Polizeiaufgebot vor dem Ernst-Kirchweger-Haus in Wien-Favoriten: Im Sommer 2020 kam es tagelang zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen rechtsstehenden jugendlichen Türken sowie Kurden und linken Aktivisten.

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Mitte Juni 2020 kam es rund um das Ernst-Kirchweger-Haus (EKH) in Wien-Favoriten immer wieder zu Angriffen türkisch-nationalistischer und rechtsextremer Gruppen – darunter solcher aus dem Milieu der Grauen Wölfe – auf linke und kurdische Aktivisten. Die Ausschreitungen führten zu Verletzten, Sachschäden und Festnahmen – und sorgten bundesweit für Diskussionen: Nach einigen Tagen der Unruhe schaltete sich damals sogar Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) ein. Man werde erstens mit Vertretern "aller relevanten türkischen Vereine" sprechen, zweitens werde die Polizei verstärkt an "neuralgischen Punkten" Präsenz zeigen, auch das Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung wurde eingeschaltet, hieß es damals unter anderem vom Regierungschef.

Einflussnahme der Türkei zu Israel

Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) präsentierte am Montag nun, was die Exekutive seither unternommen hat. Das Ergebnis: mehr als 100 Festnahmen und 164 strafrechtliche Anzeigen in Favoriten, 3.200 Personen wurden insgesamt kontrolliert. Zunächst zog Nehammer allerdings Bilanz: "Es war ein forderndes Jahr für die Polizei", sagte er bei der Pressekonferenz mit dem Generaldirektor für die öffentliche Sicherheit, Franz Ruf. Denn es gehe immer darum, Grund- und Freiheitsrechte zu wahren, gleichzeitig dürfe von Versammlungen aber auch keine Gefahr ausgehen. "Wir haben damals deutliche Hinweise erhalten, dass die Türkei Einfluss auf die Situation in Österreich genommen hat. Das erleben wir beim Thema Israel momentan wieder. Es gibt keinen Grund dazu, in Österreich ausländische Konflikte auszutragen. Wir werden mit allen Mitteln dagegen vorgehen."

Nehammer kündigt ein "entschlossenes Vorgehen gegen jede Form von Antisemitismus und antiisraelischen Haltungen" an. Die historische Verantwortung Österreichs sei Auftrag und Verpflichtung zugleich.

Über 100 Festnahmen, 164 Anzeigen

Zurück zum Sommer 2020 und den Folgen: Nehammer habe das Bundeskriminalamt, den Generaldirektor für die öffentliche Sicherheit und die Landespolizeidirektion (LPD) Wien beauftragt, ein System zu entwickeln, um Situationen wie damals schnell "Herr zu werden". Das wurde im März und April dieses Jahres eingesetzt.

Es sei in dem ersten Schritt zwar um den Bezirk Favoriten gegangen, aber die Sicherheitsfrage stelle sich überall im Land. Der "systemische Ansatz", den man im Zuge der Ausschreitungen in Favoriten entwickelte, solle daher breit ausgerollt werden, sagte der Innenminister. Mehrere Spezialeinheiten haben dafür in mehreren Schwerpunktaktionen im Bezirk zusammengewirkt.

Täter "kleinkriminelle Jugendliche mit Migrationshintergrund"

Die mehr als 100 Festnahmen und 164 Anzeigen würden zeigen, "was für Entwicklungen es abseits der gesellschaftlichen Wahrnehmung gibt", sagt Nehammer. Die Täter seien zum einen "kleinkriminelle Jugendliche – viele mit Migrationshintergrund", sagte der Minister. Die Delikte würden von Körperverletzung über Suchtgifthandel und sexuelle Belästigung bis zu schwerer Nötigung reichen. Bei der "Aktion" solle ein Netzwerk zerschlagen werden, das sich im kleinkriminellen Milieu angesiedelt habe. "Extremisten nutzen dieses Umfeld, um Jugendliche zu radikalisieren. Wir dürfen die Augen nicht verschließen", sagt Nehammer. Durch die Schwerpunktaktionen habe man die Szene erschüttert, man werde damit auch nicht aufhören. "Wien-Favoriten ist der Anfang. In allen anderen Ballungszentren wird es ähnliche Aktionen geben."

645 Polizeibedienstete in einem Monat

Franz Ruf lieferte zu den Aktionen in Favoriten weitere Details. Er habe im Jänner 2021 eine Analyse im Bundeskriminalamt durchführen lassen. Dabei habe sich gezeigt, dass der Bezirk stark von Kriminalität belastet sei – vor allem Suchtmittel-, Körperverletzungs- und Vermögensdelikte würden sich im Zehnten abspielen und waren in der Folge auch im Fokus der Schwerpunktaktionen. Hinzu kamen aber zahlreiche andere Bereiche, etwa auch Delikte nach dem Waffengesetz. "Die Kontrolldichte war hoch. Das hat auch die Bevölkerung bemerkt und unsere Beamten darauf angesprochen", sagt Ruf. Das Feedback sei dabei positiv gewesen. Allein im März seien 645 Polizeibedienstete bei Schwerpunktaktionen in Favoriten dabei gewesen. Insgesamt wurden mehrere Kilo Suchtmittel und mehrere tausend Euro Bargeld sichergestellt.

Ruf lieferte auch konkrete Beispiele. So beschrieb der Direktor für die öffentliche Sicherheit, wie eine Amtshandlung, die sich am Hauptbahnhof abspielte, zu sechs Festnahmen führte, darunter auch eine per internationalem Haftbefehl gesuchte Frau. Außerdem wurden Opium, Crystal Meth, Kokain, Amphetamine, Cannabis und Bargeld sichergestellt.

Überwachungskameras am Reumannplatz

Im Einvernehmen mit dem Innenministerium und dem Rechtsschutzbeauftragten werde am Reumannplatz eine stationäre Videoüberwachungsanlage in Betrieb genommen, berichtete die Landespolizeidirektion Wien am Montag per Aussendung. Diese besteht aus zwei stationären, automatisch schwenk- und drehbaren Überwachungskameras, di an zwei Lichtmasten montiert wurden.

Die Überwachungsbereiche sind der Reumannplatz, außer der Rückseite des Amalienbades, die Buchengasse ab der Kreuzung mit der Leibnizgasse sowie die Favoritenstraße an der Kreuzung mit dem Viktor-Adler-Platz und Pernerstorfergasse, die Wielandgasse ab der Quellenstraße – alles jeweils bis zum Reumannplatz. Die polizeiliche Videoüberwachung wird durch mehrere Hinweisschilder angekündigt und erkennbar gemacht. Aufzeichnungen, die nicht zur weiteren Verfolgung wegen des Verdachts strafbarer Handlungen erforderlich sind, werden nach spätestens 48 Stunden gelöscht. (Lara Hagen, APA, 17.5.2021)