen den Kanzler erst im Herbst. Es könnte "schon sechs Monate dauern", so Kert. Auf jeden Fall müsse die WKStA den Beschuldigten – also Kurz – vernehmen, auch mit Zeugenbefragungen sei zu rechnen.

Unterdessen ließ die Präsidentin der Richtervereinigung, Sabine Matejka, mit einer Warnung aufhorchen. Ohne die ÖVP beim Namen zu nennen, dennoch eindeutig in ihre Richtung, sagte Matejka im Ö1-"Morgenjournal" am Montag, dass die Angriffe aus der Politik gegen die Justiz in den vergangenen Monaten eine "neue Dimension" erreicht hätten.

Auch wenn eine eingebrachte Anzeige politisch motiviert sein mag, ermittle die Staatsanwaltschaft objektiv, sagte Matejka. Dennoch würden hier immer wieder politische Motive unterstellt, "das ist bedenklich". Denn wer solche Anschuldigungen erhebe, "greift den Rechtsstaat an". Dieser sei "nicht unzerstörbar". Und: Alle Parteien sollten sich bewusst darüber sein, dass der Rechtsstaat wichtiger ist "als das individuelle Interesse einer Person". (Nina Weißensteiner, red, 17.5.2021)