Chinesische Schriftzeichen in den montenegrinischen Bergen.

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Die weißen Pfeiler wirken in der Nacht, als hätte eine Riesenspinne beschlossen, ihre Beine über die Schlucht zu spannen. Die Autobahnbrücke über den Fluss Morača in Montenegro verbindet die faltig-grauen Berge der einen mit der anderen Seite, darunter schlängelt sich die türkise Morača gemütlich dahin, die an dieser Stelle noch gar nicht weiß, dass sie später den Shkodarsee speisen wird.

Die Brücke ist fast einen Kilometer lang, der höchste Pfeiler trägt sie auf 160 Metern Höhe. Doch das beeindruckende Bauwerk trägt zum immer schwerer lastenden Schuldenberg des kleinen Adriastaates bei.

Laut Weltbank liegt die Schuldenquote Montenegros mit nur 620.000 Einwohnern mittlerweile bei über 90 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP), es ist die höchste auf dem Westbalkan. Besonders angestiegen ist die Schuldenlast durch den Bau der Autobahn zwischen dem Küstenort Bar und Boljare an der serbischen Grenze, die mitten durch das gebirgige Land führen soll. Die Kosten werden auf 45 Prozent des BIP geschätzt. Gebaut wird die Straße von der China Road and Bridge Corporation (CRBC).

85 Prozent der Kosten des ersten Abschnitts werden durch ein Darlehen der chinesischen Exim-Bank in der Höhe von 777 Millionen Euro gedeckt. Laut den Vereinbarungen des Kredits aus dem Jahr 2014 muss Montenegro allerdings heuer 55 Millionen Euro zurückzahlen. Das Geld scheint nicht vorhanden.

Der Bau der Autobahn verschlang viel Geld.
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Geld reicht nicht

Im vergangenen Dezember hat die Regierung bereits eine Anleihe von 750 Millionen Euro durch die Ausgabe von Eurobonds aufgenommen. Doch offenbar reicht auch das nicht. Vize-Premier Dritan Abazović bat die EU bereits im März, bei der Rückzahlung der Schulden an die Exim-Bank zu helfen.

Doch im April stellte die EU-Kommission klar, dass die Europäer nicht aushelfen werden, selbst wenn Montenegro sich damit aus der chinesischen Abhängigkeit begeben würde. Offensichtlich hat man in Brüssel den Eindruck, dass sich Montenegro bereits heillos übernommen hat.

Europa springt nicht ein

Auch die Europäische Investitionsbank will nicht für einen Kredit für den zweiten Abschnitt einspringen. Denn laut einer Machbarkeitsstudie rechtfertigt das geringe Verkehrsaufkommen ganz einfach die Investitionen nicht. Der Internationale Währungsfonds (IWF) rät schon seit längerem, dass Montenegro einfach den Autobahnbau aufgeben solle – denn erst als EU-Mitglied hätte Podgorica Zugriff auf die notwendigen finanziellen Mittel.

Mit einer derart hohen Schuldenquote erscheint es zudem unmöglich, dass der Staat weitere Kredite aus dem Westen bekommen kann. In Brüssel beobachtet man außerdem schon seit Jahren mit Argusaugen, wie sich Montenegro immer mehr in die Hände der Chinesen begibt und gleichzeitig aber keine Fortschritte bei der EU-Annäherung macht.

China investiert

Laut der montenegrinischen Zentralbank war China im Jahr 2020 der größte Investor in Montenegro mit 70 Millionen Euro ausländischen Direktinvestitionen. Der chinesische Gürtel schnürt aber mittlerweile ein. Wenn Montenegro nun seinen Kredit nicht zurückzahlen kann, geben die Vertragsbedingungen China das Recht, auf montenegrinisches Land zuzugreifen. Allerdings hält auch die CRBC ihre Versprechen nicht ein. So wurde die Eröffnung des ersten Autobahnabschnitts mehrmals verschoben. Zudem sind mittlerweile die Kosten explodiert – man rechnet insgesamt mit 1,3 Milliarden Euro.

Die neue montenegrinische Regierung, die nur über ein Mandat mehr verfügt als die Opposition, hat wenig Bewegungsspielraum: Sie hat die Schulden von der Vorgängerregierung geerbt, die 30 Jahre an der Macht war. Die Situation wurde während der Pandemie noch komplizierter, weil chinesische Arbeiter nicht mehr ins Land einreisen konnten, um weiterzubauen. Mittlerweile gibt es auch Umweltschutzbedenken, so könnte etwa der unter Unesco-Schutz gestellte Tara-Fluss durch den Autobahnbau gefährdet sein.

Es gibt auch Stimmen in der EU, die meinen, man müsse der neuen Regierung unter die Arme greifen, ansonsten würde die Abhängigkeit von China noch größer. Die politische Lage in Podgorica ist zudem instabil. Denn die Technokraten im Kabinett sind in den drei Parteien, die hinter ihr stehen, gar nicht fest verankert. Gesetzesvorhaben werden vom Parlament nicht aufgenommen. Die wachsende Schuldenkrise könnte diese politische Labilität und Handlungseinschränkung der Regierung noch verschärfen. (Adelheid Wölfl aus Sarajewo, 18.5.2021)