Unüberhörbar schaltete Kanzler Sebastian Kurz in den Kampfmodus, seit publik wurde, dass ihm eine Anklage wegen Falschaussage im Ibiza-U-Ausschuss droht. Seine politischen Kontrahenten wollten ihn "aus dem Amt befördern", erklärt er über alle Kanäle dem Wahlvolk. Als müsse der türkise Chef in eine Wahlschlacht ziehen, versammelte er bereits alle sechs Landeshauptleute und sämtliche Bünde der ÖVP hinter sich, die ihm prompt ihre Unterstützung zusagten. Selbst bei einem Strafantrag will Kurz im Amt bleiben, den U-Ausschuss tut er als "Schöpfung" ab, in dem wildgewordene Abgeordnete danach trachteten, ihm seine Worte im Munde umzudrehen, um danach Anzeige zu erstatten.

Als müsste Kanzler Sebastian Kurz in eine Wahlschlacht ziehen, erklärt er dem Wahlvolk derzeit auf allen Kanälen, dass man ihn "aus dem Amt befördern" wolle.
Foto: APA / Herbert Neubauer

Könnte das Land trotz Pandemie samt Wirtschaftskrise früher als gedacht auf Neuwahlen zusteuern? Politikwissenschafter Peter Filzmaier konstatiert, dass angesichts der aktuellen Ereignisse eine "Spirale der Eskalation" angefacht sei – obwohl für keine Partei "die strategische Verlockung" eines vorgezogenen Urnengangs bestehen könne.

Auch Politikberater Thomas Hofer qualifiziert die Lage als "unkontrollierbar", bei den anstehenden Entwicklungen seien derzeit alle Parteien "Passagier". Seine Empfehlung lautet: Jede für sich täte gut daran, sich auch für ein Neuwahlszenario zu rüsten – den "keiner ihrer Apparate" sei bisher darauf eingestellt gewesen.

Keine Entspannung in Sicht

Eine rasche Entspannung in der nunmehrigen Causa prima sei nicht in Sicht, erklärt Filzmaier, denn: Mit einer Anklage oder Einstellung sei wohl erst bis zum Sommer zu rechnen, und: Werde gegen Kurz tatsächlich Strafantrag gestellt, könne sich das erstinstanzliche Verfahren Monate dahinziehen, ein letztinstanzliches Urteil bei Berufung sogar Jahre andauern.

Auf Seite der ÖVP rechnet man offenbar nicht mit einer Anklage: Am Sonntag lancierte das Kanzleramt eine siebenseitige Stellungnahme von Hubert Hinterhofer, Professor für Strafrecht an der Universität Salzburg, wonach sich der Mitteilung der WKStA "ein für eine Anklage notwendiger dringender Tatverdacht nicht entnehmen" lasse – gemeint ist damit eine entsprechende "Verurteilungswahrscheinlichkeit".

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Das Gutachten des Salzburger Universitätsprofessors Hubert Hinterhofer, das von der Kanzlei von ÖVP-Parteianwalt Werner Suppan in Auftrag gegeben wurde.

Fest steht, dass sich der Kanzler selbst ins Unrecht gesetzt sieht – ob er die Mühlen der Justiz da lange ergeben hinnimmt? "Derzeit weiß keiner, was er im nächsten Moment wieder vorhat", klagt ein Grüner über Kurz. Auch heißt es beim kleinen Koalitionspartner zu den Volten des Kanzlers: "Wir dürfen ihm jetzt keinen Anlass für einen Koalitionsbruch liefern und können uns keinen Fehler erlauben." Das grüne Kalkül dahinter lautet: Mit der angeschlagenen Kanzlerpartei lassen sich Kurz und Co mehr Zugeständnisse für eigene Anliegen abringen.

Grüner Beschwichtigungskurs

Doch Politexperten schütteln über den grünen "Beschwichtigungskurs" (Filzmaier) und ihre "strategische Zerrissenheit" als Kontrollpartei (Hofer) die Köpfe. Bekanntlich halten es Kogler, Zadić und Co zum jetzigen Zeitpunkt nicht für angebracht, Kurz für den Fall einer Anklage den Rücktritt nahezulegen. Sehr wohl aber hat Klubchefin Sigrid Maurer genau das schon bei Gernot Blümel (ÖVP) als "rote Linie" für Grün ausgegeben, sollte sich der Korruptionsverdacht gegen ihn derart erhärten – wie bei Kurz gilt auch hier die Unschuldsvermutung.

Doch ein solches Hin und Her kommt bei Grünwählern nicht gut an – und auch im grünen Klub könnten sich da gröbere Probleme auftun, sollte die rot-blau-pinke Opposition eines Tages geschlossen Misstrauensanträge gegen Kurz und/oder Blümel in Stellung bringen. Schon sechs abwesende Grünen-Abgeordnete reichten bei einer solchen Abstimmung, rechnet Filzmaier vor – und Türkis-Grün ist mit seiner Mehrheit Geschichte, der Anlass für einen Koalitionsbruch samt Neuwahlen geliefert. Doch vorläufig macht Grün den beiden ÖVP-Regierungsspitzen weiterhin die Mauer – etwa bei der Sondersitzung des Nationalrats am Montag zu Blümels Troubles mit der Justiz.

Anders als der Juniorpartner scheine die ÖVP zumindest "ihr Skript" für einen Wahlkampf schon bei der Hand zu haben, erklärt Hofer – auch wenn die Kanzlerpartei einen verfrühten Urnengang genauso wenig gebrauchen könne, weil sie nach SPÖ und FPÖ damit den dritten Koalitionspartner in Serie verbraucht hätte. Die türkise Dramaturgie würde laut Hofer lauten: "Alle sind gegen Kurz" – und ab sofort gelte es für das Land eine "linke Mehrheit" von SPÖ, Grünen und Neos zu verhindern.

Probleme der Opposition

Und auch da sind sich die Experten einig: Die Sozialdemokraten müssten dann unter massivem Zeitdruck erst festlegen, dass sie wohl mit ihrer Chefin Pamela Rendi-Wagner in den Wahlkampf ziehen wollen – und wie üblich seien Querschüsse von Doskozil, Dornauer und Co nicht ausgeschlossen.

Dasselbe gelte auch für die Freiheitlichen, die sich zwischen ihren Klubchefs Norbert Hofer und Herbert Kickl als Zugpferd entscheiden müssten, die in Sachen Pandemiepolitik als gespalten gelten. Ein FPÖ-Mann meint dazu jetzt schon, dass das Match wohl für Kickl ausgehen würde, und: "Wegen des Alleinstellungsmerkmals" würden die Blauen eben weiter mit ihrer "Grundkampagne" gegen das türkis-grüne Corona-Management ins Feld ziehen.

Kampagnen modifizieren

Und auch bei den Neos macht man sich schon Gedanken für den Fall des Falles: Die aktuelle pinke Kampagne für einen "Neustart" in Sachen Bildung und Wirtschaft wäre schnell modifiziert, heißt es dort. Abgesehen davon kamen Meinl-Reisinger, Krisper und Co zuletzt durch einen mailtechnischen Irrläufer Türkis auf die Schliche, dass offenbar mit einer Agentur schon "Sudeldossiers" über die unbequemen U-Ausschuss-Mitglieder erstellt werden. Die ÖVP spricht von einer "Faktensammlung", von anlaufendem "Dirty Campaigning" will man nichts wissen. (Nina Weißensteiner, 17.5.2021)