Der Fokus der heimischen Politik kehrt mit der Sondersitzung des Nationalrats am Montag ins Parlament zurück.

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Muss sich Kanzler Kurz bald vor Gericht verantworten?

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Mit der Sondersitzung des Nationalrats kehrt der Fokus der heimischen Politik zumindest für ein paar Stunden dorthin zurück, wo er in einer parlamentarischen Demokratie seinen Platz hat: ins Parlament.

Fast hätte man über all die Arbeit, die rund um den Ibiza-Ausschuss der Justiz aufgehalst wurde, den Eindruck gewinnen können, dass die Zukunft des Landes vor Gericht entschieden würde. Und vielleicht wird sie das ja auch – im Falle, dass Bundeskanzler Sebastian Kurz vor Gericht nachgewiesen werden kann, unter Wahrheitspflicht vorsätzlich gelogen zu haben, wären seine Kanzlerschaft und wohl auch die Koalition beendet. Wie wahrscheinlich ein derartiges Urteil ist, ist schwer abzuschätzen – ganz ausschließen kann man es aber nicht, dass die Karriere von Kurz wegen einer (wie er meint: missverstandenen) Aussage zu einer Personaldebatte abseits seiner Verantwortung für das Land endet.

Gerichte zeigen keine Scheu

Denn: Gerichte zeigen keine Scheu, Politiker für unglaubwürdig zu erklären und entgegen allen Unschuldsbeteuerungen zu verurteilen. Einmal hat es sogar einen Ex-Bundeskanzler getroffen, nämlich den Sozialdemokraten Fred Sinowatz. Dieser hatte in einem (von ihm selbst angestrengten) Gerichtsverfahren unter Wahrheitspflicht behauptet, dass er im Jahr 1985 noch nicht von einer "braunen Vergangenheit" des später zum Bundespräsidenten gewählten Kurt Waldheim gesprochen habe. Obwohl Sinowatz viele Zeugen aufbieten konnte, die seine Darstellung stützten, wurde er schließlich verurteilt.

Die SPÖ schäumte damals ähnlich wie heute die ÖVP. Heinz Fischer, damals stellvertretender Vorsitzender der SPÖ und Nationalratspräsident, musste sich auf den Tag genau vor 30 Jahren in einer Anfragebeantwortung an die Grünen für seine Aussage rechtfertigen, dass er die Gefahr eines "Richterstaats" heraufbeschworen und eine "intelligente Diskussion" über die gerichtliche Einflussnahme auf die Politik gefordert hatte.

"Ich betrachte die meiner Kritik zugrunde liegenden Besorgnisse nicht als parteipolitische, sondern als staatspolitische Anliegen", erklärte Fischer seinerzeit. Der spätere Bundespräsident erwies sich damit als wacher Beobachter einer Entwicklung, in der seit den 1980er-Jahren politischer Streit in die Gerichte verlagert wurde. Getroffen hat es Politiker unterschiedlicher Parteien, auch wenn sich die FPÖ sowohl mit Anzeigen als auch mit dem Jammer über eigene gerichtliche Niederlagen besonders hervorgetan hat.

In Handlungsfreiheit eingeschränkt

All das hat zweierlei bewirkt: Die angezeigten oder privat geklagten Politiker wurden in ihrer Handlungsfreiheit eingeschränkt – wer sich ständig mit seinen Rechtsberatern verständigen muss, hat weniger Zeit für die eigentliche politische Arbeit. Zweitens bleibt immer etwas hängen. Berichte von Anzeigen und Bilder von Hausdurchsuchungen erzielen eher Aufmerksamkeit als die spätere Meldung, dass an konkreten Vorwürfen nichts dran gewesen sei. Unschuldsvermutungen werden Politikern nicht zugestanden, vielmehr wird der verbreitete Generalverdacht gestärkt, dass in der Politik ohnehin alle Gauner wären.

Das hier Gesagte entschuldigt kein Fehlverhalten. Aber es sollte daran erinnern, dass der wesentliche Ort der politischen Auseinandersetzung eben nicht der Gerichtssaal ist – sondern das Parlament, das von allen Beteiligten, Medien inklusive, mehr Respekt verdient. (Conrad Seidl, 17.5.2021)