Duncan Laurence, der letzte Sieger des Wettsingens.

Thomas Hansen/EBU

"De vogels van Holland": So lautete der Titel des allerersten Songs in der Geschichte des Eurovision Song Contest. Mit diesem Song eröffnete Jetty Paerl mit Startnummer eins die neue TV-Show. Niemand konnte damals die Langlebigkeit der Show erahnen. Jetty Paerl wurde in ihrer Heimat als Sängerin im Widerstandssender des Krieges, Radio Oranje, bekannt. Dieser allererste Song wurde gleich Schablone für viele solcher Songs: die Repräsentation nationaler Eigenheiten im internationalen Wettbewerb. Schade, dass vom allerersten ESC kein Videomaterial erhalten blieb.

Frühe Erfolge

Beim zweiten Song Contest 1957 und beim vierten 1959 konnten die Niederlande zwei Siege erringen. Corry Brokken überzeugte die Jurys mit dem Beitrag "Net als toen". Sie erlebte danach eine Gesangskarriere und beendete ihre TV-Präsenz dann mit der Moderation des Song Contest 1976. Danach studierte sie Rechtswissenschaften und wurde Richterin.

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Teddy Scholten gewann zwei Jahre später mit dem zuckersüßen Liebeslied "Een beetje". Eine lange Karriere sollte ihr mit dem Sieg aber nicht gegönnt sein. Sie nahm danach noch ein paar Schallplatten mit Kinderliedern und Coverversionen auf, der große Erfolg blieb aber aus.

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Rudi Carrell und surinamische Präsenz

Die Jahre ab 1960 waren für die Niederlande nicht besonders erfolgreich, einige Beiträge konnten Song-Contest-Geschichte schreiben. 1960 ging ein junger Künstler an den Start, der seine große Karriere erst einige Jahre später beginnen sollte – vor allem im deutschsprachigen Raum. Der spätere Showmaster Rudi Carrell sang "Wat een geluk". Der Song gilt bis heute als gute niederländische Zungenbrecherübung, weil Carrell viele Worte und Reime in schnellem Tempo vortrug. Den europäischen Jurys gefiel es jedoch nicht. Er wurde Vorletzter.

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1966 trat zum allerersten Mal eine schwarze Künstlerin auf. Die in Surinam geborene Milly Scott musste wohl noch, um die Seh- und Hörgewohnheiten nicht zu sehr zu überfordern, ein exotisch wirkendes Lied darbieten. Fantasieorte, die südamerikanisch klangen, kamen ebenso vor wie die titelgebenden "Fernando en Filippo". Der Song hatte zwar keine Chance, es siegte Österreich mit "Merci, Chérie" von Udo Jürgens, aber das europäische Publikum konnte sich nach und nach an die Präsenz schwarzer Künstler im TV gewöhnen. Im Europa der Sechziger noch eine Seltenheit. Entkolonialisierung war zu dieser Zeit langsam in Gang gekommen, Surinam wurde erst 1975 gänzlich unabhängig von den Niederlanden.

Eurovision GOLD. By Genlab.

Die Niederlande sind das Land, das übrigens bislang die meisten schwarzen Künstler zum ESC entsandt hat. In diesem Jahr tritt mit Jeangu Macrooy erneut ein Künstler aus der ehemaligen Kolonie an. Zum ersten Mal wird die koloniale Geschichte auch im Song selbst verarbeitet. Sranan-Tonga ist die auf den Plantagen entstandene "Sklavensprache", die heute eine literarische und offizielle Sprache Surinams ist. Schwarze Künstler konnten mit einer Ausnahme in einem Duo (Estland 2001) noch nie den Eurovision Song Contest gewinnen. Zur Präsenz schwarzer Künstler beim ESC siehe auch diese Podcast-Folge von "Merci, Chérie": "Black Entries Matter".

Siege 1969 und 1975

1969 war ein kritischer Moment für den Eurovision Song Contest, und fast hätte die TV-Show dieses Jahr nicht überlebt. Denn vier Lieder gewannen ex aequo, darunter auch die Niederlande mit "De troubadour" von Lenny Kuhr. Ein Song, der den Hippie-Zeitgeist gut einfing. Dass es vier Sieger gab, hatte jedoch Folgen: Mehrere Länder zogen sich vom Song Contest zurück. Die EBU änderte daraufhin die Regeln, damit es auch bei Punktegleichstand nur einen möglichen Sieger gibt.

In den Siebzigern wurde der Song Contest wieder enorm populär und charttauglich. Auch niederländische Plattenfirmen erkannten die Chance der TV-Show. Mouth & MacNeal hatten weltweit Riesenhits, "How Do You Do?" war auch in den US-Billboard-Charts erfolgreich. Also wurden sie zum Eurovision Song Contest 1974 geschickt. Mittlerweile war auch Bands die Teilnahme erlaubt. Abba errang damals den Sieg für Schweden. "I See A Star" von Mouth & McNeal wurde Dritter. Sie waren damals recht enttäuscht, weil sie von einem Sieg überzeugt gewesen waren.

Marc Al

1975 konnte die Gruppe Teach-In den vierten Sieg für die Niederlande erringen. Der Song "Ding-A-Dong" ist mittlerweile ein Evergreen unter den ESC-Fans. Sängerin der Gruppe war die in der Steiermark geborene Getty Kaspers. Im ESC-Blog 2015 wurde sie interviewt, und dort erzählt sie ihre unglaubliche Lebensgeschichte. Teach-In war dann für sehr lange Zeit der letzte Sieg für die Niederlande.

Lange Durststrecke

In den folgenden Jahren und Jahrzehnte hatten die Niederlande keine großen Erfolge mehr, ja nicht einmal mehr Top-3-Platzierungen. Die erfolgreichsten Songs der Achtzigerjahre wurden die Beiträge von 1980 (Maggie McNeal mit "Amsterdam") und 1987 (Marcha mit "Rechtop in den wind"). Beide belegten den fünften Platz. 1998 erreichte Edsilia Rombley in Birmingham den vierten Platz mit "Hemel en aarde". Sie blieb der Song-Contest-Gemeinde treu, obwohl sie 2007 bei einem erneuten Antreten im Halbfinale scheiterte. 2021 darf sie den Eurovision Song Contest am 18., 20. und 22. Mai aus Rotterdam moderieren.

Anouk, Common Linnets und ein Sieg

Als die Niederlande 2005 bis 2012 immer im Halbfinale scheiterten, wurden Stimmen laut, man möge sich überhaupt aus dem Song Contest zurückziehen. Viele Niederländer verloren das Interesse, der Ruf war ruiniert. Der Bewerb sei doch nur noch eine "osteuropäische Mafia". Dass es aber die westeuropäischen Länder waren, die belanglose Songs schickten, während der Balkan und Osteuropa ihre besten Stars ins Rennen schickten, wurde gerne ausgeblendet.

2013 pfiff eine der berühmtesten Rockröhren der Niederlande auf diesen schlechten Ruf und hatte Bock, beim Song Contest aufzutreten. Anouk sang ein dystopisches Lied über herabfallende Vögel ("Birds"). Sie erreichte damit den neunten Platz. Das Lied war so außergewöhnlich, dass Anouk auch ohne Sieg eine internationale Fanbase aufbauen konnte. Plötzlich war der Eurovision Song Contest auch für Künstler wieder interessant, die anspruchsvolle Musik machen wollten.

Eurovision Song Contest

Etwa Ilse DeLange. Sie gründete mit Sänger Waylon die Gruppe The Common Linnets. Sie kamen nach Kopenhagen, um ihren Beitrag "Calm After The Storm" zu singen und eroberten Europa mit ihrem Country-Pop im Sturm. Zwar war eine gewisse Conchita Wurst punktemäßig erfolgreicher und gewann bekanntlich, aber der niederländische Song wurde der Welthit der 2014er-Ausgabe.

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Es war wieder Ilse DeLange, die den unter anderem von Wouter Hardy geschriebenen Song "Arcade" als idealen Song-Contest-Song erkannte und ihren Schützling Duncan Laurence überredete, den Song für Tel Aviv 2019 einzureichen. Er wurde vom niederländischen Sender Avrotros ausgewählt – und gewann. Duncan Laurence wurde der erste Song-Contest-Sieger, der seine Krone gleich zwei Jahre aufbehalten durfte, nachdem der Bewerb 2020 pandemiebedingt abgesagt werden musste.

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2021 werden die Niederlande von Jeangu Macrooy vertreten. Er tritt am 22. Mai mit "Birth Of A New Age" direkt qualifiziert im Finale auf. Er besingt Empowerment aus seiner surinamischen und seiner schwulen Perspektive zugleich. Der niederländische Songwriter Wouter Hardy ist ebenfalls erneut vertreten. Er schrieb am Schweizer Song "Tout l’univers" mit. Die Niederlande haben sich mit dem Song Contest versöhnt. Das Erfolgsrezept heißt Qualität statt Trash. (Marco Schreuder,17.5.2021)

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