Donnerstag, 17 Uhr – die übliche Feierabend-Rushhour ist in vollem Gange. Busse, Autos, Radler und Fußgängerinnen tummeln sich auf der Margaretenstraße in Wien. So bunt das durch Autolacke, Fahrradhelme, Einkaufssackerln, Motorengeräusche und Telefonate komponierte Stadtbild, so vielfältig sind auch die unterschiedlichen Tempi und Ziele der Personen. Hier eine Schlange vor einem Eisgeschäft, dort ein aufheulender Motor einer sichtlich gestressten Frau – und mittendrin Fahrräder, die sich waghalsig zwischen parkenden Autos durchschlängeln.

Personen, die öfters innerstädtisch mit dem Rad unterwegs sind, merken schon seit einiger Zeit den immensen Andrang auf Wiens Radrouten. Selbst am Ring oder am Gürtel, wo immerhin vom Kfz-Verkehr getrennte Radinfrastrukturen bestehen, wird ein einfacher Arbeitsweg zu einem Parcours zwischen ungeduldigen Rennradfahrern, gestressten und motorisierten Essenslieferanten, Alltagsfahrern und unbeholfen querenden Fußgängern und Autos. Nicht zu reden von den Wochenenden, wo zu dem Chaos noch die ungeübten Freizeitfahrer hinzukommen und so eine explosive Atmosphäre erzeugen.

Heikle Situationen

Die politisch forcierte Steigerung des Rad- und Fußverkehrs hat sich dabei durch die Pandemie weiter beschleunigt. Nicht nur medial entlädt sich der ideologisierte Streit um die Verteilung des Straßenraums. Riskante Situationen – egal ob Eigen- oder Fremdschuld – gehören zum Alltag eines jeden Radfahrers. Dabei wird auch auf Social Media gehörig mit Schubladen jongliert und "der Radfahrer" oder "die Autofahrerin" an sich als Grund allen Übels diffamiert. Auch wenn Hass und Wut weniger Beherrschung als Toleranz und Vergeben fordern, geht die emotional aufgeladene Diskussion am Kern des Problems vorbei.

Viele Wege haben sich in Corona-Zeiten vom Auto auf das Rad verlegt. Umso voller sind die Radwege in der Stadt.
Foto: Regine Hendrich/derstandard

Wenn nicht jetzt rigoros und konsequent die ohnehin schon überfälligen Infrastrukturen für den Radverkehr und Fußgängerverkehr geschaffen werden, wird es zukünftig noch mehr heikle Situationen und damit noch mehr Unfälle geben. Dabei muss man kein großer Experte sein, um die Vorteile breiter Geh- und Radwege zu kennen. Neben der gesteigerten Sicherheit für alle Verkehrsteilnehmer würde die Reduktion des Autoverkehrs nicht nur ästhetische Vorteile mit sich bringen, sondern auch zu einer Reduktion von Lärm führen und so die Lebensqualität in der Nachbarschaft steigern.

Mehr Platz für Rad und Fuß

Das neben dem Gesagten auch ein Mentalitätswandel weg von Vorrang- und Behauptungssucht hin zu mehr Nachsicht, Toleranz und Verzeihen vonnöten wäre, ist ein anderer – wenn doch gewichtiger – Aspekt, auf den hier aber nicht näher eingegangen werden soll.

Trotz Verständnis für die Komplexität realpolitischer Interessenabwägungen und dem Respekt vor reflexartigen Widerständen einiger weniger ist es dennoch erstaunlich, dass so einfache, kostengünstige und praktikable Schritte wie die Umnutzung von Fahrstreifen erst durch die Pandemie im öffentlichen Diskurs aufgetaucht sind. Pop-up wurde zum neuen Unwort, obwohl dies – eine bedachte und wohlkommunizierte Umsetzung vorausgesetzt – der Bevölkerung auf niederschwellige Art und Weise die Vorzüge einer permanenten Umverteilung näherzubringen vermag. Manchmal scheint es, dass Widerstand aus der Ecke einer lauten Minderheit kommt, die sich verzweifelt an ein überholtes Bild von Mobilität klammert und dabei jeden noch so überlegenswerten Vorschlag im Vorhinein diffamiert.

Mehr Platz für Rad und Fuß heißt in gebauten Strukturen weniger Platz für das Auto – das muss meiner Ansicht nach so deutlich gesagt werden. Will man Verkehrssicherheit, Lärmreduktion und mehr Platz für dringend notwendige Klimawandelanpassungen, dann braucht es einen Paradigmenwechsel in der Verteilung des öffentlichen Raums. Dabei geht es nicht um linke Ideologien und Beschneidung von persönlichen Freiheiten, sondern um lebenswerte, nachhaltige und moderne Stadtplanung. (Philipp Kerschbaum, 19.5.2021)